Gegen die autoritären Züge der „wehrhafte blau-schwarzen Demokratie“
Unter dem Schlagwort „Stärkung der wehrhaften Demokratie“ (S3) und „Extremismusbekämpfung “ planen ÖVP und FPÖ weitreichende Einschränkungen der demokratischen Grundrechte. Das zeigen die in den Medien geleakten Protokolle der Verhandlungen.
Die besprochenen „Reformen“ im Justizbereich richten sich insbesondere gegen oppositionelle linke Kräfte und explizit gegen die pro-palästinensische Bewegung, sowie gegen Organisationen, die von den beiden Parteien dem „politischen Islam“ zugerechnet werden. Prominent erwähnt wird in diesem Zusammenhang die „Liste GAZA“.
So heißt es im geleakten Protokoll der blau-schwarzen Verhandlungen, dass zukünftig Regelungen im österreichischen Parteiengesetz verankert werden sollen, um „demokratiefeindlichen“ (S3) Parteien effektiver entgegenwirken zu können – „Stichwort: Liste GAZA“ Was also verstehen ÖVP und FPÖ unter „demokratiefeindlich?
Wir sind als Liste GAZA bei den Nationalratswahlen 2024 angetreten, um jenen Personen eine Stimme zu geben, welche sich durch die etablierten Parteien unter anderem wegen ihrer politisch, wirtschaftlich und militärisch Unterstützung für den Völkermord an den Palästinenser:innen nicht vertreten fühlen. Dazu haben wir die demokratisch verankerten Grundrechte genutzt, wie das Versammlungs- und Demonstrationsrecht, Publikationsfreiheit und eben auch jene Plattform, die in einer parlamentarischen Demokratie die höchste Legitimität hat – die Wahlen. Neben friedenpolitischen Forderungen – wie dem Eintreten Österreichs für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza – waren demokratiepolitische Forderungen und das Ziel einer umfassenden sozialen und demokratischen Teilhabe und Repräsentation aller Menschen, die in Österreich leben, Kernforderungen der Liste GAZA. Zur Erinnerung: Die Liste GAZA trat an für Neutralität, Frieden und Demokratie durch Gerechtigkeit.
Sie umfasst Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religionen, die gemeinsam gegen die Politik der Angst und der Feindbilder auftreten, die von der FPÖ und der ÖVP bedient werden. Wir wenden uns insbesondere dagegen, dass Menschen muslimischen Glaubens oder arabischer Herkunft unter einen Generalverdacht der Gewaltbereitschaft und des Terrorismus gestellt und diffamiert werden. In dem Zusammenhang erinnerten wir insbesondere an die Folgen der „Operation Luxor“ und kritisierten die im Auftrag der „Integrationsministerin“ Susanne Raab (ÖVP) in Kooperation mit der „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ und der Universität Wien betriebene „Islam-Landkarte Österreich“. Auf ihr sind unterschiedlichste religiöse und zivilgesellschaftliche Vereine und Moscheen gelistet, die nach dem Konzept des „politischen Islam“ gelabelt werden. Der Begriff wird medial und politisch dazu verwendet, politisches Handeln muslimischer Menschen als anti-demokratisch zu labeln, sie in die Nähe von Terrorismus stellt und abseits eines dagegen gestellten „demokratischen Grundkonsens“ Österreichs verortet. Die Karte fungiert als „Watchlist“, die der Diffamierung muslimischer Einrichtungen und unliebsamer Meinungen dient. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass auch die Liste „GAZA“ nach den Wahlen dort als „linksextrem – islamistisch“ gelabelt vermerkt wurde.
Wir setzen uns für Versammlungs- und Meinungsfreiheit ein und gegen willkürliche Demoverbote, wie sie gegen pro-palästinensische Demonstrationen angewendet wurden.
Wir verwehren uns zudem gegen die systematische Umdeutung des Antisemitismusbegriffs, wonach Kritik am Staat Israel mit Antisemitismus gleichgesetzt wird und nicht mehr die Verfolgung und Unterdrückung von Juden und Jüdinnen – wogegen wir uns vehement einsetzen – sondern mangelnde „Solidarität mit Israel“ als Antisemitismus angeprangert wird. Damit gerät der Einsatz für Demokratie, gegen Rassismus, Besatzung und Kolonialismus ins Visier, der antifaschistische Auftrag, gegen eine Politik aufzutreten, die Völkermord ermöglicht, wird pervertiert.
Wir treten für die Menschenrechte und die Einhaltung der verfassungsmäßig verankerten Neutralität Österreichs als ein friedenspolitisches Instrument ein.
Wie aktuell und relevant diese Forderungen weiterhin sind, zeigen die Regierungspläne von blau-schwarz. Schauen wir uns also an, was diese unter einer „wehrhaften Demokratie“ verstehen?
