Die „Liste GAZA – Stimmen gegen den Völkermord“ war viel mehr als eine Wahloption bei den Nationalratswahlen 2024: Sie ist, wie eine Aktivistin meinte, eine „Ermächtigungsform“ für all jene, die in Österreich erleben, wie die Stimmen jener diffamiert und kriminalisiert werden, die sich für die Selbstbestimmung Palästinas und fundamentale Menschenrechte engagieren, gegen Völkermord und Apartheid, aber für demokratische Rechte, Frieden und Neutralität eintreten.
Wir haben mit der Liste GAZA den Boden für demokratische Meinungsäußerung in Österreich bereitet und bis zu einem gewissen Grad den Damm der Isolation gebrochen, der gegen die Menschen aufgebaut wurde, die mit Palästina solidarisch sind – Liste GAZA steht für die Legitimität der Palästinasolidarität, aus der sie hervorgegangen ist. Wir haben es geschafft, dass über den Völkermord gesprochen wird und das Narrativ der „legitimen Selbstverteidigung Israels“ nicht unhinterfragt im Raum stehen bleibt. Wir haben GAZA als Symbol für eine zutiefst ungerechte Weltordnung und zugleich für den anhaltenden Widerstand gegen diese Ungerechtigkeit auf 85 Prozent der Stimmzettel in Österreich gebracht.
Wir haben bewiesen, dass es möglich ist, ohne viele finanzielle Ressourcen, durch gemeinsames Engagement und gegen die Interessen der etablierten Medien, hörbar zu werden. Wir haben an die Grundfesten des Völkerrechts, an das Recht, sich gegen Unterdrückung zur Wehr zu setzen, erinnert. Wir haben ein starkes Signal gegen die Feindbildpolitik der etablierten Parteien in Österreich, allen voran der ÖVP und der FPÖ, gesendet. Denn diese versuchen ihre politische Legitimität dadurch herzustellen, dass sie vor allem Muslim:innen, und insbesondere jene, die sich für Palästina engagieren, unter Generalverdacht der Terrornähe stellen und eine Politik der Angstmache benützen, um demokratische Rechte sukzessive aushebeln. Wir haben dem unser gemeinsames Engagement und die Einforderung der österreichischen Verfassung entgegengesetzt: Die Liste Gaza ist ein Projekt tatsächlicher sozialer und demokratischer Teilhabe, mit dem geteilten Ziel, fundamentale Menschenrechte einzufordern und in den Fokus zu stellen.
Am 29.9. haben nunmehr rund 19.310 Menschen die Wahlen genutzt, um gegen die schweigende, gutheißende oder aktive Komplizenschaft der etablierten Parteien mit dem Völkermord an den Palästinenser:innen ein Zeichen zu setzen. Das sind die Stimmen jener Menschen, die sich wegen der Komplizenschaft der etablierten Parteien mit dem Völkermord durch diese nicht repräsentiert fühlen, die erkannt haben, dass durch diese Komplizenschaft alle anderen Parteien unwählbar sind und dass die Teilnahme an einem Völkermord niemals wieder hinzunehmen ist! Diese 19.310 Stimmen sind mehr als ein Anerkennungserfolg. Sie sind Ausdruck einer Bewegung von unten für demokratische und humanitäre Rechte, für Neutralität und Frieden, die sich gegen die kriegerischen Ambitionen der etablierten Parteien in Österreich stellt; der Ausdruck einer Bewegung, die durch die Sichtbarkeit auch zukünftig Bedeutung haben wird. Es sind lange nicht alle Menschen in Österreich, die die Bewegung unterstützen und in der ein oder anderen Form an der Bewegung für die Freiheit Palästinas und der Anti-Kriegsbewegung teilhaben. Es fehlen jene, die nicht wahlberechtigt sind und damit ausgeschlossen von dieser Form der politischen Kundgabe. Und es fehlt auch die schweigende eindeutige Mehrheit der in Österreich lebenden Menschen, die den Völkermord verurteilen und Österreich nicht auf der Seite von Völkermord, Krieg und autoritärem Regieren haben wollen, ihr Kreuz aber dennoch an einer anderen Stelle gesetzt haben.
Der Hauptgrund, dass viele dieser Menschen nicht Liste GAZA gewählt haben, liegt in den Mechanismen, die die etablierten Parteien und die Medien in Gang gesetzt haben, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse gegen die Mehrheitsinteressen intakt zu halten. Sie erklären die Verhältnisse, wie sie sind, zum letzten Schutz gegen einen Rechtsruck – gegen die FPÖ. Dabei sind es gerade die etablierten Parteien, die dem Aufschwung der FPÖ damit Vorschub leisten, indem sie diese als vermeintliche Systemopposition inszenieren und sich selbst als „Brandmauer“ dagegen. Die Mehrheit der Menschen, für die die offizielle österreichische Politik ihre Glaubwürdigkeit verloren hat und die nach Alternativen suchen, geben diesen Argumenten folgenden ihre Stimme bei den Nationalratswahlen entweder der FPÖ ( als vermeintliche „Abwahl des Systems“) oder den Systemparteien (als vermeintliche „Rettung vor der FPÖ“), die dieser in Wahrheit den Steigbügel halten. Denn wir erinnern daran: Die FPÖ ist keine Systemopposition, sie agieren im Interesse der Besitzenden, sie stellen sich ebenso an die Seite Israels und des Völkermords an den Palästinenser:innen, sie schreiten voran, wenn es drum geht, die Hetze der ÖVP gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen Muslim:innen salonfähig zu machen. Für sie sind nicht die Gründe von Flucht und Migration, gegen die wir gemeinsam vorgehen, indem wir uns gegen imperiale Kriege einsetzten, das Problem, sondern die Menschen, die gezwungen sind ihre Heimat zu verlassen. Das System der „Völkermordunterstützung“ besteht also fort, aber stabil ist es nicht, dieses System der „Großen“, denn es bleibt ein Betrug, der Glaubwürdigkeitsverlust und die Unzufriedenheit wachsen weiter.
