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“General’s plan” – Nordgaza Palästinenser-frei machen


24. November 2024

Beitrag von Nicole Schöndorfer bei der Infoveranstaltung zu Nordgaza am 20.11.24

“The General’s Plan”

Am 23. September wurde über den “General’s Plan” erstmals in israelischen Medien berichtet. Aufgebracht wurde er von Generalmajor Giora Eiland, einem Reservisten der israelischen Besatzungsarmee. Er hat zum Inhalt, dass Nordgaza zu einer geschlossenen Militärzone gemacht werden soll, denn die Armee sei bisher “noch nicht hart genug gegen die Bevölkerung dort vorgegangen”. Um diesen Krieg zu gewinnen, müsse man, so argumentierte Eiland, die Bevölkerung kontrollieren.

Man muss bedenken, dass die Entscheidung der israelischen Regierung, den “General’s Plan” umzusetzen, nach über einem Jahr der militärischen Fehlschläge kommt. Hochrangige Battallione und zehntausende Soldaten der Besatzungsarmee waren bereits in Nordgaza – mehrmals. Am Ende jeder Invasion hieß es, die Hamas sei besiegt im Norden. Zwei Stunden später wurden Raketen von dort abgefeuert. Auch die Evakuierungsorder und brutalen Flächenbombardierungen konnten bis dahin 300.000 palästinensische Zivilistinnen und Zivilisten nicht aus Jabalia, Beit Hanoun und Beit Lahia vertreiben. Der “General’s Plan” ist der verzweifelte Versuch Israels, irgendeine Art von militärischem Erfolg in Gaza vorweisen zu können.

Er wird nun seit eineinhalb Monaten mit unbeschreiblicher Brutalität durchgesetzt: die Bewohnerinnen und Bewohner im Norden Gazas, ob sie nun fliehen oder nicht, werden ganz offiziell als legitime militärische Ziele angesehen und behandelt, das gesamte Gebiet wird von der Armee belagert und abgesperrt. Keine Hilfsgüter, keine Lebensmittel, keine Medizin, kein Sprit werden von Israel, das die “Grenzübergänge” in den Gazastreifen kontrolliert, eingelassen. Die Menschen sollen ausgehungert werden – wenn sie nicht vorher durch Luftangriffe, Killerdrohnen, Brandstiftungen und Sniper getötet werden.

Laut israelischen Medien wurden seit Beginn der Operation auch 1.300 Männer im Norden gefangen genommen und in Gefängnisse, Konzentrations- und Folterlager wie Sde Teiman gesteckt, wo sie vielleicht nach Wochen oder Monaten wieder rauskommen, vielleicht auch nicht, vielleicht ohne Sehvermögen, ohne Erinnerung an ihre Familien oder ohne Beine.

Rettungssanitäter und Krankenwägen sind selten geworden aufgrund der gezielten Angriffe der israelischen Besatzung auf sie, genauso wie die Arbeiter des Zivilschutzes. Verletzte und Tote können oft nicht einmal aus den Trümmern geborgen werden. Die Todeszahl, die momentan bei 44.000 Märtyrerinnen und Märtyrern und über 104.000 Verwundeten liegt, ist auch aufgrund der fehlenden Bergungsmöglichkeiten nur ein Minimum. Es sind die vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Zahlen auf Basis der Meldungen der Krankenhäuser. Diese machen im Norden primär die zwei letzten, noch funktionsfähigen Spitäler: das Kamal Adwan Krankenhaus in Beit Lahia und das Al-Awda Krankenhaus in Jabalia, die jedoch kaum noch ausgestattet und teilweise auch schon zerstört sind.

Israel hat fast alle Krankenhäuser in Gaza ausgeschaltet. Belagert, bombardiert und/oder niedergebrannt, medizinisches Personal, Patientinnen und Patienten vor Ort hingerichtet oder entführt, eingesperrt und gefoltert – nicht selten zu Tode, wie den Chirurgen Dr. Adnan

Al-Bursh, der zuletzt im Al-Awda Krankenhaus tätig war und dort im April gefangen genommen wurde. Vor wenigen Tagen erschien ein neuer Bericht über den Mord an ihm, der neue Details der brutalen Folter durch israelische Offiziere ans Licht brachte.

