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Der Staat Israel als Landräuber im besetzten Palästina


27. August 2024

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Die „Staatsland“-Erklärungen unter der Lupe

Inhaltsverzeichnis:

•   Grundbesitzregistrierung in Palästina

•   Registrierungsverfahren vor 1967

•   Die jordanische Praxis

•   Die Liste der Landbesitzansprüche

•   Die Aussetzung des Landregistrierungsverfahrens durch das israelische Militär

•   Israels Landraub-Praxis mittels „Staatsland“-Erklärung

•   Fazit

(Vorspann/Abstract:)

Nach der Besetzung des Westjordanlandes im Jahr 1967 durch das israelische Militär installierte Israel eine Militärregierung zur Verwaltung des besetzten Landes. Der israelische Militärbefehlshaber stoppte mit einem Militärbefehl das laufende Verfahren der Registrierung von palästinensischem Landeigentum, das die britische Mandatsregierung 1928 begonnen hatte und 1948 von der jordanischen Regierung bis 1967 fortgeführt worden war.

Was bezweckte der Staat Israel mit dieser Maßnahme? Wem diente er damit? Was ist aus völkerrechtlicher Sicht davon zu halten?

Die vorliegende Untersuchung legt die Hintergründe offen.

Grundbesitzregistrierung in Palästina

Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches infolge des Ersten Weltkriegs erhielt Großbritannien am 19. April 1920 vom Völkerbund das Mandat für Palästina, den südlichen Teil der osmanischen Provinz Syrien.[1]

Zu Beginn ihres Mandats ergänzten die Briten mit der Landverordnung Mewat Land Ordinance (1921) das osmanische Bodengesetz von 1858. Bis dahin hatten nur wenige private Landbesitzer ihr Land grundbücherlich registrieren lassen. Im Jahr 1928 begann daher die britische Mandatsregierung erstmals mit der systematischen Registrierung von Landtiteln in Palästina.[2]

Registrierungsverfahren vor 1967

Die Regelung von Rechten des Landeigentums (settlement of title to land) ist ein komplexes, systematisches und zentralisiertes Verfahren, das naturgemäß vom Staat eingeleitet wird. Es dient dazu, alle Eigentumsrechte an Grund und Boden in dem Gebiet, das der Kontrolle des Souveräns unterliegt, zu ermitteln und anschließend zur Erstellung eines umfassenden Registers in einem bestimmten Gebiet zu erfassen. Die Regelung von Eigentumsrechten ist also ein Verfahren, das durchgeführt wird, bevor ein solches Register existiert, und das die Untersuchung und Prüfung von Rechten erfordert.

Die Eigentumsregistrierung im Westjordanland wurde nach dem Ende der britischen Mandatsherrschaft durch das jordanische Königreich fortgesetzt (Lands and Water Settlement Law and its Amendments No. (40) of 1952, kurz: Jordanisches Siedlungsgesetz). Während der Jahre 1952-1967 erklärten die jordanischen Behörden die Registrierung von insgesamt 150 der 338 Dörfer und Städte im Westjordanland für abgeschlossen.[3] Zusätzlich waren zum Zeitpunkt der israelischen Eroberung 1967 noch in mindestens 16 palästinensischen Dörfern und Städten Verfahren zur Regelung der Eigentumsverhältnisse im Gange und weit fortgeschritten; dabei handelte es sich um eine Fläche von 410 km².

Die jordanische Praxis

Ein Blick auf die jordanische Praxis zur Feststellung und Registrierung von Landtiteln zeigt einen grundlegenden Unterschied zur anschließenden israelischen Verwaltungspraxis:

Die Prüfung der Eigentumsrechte in einem Gebiet oder einer Gemeinde wurde schrittweise durchgeführt. Die Hauptphase des Verfahrens, in dem die Eigentumsansprüche im jeweiligen Wohngebiet durch ein Team vor Ort gesammelt, gerecht und umfassend geprüft und dann in einem detaillierten Bericht dokumentiert wurden („Liste der Ansprüche“), konnte langwierig sein und manchmal mehrere Jahre dauern.

