Am 13.10. erschien in der Presse ein Gastkommentar von Daniel Green in dem er das Verbot der „Liste GAZA – Stimmen gegen den Völkermord“, die am 29.9. bei den Nationalratswahlen antrat, forderte. Die Liste trat für die Wahrung der österreichischen Neutralität an, mit der Forderung diese als friedenspolitisches Instrument für einen sofortigen Waffenstillstand in Palästina zu nutzen. Damit bot sie eine Alternative zu den etablierten Parteien, die dreimal gegen einen Waffenstillstand gestimmt hatten.
Wie begründet Greens, der sich selbst als „Demokrat“ bezeichnet, seine autoritäre Forderung, die Liste GAZA vom demokratischen Prozess auszuschießen? Green argumentiert nicht, er postuliert. Aber es lohnt sich, die Grundlage seines Postulats zu rekonstruieren. Denn nur so wird verständlich, wie es möglich ist, dass seit Jahrzehnten im Namen von Demokratie und Frieden die Welt mit Krieg und Leid überzogen wird – so auch derzeit in Palästina.
Green postuliert, die Liste GAZA radikalisiere, indem sie Emotionen der Muslim:innen instrumentalisiere und gegen Israel wende. Israel wiederum sei “die einzige Demokratie im Nahen Osten und Garant für den Schutz jüdischen Lebens weltweit“. Missachtet wird bei dem Postulat der Entscheid des Internationalen Gerichtshofes, in dem Israel als Apardheitstaat bestätigt wird. Missachtet wird auch die Pflicht Österreichs, sich selbst gegen Antisemintismus einzusetzten. Statt dessen wird diese Pflicht einem religiös und ethnisch definierten Nationalstaat – Israel – zugeschrieben. Missachtet wird auch die Realität des anhaltenden Völkermords an den Palästinenser:innen. Statt dessen spricht Green vom „Israels Abwehrkampf“. Von Völkermord zu sprechen, sieht er als „antisemitischen Akt“.
Den Völkermord an den Palästinenser:innen als solchen benennen
Wenn die „Liste GAZA“ vom Völkermord spricht, passiert das nicht um zu emotionalisieren, sondern um Menschenrechtsverletzungen beim Namen zu nennen: Als Völkermord sind nach Definition der Vereinten Nationen Handlungen definiert, „die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.” Auf dieser Grundlage hat Südafrika im Dezember 2023 eine Klage gegen Israel wegen Verletzung der Völkermordkonvention einbrachte. Dafür spricht nicht nur die Zahl der in Gaza Getöteten, sondern vor allem das Vorgehen der israelischen Politik, das darauf ausgerichtet ist, die Bevölkerung von Strom, Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung abzuschneiden: Zwischen dem 7. Oktober 2023 und Mai 2024 wurden nach Schätzungen von „The Lancet“ 186.000 Menschen durch die Zerstörung der zivilen Infrastruktur in Gaza getötet. Das entspricht 8% der Bevölkerung von Gaza. Alle Krankenhäuser wurden zerstört, sanitäre Einrichtungen für die große Zahl der Flüchtlinge fehlen, humanitäre Hilfe wird verweigert indem die Arbeit der UNWRA verboten und verhindert wird. Damit werden die medizinische Unterversorgung und Mangelernährung sämtlicher Menschen, insbesondere der Kinder in Gaza – immerhin die Hälfte der Bevölkerung Gazas – in Kauf genommen. Wer das „legitime Selbstverteidigung“ nennt, zeugt nicht nur von mangelndem Verständnis des Völkerrechts, sondern auch von einem Mangel an Empathie und humanitärem Grundverständnis. Und doch ist diese Argumentation in den österreichischen Medien und unter den etablierten Parteien erschreckender Weise Mainstream.
Die österreichische Unterstützung für den Völkermord
Green fragt in seinem Kommentar, ob es denn überhaupt denkbar ist, dass Österreich den Völkermord an den Palästinenser:innen unterstützt. Das offizielle Österreich stellt sich nicht nur durch das bereits mehrmalige Hissen der israelischen Fahne am Bundeskanzleramt hinter Israels Politik. Es hat dreimal gegen einen Waffenstillstand gestimmt und ist in die israelische Kriegswirtschaft durch den Kauf teurer Waffensysteme (zuletzt für Skyshield und Niederlassungen des wichtigsten Israelischen Waffenproduzent Elbit Systems in Österreich involviert. Wesentlich ist auch die mediale und politische Unterstützung für Israel.
Sie töten Menschen, keine „Monster“ oder „Tiere“
Wenn Krankenhäuser von Israels Armee bombardiert werden, schreiben die Medien in Österreich: „Aber Hamas“ Wenn Flüchtlingslager bombardiert werden: „Aber Hamas“; Wenn Hilfslieferungen nicht nach Gaza gelangen, weil die Grenzen durch Israel blockiert werden: „Aber Hamas“! Was wir aber nicht zu hören bekommen sind die das Massaker begleitenden Aussagen der ultrarechten israelischen Politiker:innen die Palästinenser:innen als „menschliche Tiere“ (Yoav Gallant, israelischer Vereidigungsminister) oder „Monster“ (Ben-Gvir, israelischer Minister für öffentliche Sicherheit) bezeichnen und es für legitim halten, die Menschen im Gazastreifen „auszuhungern“ (Israels Finanzminister Smotrich). Welche Ideologie verbirgt sich hinter solchen Aussagen und der Praxis des Genozids? Ich würde meinen, Rassismus und „White Supremacy“, die im Apartheidstaat Israel zur Staatsideologie erhoben werden.