Wir dürfen auch die Verbrechen im Al-Shifa Krankenhaus nicht vergessen, das die Besatzungsarmee, nachdem sie es mitsamt Belegschaft und Kranken belagert und zerstört hatte, als Massengrab für über 300 ermordete Palästinenserinnen und Palästinenser nutzte. Nachdem die Armee abgezogen war, kamen die Familien und das überlebende Krankenhauspersonal zurück, um die zum Teil gefesselten Leichen auszugraben und zu identifizieren, um sie angemessen begraben zu können.

Seit Beginn der Belagerung Nordgazas mit Oktober wurden laut offiziellen Zahlen des Gesundheitsministeriums 4.000 Palästinenserinnen und Palästinenser ermordet, wie immer sind der Großteil davon Frauen und Kinder.

Während im letzten Jahr viel mehr Menschen verstanden haben, was in Palästina passiert und zumindest Sympathie äußern, wird die Mehrheit doch nach wie vor von den Nachrichten der österreichisch-deutschen Mainstream-Medien irregeführt, die allesamt der zionistischen Staatsagenda folgen. Journalistinnen und Journalisten, Medienpersönlichkeiten und Meinungsmacher agieren als Apologeten oder sogar als Stenographen israelischer Militärpropaganda. Alles wird gerechtfertigt und was nicht gerechtfertigt werden kann, wird geleugnet.

Es gibt auch vereinzelte Berichte über die humanitäre Lage in Gaza: Bilder von Zerstörung, Müllbergen und ausgemergelten Menschen. Wir kennen diese Berichterstattung aus anderen Teilen des Globalen Südens. Reportagen aus Kriegsgebieten, in denen Neokolonialismus und imperialistische Aggression als Ursachen der Notlagen vertuscht werden, damit das selbstgefällige europäische Mittelstandspublikum weiter unbeirrt von der Realität bleiben kann, dass unser Wohlstand und Frieden nicht zuletzt auf der Existenz Israels in seiner Funktion als militärischer Vorposten des Imperialismus – und so auf der Unterwerfung Palästinas und der Region beruhen.

Eine weitere Gruppe, die gezielt von Israel angegriffen wird, sind Journalistinnen und Journalisten. Seit 7. Oktober 2023 wurden 180 palästinensische Medienarbeiter, Reporter und Kameramänner usw. getötet, darunter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Al-Jazeera, Al-Aqsa TV und anderen bekannten Stationen. 180 sind mehr als im Zweiten Weltkrieg und Vietnamkrieg zusammen – in nur einem Jahr. Viele weitere wurden verletzt. Diejenigen, die die Wahrheit aus Gaza hinaus die Welt getragen haben, wurden also massiv dezimiert. Das macht sich auch in Nordgaza bemerkbar.

Die verbleibenden Journalistinnen und Journalisten tun ihr Möglichstes, doch die Massaker sind zu viele, um sie alle abzudecken. Es wurde auch gefährlicher durch die Belagerung seit Anfang Oktober – nicht, dass es vorher nicht gefährlich gewesen wäre für Medienleute. Kameramann Fadi Al-Wahedi wurde vor einigen Wochen von einem Sniper in den Hals geschossen. Sein unterer Körper wird wohl unbeweglich bleiben, es wird schon lange vergeblich um Transfer ins Ausland angesucht.

Seine Kollegen, wie Anas As-Sharif, der im Jabalia Flüchtlingslager aufgewachsen ist und Hossam Shbat berichten weiter aus dem Norden. Sie sind Korrespondenten für Al-Jazeera und wurden zu Beginn der Belagerung ganz offiziell von Israel mit der Ermordung bedroht aufgrund ihrer angeblichen Verbindungen zu Hamas und Palestinian Islamic Jihad. Erst gestern wurde Hossam verletzt. Ismail Al-Ghoul wurde genauso bedroht und im Sommer dann zusammen mit dem Fotografen Rafi Al-Reefi gezielt in einem Auto bombardiert. Ismail wurde dabei enthauptet. Anas und Hossam wissen, dass es sie jederzeit treffen kann, doch sie schwören, nicht vorher mit der Berichterstattung aufzuhören.

Was sind all die journalistischen Ethikgrundsätze und Berufsvereinigungen wert, wenn sie Anas und Hossam nicht schützen können oder wollen? Wenn für die 180 ermordeten Kolleginnen und Kollegen in Gaza keine Gerechtigkeit gefordert wird? Wenn aktiv Propaganda gegen sie verbreitet wird?

