Logo
Site-Logo
Site Navigation

OFFENER BRIEF an die Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt, Karoline Edtstadler:


27. September 2024

BETREFF: Antisemitische Attacke gegen Omri Boehm

Frau Mag. Edtstadler, nehmen Sie Ihre antisemitische Diffamierung des jüdischen Philosophen Omri Boehm zurück!

Am Montag, den 6. Mai 2024, sagten Sie im Ö1-Mittagsjournal:*

Es ist dringend an der Zeit zu überdenken, jemandem, der hier an Israel Kritik übt, die keine Kritik an Israel ist, sondern purer Antizionismus und damit Antisemitismus, tatsächlich eine Bühne mitten in Wien zu geben.

Sie haben verabsäumt, diesen schwerwiegenden Vorwurf zu belegen, und so muss dies als haltlose antisemitische Hetze betrachtet werden. Dabei ist die politisch-philosophische Position Omri Boehms allgemein bekannt:

Omri Boehm vertritt mit Immanuel Kant den Universalismus der Aufklärung – die Allgemeingültig­keit der universellen Menschenrechte für alle Menschen gleichermaßen. Seine „Kritik an Israel“ lautet: „Zu einer Nation zu gehören, darf nicht vom Blut oder einer Rasse abhängen.“

Dies zielt direkt auf das israelische „Nationalstaatsgesetz“, das von der überwiegend religiös-zionisti­schen Knesset-Mehrheit am 19. Juli 2018 mit einer hauchdünnen Mehrheit von 62 (von 120) Abgeordne­tenstimmen als Grundgesetz (basic law) beschlossen worden ist. Es besagt, dass der „jüdische und demo­kratische Staat allein dem jüdischen Volk gehört“ bzw. dass „das jüdische Volk das alleinige Recht nationaler Selbstbestimmung besitzt“ – ohne Erklärung der Zugehörigkeitskriterien zum „jüdischen Volk“ und unge­achtet seiner ethnischen Minderheiten, die ein Viertel seiner Gesamtbevölkerung ausmachen. Damit sind diese nicht mehr nur de facto, sondern auch de jure Menschen zweiter Klasse im „jüdischen Staat Israel“.

Boehm schlägt vor, eine israelische Verfassung nicht mit der „Souveränität des jüdischen Volkes“, sondern mit der „Achtung der Menschenwürde als Ursprung des Rechts“ zu beginnen.

Wie Sie, Frau Verfassungsministerin, als studierte Juristin und Europarechts-Expertin wohl wissen, ist Israel seit 1979 Vertragsstaat des „Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“ (ICERD). Als eines von neun Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen verurteilt dieses Übereinkommen „auf rassische Überlegenheit oder auf Rassenhass gegründete Apartheids-, Segregations- oder sonstige Rassentrennungspolitik von Regierungen“. Hand aufs Herz: Das ist genau das, was die israelischen Regierungen auf Basis der Ideologie des Zionismus schon seit jeher betreiben, wie die unabhängigen israelischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen je länger, desto eindringlicher dokumentieren.

Der Staat Palästina (State of Palestine) hat am 23. April 2018 gegen Israel gemäß Artikel 11 des ICERD-Übereinkommens eine Beschwerde über schwerwiegende Verstöße des Staates Israel gegen die Art. 2 (1), 3 und 5 des Übereinkommens an den Ausschuss eingereicht. Der Ausschuss richtete daraufhin eine Ad-hoc-Schlichtungskommission ein und lud beide Vertragsstaaten zu Verhandlungen über „eine gütliche Beilegung des Streits“ ein. Israel jedoch weigerte sich trotz zahlreicher Versuche seitens der Kommission, daran teilzunehmen, trotz des zwingenden Charakters des Schlichtungsverfahrens.

In den Schlussfolgerungen des Berichts zum Abschluss des Verfahrens vom 21. August 2024 bezieht sich die Kommission auch auf das rassistische „Nationalstaatsgesetz“ und…

„…erinnert an die Empfehlungen in den abschließenden Bemerkungen mehrerer anderer Vertrags­organe, darunter des Menschenrechtsausschusses und des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dass Israel das Grundgesetz ändern sollte: ‘Israel – Der Nationalstaat des jüdischen Volkes’, das die Diskriminierung von Palästinensern institutionalisiert.“

Und dies ist der entscheidende Punkt:

Wenn nun Omri Boehm als israelisch-deutscher Staatsbürger aufgrund seiner liberal-demokratischen Gesinnung Kritik an dieser Staatsform übt und für ein „binationales Israel“ seines Heimatlandes plädiert mit dem Anliegen, dass auf diese Weise Israelis und Palästinenser in einem gemeinsamen, föderalen Staat zueinanderfinden, der auf der Gleichheit und Gemeinsamkeit aller Staatsbürger beruht – wie können Sie behaupten, dass dies keine Kritik an Israel“ sei, sondern „purer Antizionismus und damit Antisemitismus“?