Na’im Suliman Taufiq Ayub war Registrierungsbeauftragter und Leiter der Vermessungsabteilung im Jerusalemer Bezirksamt und in den Jahren 1956-1967 in zahlreichen Funktionen im jordanischen Ministerium für Land und Vermessung tätig. Wenn die Überprüfung ergab, so erklärte er, dass ein Grundstück oder ein bestimmter Landstrich jordanisches Staatseigentum war, wurde dieses Recht in die „Liste der Ansprüche“ eingetragen. Wenn aber der Staat (das jordanische Königtum) nicht als Antragsteller im „Verzeichnis der Ansprüche“ auftauchte, bedeutete dies, dass er keine Ansprüche auf das Siedlungsgebiet hatte.[4] In der Regel erhob das Haschemitische Königreich Jordanien Anspruch auf sehr viel weniger „staatliches Land“, als es die israelische Besatzungspolitik mit ihrer Methode der „Erklärung von Staatsland“ seither praktiziert.

Nach Abschluss der Vermessungsarbeiten zeigte einer der Vermessungsingenieure jedem Grundstückseigentümer sein Grundstück an Ort und Stelle und die Straße, die zu ihm führt.

Die Liste der Landbesitzansprüche

Dieses Verfahren zur Überprüfung von Eigentumsansprüchen, wie es unter der jordanischen Herrschaft zur Erstellung des Anspruchsverzeichnisses durchgeführt wurde, war im Wesentlichen ein Ermittlungs- und Gerichtsverfahren. Mit der Erstellung des Anspruchsverzeichnisses, der „Liste der Ansprüche“, die auf gründlicher Arbeit beruhte, hatte das Verfahren der Eigentumsregelung bereits die entscheidende Phase erreicht, auch wenn der endgültige Grundbucheintrag noch ausstand.

Die Aussetzung des Landregistrierungsverfahrens durch das israelische Militär

Nach der Besetzung des Westjordanlands durch Israel erließ der israelische Militärbefehlshaber einen Befehl zur Aussetzung aller Verfahren, die bis dahin die Eigentumsverhältnisse geregelt hatten.[5] Diese Aussetzung wurde unter anderem mit den Verpflichtungen Israels als Besatzungsmacht und der daraus möglicherweise resultierenden Beeinträchtigung des Rechts der Palästinenser auf Eigentum begründet, etwa solcher, die 1967 das Gebiet verlassen hatten („absentees“). Zwar kann dieser Aussetzungsakt völkerrechtlich gedeckt sein, jedoch nur unter den Regeln des Völkerrechts, denen Israel als Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten unterworfen ist.[6] Da eine militärische Besetzung zeitlich begrenzt sein muss, kann auch die Aussetzung von Verfahren der Eigentumsregelung nur vorläufig sein. Daher darf der Besitzstand, wie er zum Zeitpunkt der Aussetzung dokumentiert war, während der Dauer der Aussetzung nicht verändert werden, und auch alle offenen Verfahren müssen bis zum Ende der Besatzung als „eingefroren“ gelten und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, ohne dass damit frühere Schritte annulliert werden. Grundsätzlich ist es der Militärregierung untersagt, die von ihr geschaffene Situation einseitig für ihre Interessen zu nutzen und die Interessen der lokalen Bevölkerung, die einem Besatzungsregime unterliegt, zu schädigen.

Von der „Zivilverwaltung“ im Westjordanland aufgestelltes Schild (Bildnachweis: Peace Now): “Staatsland – Betreten verboten”.

Israels Landraub-Praxis mittels „Staatsland“-Erklärung

Demgegenüber wurde der Status quo von der israelischen Militärregierung in mehrfacher Hinsicht bis zur Unkenntlichkeit verändert:

  • Insbesondere seit den 1980er Jahren verfolgt der Besatzerstaat aktiv eine Politik, bei der die militärische „Zivilverwaltung“ im besetzten Gebiet (Occupied Palestinian Territory, OTP) Land zu „Staatsland“ erklärt, das mit größter Wahrscheinlichkeit den Eigentumstitel erhalten hätte, wenn das Verfahren der Eigentumsregelung nicht 1967 ausgesetzt worden wäre. Damit wurden Ländereien, für die es bereits eine geprüfte „Liste der Ansprüche“ vom vorangegangenen Souverän (Jordanien) gab, mit Land, für das nie eine systematische und zentralisierte Eigentumsregelung eingeleitet worden war, gleichgesetzt und damit die bereits geprüften Ansprüche völkerrechtswidrig annulliert.
  • Grundsätzlich ist für „Staatsland“ – besser: „öffentliches Land“ – der Souverän verantwortlich. In Israels Besatzungsregime im Westjordanland ist der israelische Militärkommandant an die Stelle des Souveräns getreten. Der Begriff „Staatsland“ ist in diesem Fall irreführend, weil es sich nicht um das Land des Staates Israel handelt, sondern um Eigentum der lokalen palästinensischen Bevölkerung, die unter der Besatzung lebt und vom Besatzer des Westjordanlandes nur verwaltet wird, sodass Israel dort nicht tun und lassen kann, was es für richtig hält. Nach internationalem Recht ist die Besatzungsmacht nicht befugt, solches Land als ihr Eigentum zu behandeln, da es der lokalen Bevölkerung gehört und für deren Bedürfnisse bestimmt ist; es soll für allgemeine, öffentliche Bedürfnisse wie Straßen, öffentliche Einrichtungen und Parks genutzt werden.[7] Doch Israel nutzt das von ihm zum „Staatsland“ erklärte Land fast ausschließlich zum Vorteil seines Siedlerunternehmens in den OPT (einschließlich zur rückwirkenden Genehmigung von wilden „Außenposten“, die selbst Israel als illegal betrachtet) und schließt palästinensische Einzelpersonen und Gemeinschaften davon aus, von diesem Land zu profitieren.[8]

Fazit

Indem die israelische Militärregierung die Aussetzung des Verfahrens zur Regelung von Eigentumsrechten missbraucht, um palästinensisches Land als „Staatsland“ zu beanspruchen, auf das der frühere Souverän keinen Anspruch erhoben hatte, und es schließlich entgegen internationalem Recht zugunsten des israelischen Siedlungsunternehmens nutzt, hat der Militärbefehlshaber die vom Völkerrecht eingeräumten begrenzten Verwaltungsbefugnisse entscheidend überschritten. Mit seiner Politik des Landraubs im Westjordanland verletzt der Besatzerstaat Israel unwiderruflich die grundlegendsten Rechte des palästinensischen Volkes.

Fritz Weber, August 2024


[1]  Das Mandat wurde am 24. Juli 1922 vom Rat des Völkerbundes ratifiziert, unter der Bedingung,

„dass nichts getan werden soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina […] beeinträchtigen würde“.

[2]  Land (Settlement of Title) Ordinance, 1928, Official Gazette of the Government of Palestine, 1928.

[3]  Michael R. Fischbach: “The Implications of Jordanian Land Policy for the West Bank”, Middle East Journal 48(3), 1994, S. 492-509.

[4]  “Ill-Gotten Gains: Theft of Palestinian land – declaring ‘state land’ where settlement of title was halted when Israel occupied the West Bank”, PDF position paper, Jesh Din, Mar 15, 2023, p. 13.

[5]  Die Aussetzungsanordnung hat die Bezeichnung: Order Concerning Land and Water Settlement (Judea and Samaria) (No. 291), 1968.

[6]  Das Bodenrecht im Westjordanland basiert auf dem Recht, das vor der israelischen Besetzung in Kraft war. Dazu gehört nicht nur das osmanische Gesetzbuch sowie Änderungen und Ergänzungen aus der Zeit des britischen Mandats und der anschließenden jordanischen Herrschaft; es hat – als Folge der Besetzung durch das israelische Militär – auch zwei zusätzliche Komponenten: Erstens die Regeln des humanitären Völkerrechts – der rechtliche Rahmen von Regeln, die für die Besatzungsmacht gelten und die Rechte der unter dem Besatzungsregime lebenden Personen schützen – und zweitens die militärischen Befehle, die der Militärbefehlshaber nach der israelischen Eroberung des Westjordanlandes auf der Grundlage dieser völkerrechtlichen Befugnis erteilt hat.

[7]  Nach dem osmanischen Bodengesetz von 1858 galt matrouk als Land in öffentlicher Nutzung, etwa als Weideland oder für eine öffentliche Straße.

[8]  Den Palästinensern wurden gerade einmal 0,25 % des gesamten „Staatslands“ im Westjordanland zugewiesen, das von der militärischen „Zivilverwaltung“ seit 1967 für irgendeine Art von Nutzung bereitgestellt wurde. (Yotam Berger: “Palestinians Have Received 0.25 % of State Land Israel Has Allocated in the West Bank Since 1967”, Ha’aretz July 18, 2018. S. auch Yesh Din: “Through the Lens of Israel’s Interests: The Civil Administration in the West Bank”, p. 16-18.)