Gegen diese extreme Mitte und ihre Scheinopposition gegen die FPÖ, stellen wird uns. Aber eben nicht Seite an Seite mit den etablierten Parteien, die durch ihre Mahnung vor dem FPÖ ihr System der „extremen Mitte“ und ihren antidemokratischen Kurs (mit oder ohne FPÖ) absichern, sondern als demokratische und soziale Opposition von unten, als eine progressive Kraft und gemeinsame Aktion von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion. Liste GAZA ist gegen diese „Völkermordvertreter:innen“ angetreten und hat immer klar gestellt, keine Aufnahme in die politischen Strukturen, die die bestehenden Machtverhätnisse stützen, anzustreben, sondern diesen einen „Denkzettel“ zu verpassen.
19.310 Stimmen, das sind rund 0,4%. Obschon sich viele mehr erhofft haben, ist das für eine Protestliste, die seit rund vier Monaten existiert, ein toller Erfolg: Wir hatten kaum Budget, praktisch keinen Medienzugang und keinen politischen Apparat, um den Wahlkampf zu führen. Dennoch haben wir annähernd so viele Stimmen wie andere Kleinparteien, die aber mehr Mittel hatten und in den Medien mehr Raum bekamen.
Wir konnten uns vor allem dort hörbar machen, wo wir auch lokal aktiv sind. Dort haben wird zum Teil beachtlich viel Zuspruch erhalten: Fast 2,5 Prozent in Favoriten und der Brigittenau, mit Sprengelergebnissen bei knapp 10 Prozent und insgesamt 1,2 Prozent in Wien sind bedeutsam. Im niederösterreichischen Industrieviertel mit den angrenzenden Gemeinden im Burgenland konnten wir teilweise 3,5 Prozent erreichen. Auch in vielen Industriegemeinden in Tirol und noch mehr in Vorarlberg, konnten wir hervorragende Ergebnisse erzielen und auch in Graz zeigt sich, dass die Kontinuität der Palästinasolidarität Steiermark Früchte trägt, mit über 1 Prozent in den ärmeren Bezirken in Graz.
In einem gewissen Sinn kann man sagen, dass die Liste GAZA die zahlenmäßig größte Solidaritätsaktion für Palästina ist, die es in Österreich jemals gegeben hat. Ganz entscheidend für den Erfolg war insbesondere das organische Zusammenwirken von Menschen, von demokratischen und linken Kräften der Palästinasolidarität, von Friedens- und Neutralitätsbewegung mit Palästinasolidarität und die Repräsentation der migrantischen und muslimischen Gruppen in der Liste Gaza, als zentrale Kraft innerhalb der Palästinasolidarität. Auf diesem Weg wollen wir weitergehen.
Wie es mit der Liste GAZA weitergeht, wird Gegenstand einer gemeinsamen Orientierung sein. Eine Perspektive ist der Zusammenschluss der palästinasolidarischen Bewegung mit anderen progressiven Kräften, die sich gegen Krieg, gegen den Völkermord, für Neutralität und Frieden einsetzen. Gerade die letzten Eskalationen in Palästina, die Ausweitung der israelischen Kampfzone, aber auch die zunehmende Annäherungspolitik österreichischer Politiker:innen an die NATO, an ein kriegsführendes Militärbündnis, zeigen, wie wichtig diese Stimmen sind. Liste GAZA ist der Ausdruck einer Bewegung abseits parlamentarischer Repräsentation, die die Nationalratswahlen als Bühne genutzt hat, und wir werden nicht aufhören, demokratische Rechte einzufordern, dem Kriegskurs und der Politik der sozialen Spaltung und der Feindbilder der etablierten Parteien entgegenzutreten.
Denn was wir mit der Liste GAZA jedenfalls geschafft haben, ist eine teilweise Rückeroberung von Diskussionsräumen für Palästina und eine Erweiterung des Bündnisses jener Menschen, die selbst aktiv sein wollen und für Palästina und damit verbunden gegen die Unterminierung demokratischer Rechte und der Neutralität, gegen Unterdrückung, Vertreibung und Kolonialismus aufstehen wollen: österreichweit. Wir haben eine starke Vernetzung über alle Bundesländer hinweg geschaffen, auf die wir auch zukünftig aufbauen können und werden.