Konkret wünscht sich die ÖVP, nebst der Möglichkeit, ein Verbot unliebsamer Parteien wie der Liste GAZA durchzusetzen, umfassendere Grundlagen, um Demonstrationen und Kundgebungen verbieten zu können, die sie selbst als den „Wertvorstellungen und Grundprinzipien“ der „wehrhaften Demokratie“ zuwiderlaufend verstehen. Zudem soll jede Demonstration, wenn es nach der ÖVP geht, künftig bereits vier Wochen im Voraus angemeldet werden, ansonsten droht per se die Untersagung. Proteste, die sich gegen eine aktuelle Handlung der Regierung richten, wären damit praktisch obsolet. Weiters planen die beiden Verhandlungspartner eine Verschärfung des Vereinsgesetzes.
Erneut aufgegriffen wird in den Verhandlungen auch die Idee der so genannten „präventiven Sicherungshaft“, die 2019 bereits einmal abgewendet wurde. Demnach soll es möglich werden, Menschen aufgrund von Meinungsdelikten und einem angenommenen Gefährdungspotenzial einzusperren. Zuletzt wurde ein solches Gesetz im Austrofaschismus realisiert.
Angedacht ist auch ein umfassendes „Islamgesetz“ das nebst der „Nachschärfung der Symbolgesetzgebung“, auch eine strafrechtliche Handhabe gegen Menschen und Gruppierungen vorsehen soll, die in ihren Aktivitäten die „Ablehnung des Existenzrechts des Staates Israel zum Ausdruck bringt“. Insofern sich Israel als „rein jüdischer Staat“ deklariert, wäre unter diesem Paragrafen potenziell auch die Kritik an Israel als Apartheidstaat und die Forderung nach gleichen demokratischen Rechten aller in Palästina, dem Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer, lebenden Menschen gefasst. Ergänzend soll die zuvor erwähnte IHRA-Definition von Antisemitismus, wonach jede Kritik an Israel als antisemitisch gewertet wird, auf allen staatlichen Ebenen sowie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verankert werden. Diese wird auch von jüdischen Intellektuellen, etwa im Kontext der Jerusalem Declaration on Antisemitismus, massiv abgelehnt. Sie dient nicht dazu, Antisemitismus entgegenzuwirken, sondern dazu, die Kritiker:innen der israelischen Politik mundtot zu machen. Und genau so, wollen auch ÖVP und FPÖ diese nutzen. Nicht zufällig wurde die Likud Partei als „Beobachter:in“ und Schwesternpartei der EU-Fraktion der „Patrioten für Europa“ von Harald Vilimsky (FPÖ) Anfang Februar 2025 herzlich willkommen geheißen.
Teil der „Leitkultur“ und der Dämonisierung muslimischer Menschen in Österreich ist natürlich auch ein geplantes Kopftuchverbot das FPÖ und ÖVP im öffentlichen Dienst und insbesondere in Bildungseinrichtungen umsetzen wollen. Das Kopftuch wird dabei von der FPÖ, ebenso wie Minarette, in dem Regierungs-Dokument nicht als Form der Ausübung von Religion benannt, sondern als „Symbole für einen fremden Herrschaftsanspruch und politisch-religiöses Siegeszeichen“ (S45) angesprochen, den es laut FPÖ in Österreich zu unterbinden gilt. Mit dieser Politik werden muslimische Menschen als „Fremde“ benannt, kriminalisiert und gesellschaftliche isoliert. Um ihre Ziele, der Kriminalisierung Muslimischer Menschen durchzusetzen, soll unter anderem die umstrittene „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ in ihren Kompetenzen aufgewertet und ausgebaut werden und als beratende Stelle im Parlament vermehrt zugezogen werden.
Eingebettet sind all diese antidemokratischen Vorstellungen in geplante weitreichende Einschränkungen im Sozialbereich: Kinderarmut, Altersarmut und die Kriminalisierung von Asylwerber:innen, denen jede Lebensgrundlage in Österreich entzogen werden soll, sind die zu erwartenden Folgen. Die Umverteilung zu den Besitzenden wird fortgesetzt.
Die Elemente einer „wehrhaften Demokratie“, die FPÖ und ÖVP imaginieren, muten eher als Elemente der schrittweisen Etablierung eines autoritären Systems an, das sich gegen Andersdenkende und gegen jene richten, die der von ÖVP und FPÖ forcierten „Leitkultur“ nicht entsprechen. Ihre rassistische und chauvinistische Politik gegenüber Menschen des globalen Südens und insbesondere gegenüber Muslim:innen und Menschen aus dem arabischen Raum, ist ein Vehikel zur Durchsetzung anti-demokratischer Maßnahmen und zum Abbau sozialer Rechte.
Wir lassen uns weder spalten, noch lassen wir und verbieten. Wir treten solidarisch und gemeinsam gegen diese demokratie- und menschenfeindliche Politik auf:
- Für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte
- Für eine umfassende soziale und demokratische Teilhabe aller in Österreich lebenden Menschen.
- Für Frieden und Demokratie durch Gerechtigkeit – hier und weltweit.
Zu 1.) Aufruf zur sofortigen Einstellung der Islam-Landkarte: https://aufruf.palaestinasolidaritaet.at/warum-wir-von-integrationsministerin-raab-und-der-universitaet-wien-ein-ende-der-islamkarte-fordern/