Frau Verfassungsministerin, Sie stehen (und mit Ihnen die gesamte Regierung) auf der falschen Seite der Geschichte. Zugleich bedeutet Ihre Behauptung auch eine Attacke auf alle anderen Personen, die sich für einen „ethnisch neutralen Staat“ aussprechen, der, wie Omri Boehm meint, auf diese Weise auch seine zionistische Gründung überwinden würde.

Was ist daran „antisemitisch“?

Mit Ihrer willkürlichen Hassattacke auf einen jüdischen Mitmenschen, der seiner legitimen persönlichen Meinung zur einer Staatsform Ausdruck verleiht, verurteilen Sie sich selber als „antisemitisch“.

Nota bene:

Da auch die Republik Österreich ein Vertragsstaat des ICERD-Übereinkommens ist, hätten Sie als Regierungsmitglied – wie auch alle anderen Vertragsstaaten – die Pflicht, das Übereinkommen wirksam durchzusetzen. So wird in dem zitierten Abschlussbericht nachdrücklich betont.

„In Artikel 2 (1) (b) der Konvention heißt es, dass jeder Vertragsstaat sich verpflichtet, Rassendiskriminie­rung durch Personen oder Organisationen nicht zu fördern, zu verteidigen oder zu unterstützen. In Anbetracht dessen kann die Duldung der israelischen Politik und Praktiken, die zu Rassendiskriminierung führen, die internationale Verantwortung jedes Vertragsstaats in Anspruch nehmen. Die Beseitigung der Rassendiskriminierung ist eine gemeinsame Verantwortung aller Vertragsstaaten der Konvention.“

Frau Verfassungsministerin, tragen Sie gemäß dieser internationalen Verpflichtung, der sich auch die Republik Österreich unterstellt hat, zu einer europäischen Politik bei, die der herrschenden israelischen Rassendiskriminierung ein Ende setzt, statt sich schützend vor diese menschenverachtende Politik zu stellen und legitime Kritiken daran als „antisemitisch“ zu diffamieren!

Fazit: Wenn Sie für Israel sind, müssen Sie gegen die Politik seiner Regierungen zum Wohle seines gesamten Staatsvolkes Stellung beziehen und für die Abschaffung dieses araberfeindlichen (arabophoben) hegemonialen Nationalstaatsgesetzes kämpfen.

Fritz Weber, Österreicher mit staatsbürgerlicher Mitverantwortung.
Wien, am 26. September 2024. benaja [at] gmx.at

*   Gerald Heidegger: „Omri Boehm und die brisante ‘Rede an Europa’ – Omri Boehm fordert Über­windung des Nationalstaates“, ORF, 7. Mai 2024, https://topos.orf.at/wiener-festwochen-omri-boehm100.

Nachtrag: Bitte nehmen Sie auch dies zur Kenntnis: Der Staat Israel gilt offiziell nicht mehr als liberale Demokratie, er wurde im Demokratie-Index herabgestuft (V-Dem Democracy Report 2024). Israel gilt demnach nur noch als „Wahldemokratie“ – in der zwar Wahlen abgehalten werden, die bürgerlichen Freiheiten und die Gleichheit vor dem Gesetz aber nicht gewahrt sind. (Michael Hauser Tov, Mar 20, 2024: “Israel No Longer Considered Liberal Democracy; Global Index Cites Judicial Coup“)

In der renommierten israelischen Tageszeitung Ha’aretz online war vor wenigen Wochen zu lesen:

„Die Nichtbeachtung von Gerichtsurteilen ist kein neues oder seltenes Phänomen in der israelischen Politik. Seit Jahren stellt die politische Rechte den Obersten Gerichtshof und den Generalstaatsanwalt als macht­gierige und bedrohliche Organe dar, die angeblich das Land regieren – obwohl sie in der Praxis vom Wohl­wollen der Regierung abhängig sind, um ihre Entscheidungen umzusetzen, und keinen Einfluss auf sie haben.

Doch seit der Bildung von Netanjahus derzeitiger Koalition hat sich die Zurückhaltung der Regierung bei der Umsetzung von Urteilen des Obersten Gerichtshofs und ihr Widerstand gegen die verbindlichen Stellung­nahmen des Generalstaatsanwalts stark ausgeweitet, was zu einer beispiellosen Verschlechterung der israelischen Demokratie geführt hat.“

Chen Maanit, Aug 28, 2024: “Ignoring the High Court and Attorney General, Israel Is Racing Toward a Constitutional Crisis

Und noch etwas:

Richterin Anat Baron, die wenige Tage nach dem 7. Oktober 2023 aus dem Obersten Gerichtshof Israels ausgeschieden ist, sagte, dass Israel an einem Tiefpunkt angelangt ist; in diesen dramatischen Zeiten hat sie nicht das Gefühl, dass sie das Privileg hat zu schweigen. Sie warnte im Interview:

„Unter dem Radar wird die Demokratie in einer Reihe von Schritten ausgehöhlt. Ich betrachte dies als nichts weniger als eine existenzielle Gefahr.“

‘Make No Mistake, Israel’s Coup Is Alive and Kicking’: A Stunning Warning by Supreme Court Justice Anat Baron” (Gidi Weitz, Jun 28, 2024, Ha’aretz online).