Zum Widerstand in Nordgaza

Israel ist weit davon entfernt, Hamas und andere palästinensische Fraktionen zu eliminieren. Im Gegenteil, seine Truppen in Gaza werden weiter massiv konfrontiert. Merkava-Panzer und Bulldozer brennen, palästinensische Scharfschützen feuern aus dem Nichts, ganze israelische Einheiten werden in Hinterhalte gelockt und mit Sprengsätzen in die Luft gejagt, man hört beinahe täglich von “difficult incidents” in den israelischen Nachrichten. Es wird sich teilweise auch zu toten und verletzten Soldaten bekannt, die wahren Zahlen sind aber vermutlich viel höher, denn jeden Tag müssen zahlreiche Militärhelikopter israelische Krankenhäuser anfliegen.

Der palästinensische Widerstand bleibt in seiner Guerillakriegsführung unbesiegbar. Die Kämpfer kennen jeden Milimeter Erde in Gaza und haben ihr Leben lang für diese Konfrontation trainiert, während die feindlichen Soldaten nicht mehr können, als Knöpfe drücken und wehrlose Flüchtlingskinder im Westjordanland erschießen.

Man darf nicht vergessen, dass die größenwahnsinnigen Entscheidungsträger mit Oktober auch die Bodenfront mit der Hezbollah im Libanon aufgemacht haben, wo es ihnen noch schlechter geht, als in Gaza. Hezbollah hat sich in den letzten 20 Jahren von der Guerilla- zur Volksarmee entwickelt, nachdem sie Israel gleich zweimal, einmal 2000 und einmal 2006 besiegt hatte. Kein Grenzdorf im Südlibanon konnte von den israelischen Besatzungssoldaten bisher gehalten werden. Jeder Versuch endete ausnahmslos mit einem Rückzug – und vielen “casualties”.

Die militärischen Kapazitäten des palästinensischen und libanesischen Widerstands sind objektiv betrachtet beeindruckend. An diesem Krieg nehmen schließlich nicht nur die Israelis und Sponsoren wie die USA und EU teil, der Widerstand ist am Ende auch eine direkte Kriegspartei und es ist nur angemessen, seine Taktik, Forderungen und Erfolge ebenso zu besprechen wie die der Besatzer.

Nicht nur die Zahlen der toten israelischen Soldaten sprechen Bände, auch die Rückkehrer von den Fronten geben immer wieder einen Einblick in die moralische Lage der nach über einem Jahr der Gefechte schwer ramponierten israelischen Armee. Die Soldaten sind traumatisiert, haben Burnout und Depressionen, verfallen dem Alkohol und Drogen oder

begehen Suizid. Vor 2 Wochen erschien in der Electronic Intifada ein Artikel von Chefredakteur Ali Abunimah mit dem Titel: “How close is Israel’s army to collapse?” Er zitiert aus Interviews von Soldaten und ihren Familien. Sie sprechen darüber, wie immer mehr Soldaten sich weigern, zu kämpfen – und zwar nicht aus Gewissensgründen, sondern weil sie kaputt sind. Ein paar Zitate daraus:

“The platoons are empty,” said “Rona,” the mother of one soldier. “Anyone who isn’t dead and wasn’t wounded was emotionally damaged. Very few remained who came back to fight.” Her son told her that, “I don’t know what army they’re planning to go into Lebanon with, but there is no army. I’m not going back to the battalion.”

“I call it refusal and mutiny,” said Inbal, another soldier’s mother. “They come back to the same buildings in Gaza they had cleared out, and they get booby trapped again, every time. They were in the Zaytoun neighborhood of Gaza City three times already. They understand that it is pointless.”

“Yael,” another mother, said: “I talked with my son, and he told me: ‘We’re like ducks in a shooting gallery, we don’t know what we’re doing here. It’s a second and third time that we return to the same places. The hostages are not coming back, and you see that it is not ending, and along the way soldiers are wounded and killed. It seems futile.’ That was in March.”

Die vom Westen ermöglichte und unterstützte zionistische Vernichtungskampagne gegen das palästinensische Volk in Gaza ist nach über einem Jahr der Massaker und Zerstörung nicht nur in vollem Gange, sondern hat mit der Belagerung Nordgazas ihren Höhepunkt erreicht. Doch die israelische Führung agiert aus letzter Verzweiflung, nachdem es militärisch keine Chance gegen den Widerstand hat. Das wissen auch viele aus den eigenen Rängen und nicht zuletzt die geschlagenen Soldaten. Wir sind Zeuginnen und Zeugen eines anti-kolonialen Befreiungskrieges in Westasien mit Gaza als seinem Zentrum, der am Ende die gesamte imperialistische Weltordnung über den Haufen werfen wird.