Wer dazu schweigt, muss sich zu Recht vorwerfen lassen, es als „normal“ anzusehen, dass Palästinenser:innen abgewertet, diskriminiert und getötet werden. Wer dazu schweigt muss sich dem Vorwurf des Rassismus stellen. Denn die Worte der israelischen Politiker:innen und ihre Praxis in Gaza, die durch die österreichische Politik legitimieret wird, sind Ausdruck einer rassistisch motivierten Dehumanisierung der Palästinenser:innen.
Feindbilder, Rassismus und Antisemitismus
Auch in Österreich wird Palästinenser:innen, Menschen aus dem arabischen Raum, Muslim:innen mit Vorbehalten begegnet. Ein aktueller Bericht der European Union Agency for Fundamental Rights zeigt, dass Muslim:innen in Österreich besonders häufig Diskriminierungserfahrungen machen. Ja, Österreich ist sogar Spitzenreiter. Seit dem 7. Oktober 2023 und durch die Berichterstattung über Palästina hat sich das noch verschärft, wie die Dokumentationsstelle für antimuslimischen Rassismus feststellte. Ein Grund dafür ist der Umgang der österreichischen Politik und Medien mit Menschen, die mit Palästina solidarisch sind. Muslim:innen, die sich gegen den Völkermord einsetzen, Muslim:innen, die sich politisch äußern, laufen in Österreich schnell Gefahr, als gewaltbereit und terroristisch abgestempelt zu werden. Daher ist es verwunderlich, dass der spürbare Rassismus gegen Muslim:innen in Österreich, und die Feindbildpolitik, die gegen diese betrieben werden, von Green, als „nicht existent“ abgetan werden. Es warnt dagegen vor dem Antisemitismus der von Muslim:innen und Aktivist:innen im Spektrum der Pro-Palästinensischen Bewegung ausginge und der auch das Verbot der „Liste GAZA“ aus seiner sicht rechtfertigen würde.
Deshalb ist es wichtig zu verstehen: Der Staat Israel vertritt nicht die Interessen „der Jüd:innen“. Jüdische Menschen und ihre politischen Vorstellungen sind vielfältig und es gibt viele jüdische Menschen weltweit, die sich gegen diese israelische Vereinnahmung wehren. Durch die Gleichsetzung der Kritik an Israel mit Antisemitismus, versuchen in Österreich jene Kräfte, die den Antisemitismus seinerzeit z.B. unter Lueger salonfähig machten, sich als Erb:innen des antifaschistischen Kampfes zu inszenieren. Dabei geht es ihnen nicht um einen Schutz vor antisemitischen Übergriffen sondern unter einem Deckmantel eines vermeintlichen Kampfs gegen „Antisemitismus“ die heutigen Verbrechen an den Palästinenser:innen zu rechtfertigen.
„Niemals wieder“ – bedeutet bereit zu sein, aus der Geschichte zu lernen
Wir wissen, und auch Green erinnert daran, wie wichtig es ist, aus der Geschichte zu lernen. „Niemals wieder“ bedeutet, niemals zu vergessen, wie es zu den schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialist:innen kam. Niemals zu vergessen, wie Abwertung, Rassismus und Überlegenheitsphantasien wirksam werden können. „Niemals wieder“ bedeutet, dass wir nie wieder ein Regime an der Macht sehen wollen das die systematische Vernichtung eines Volkes legitimiert und betreibt. „Niemals wieder“ bedeutet demnach gegen jede Politiken der De-Humanisierung und ihre Folgen aufzutreten.
Soziale Teilhabe bedeutet demokratische Mitbestimmung
Wie dies gehen kann, zeigt die „Liste GAZA“. Denn das gemeinsame Engagement unterschiedlichster Menschen in dieser– Atheist:innen, Christ:innen, Muslim:innen und Jüd:innen, mit und ohne Migrationserfahrung – ist eine konkrete antirassistische, humanistische Aktion. Demokratische und soziale Teilhaberechte dürfen nicht entlang von Migrationsfragen oder Religionszugehörigkeiten gezogen werden, weder in Palästina, noch in Österreich. Wenn wir eine Gesellschaft ohne Spaltungen, ohne Rassismen und damit auch ohne Antisemitismus wollen, müssen wir garantieren, dass alle hier lebenden ihre demokratische Rechte ausüben dürfen, anstatt Feindbilder und Ängste zu schüren und ein autoritäres Auftreten gegen demokratische Gruppierungen zu fordern, wie Green das mit seiner Forderung nach einem Verbot der „Liste GAZA“ tut.
Irina Vana ist Aktivistin in der österreichischen Anti-Kriegs- und Friedensbewegung. Sie war bei der Nationalratswahlen 2024 Spitzenkandidatin der Liste GAZA. Sie ist Soziologin und promovierte Sozialhistorikerin.