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GAZA als Wählermobilisierungsfaktor?


6. Juli 2024

Erste „Take aways“ von den britischen Unterhauswahlen

Vier unabhängige pro-palästinensische Kandidaten haben sich im UK durchgesetzt. Mit dem pro-palästinensischen Ex-Labour-Abgeordneten Jeremy Corbyn sind das fünf Mandate. Das ist weniger als 1% der Abgeordneten, aber mehr als es aussieht. 

Erstens verfallen bei dem minderheitenfeindlichen englischen Mehrheitswahlrecht („The winner takes it all“) alle Reststimmen eines Wahlkreises und können sich nicht zu Reststimmenmandaten summieren, was es kleinen und neuen Parteien extrem schwer macht. Zum Vergleich, die Grünen und die „Reform UK“-Partei des Brexit-Gurus Nigel Frarage haben auch nur vier oder fünf Abgeordnete. 

Zweitens setzten pro-palästinensische Kandidaten dem großen Gewinner des Tages, der pro-genocide Labourparty auch in anderen Wahlkreisen schwer zu. 

  • Parteichef Keir Starmer hielt seine Mandat gegen den früheren südafrikanischen ANC-Politiker Andrew Feinstein nur mit einem Verlust von 17% der Stimmen im Vergleich zur letzten Wahl. Der hoch favorisierte Labour-Kandidat Wes Streeting, ein Mitglied des Labour-Schattenkabinetts, der als künftiger Gesundheitsminister gehandelt wird, gewann gegen einen pro-palästinensischen Kandidaten nur mit einem Abstand von 528 Stimmen. Der Guardian zitiert den Meinungsforscher Luke Tryl dazu wie folgt: “Crikey. Every focus group we’ve done in the area suggests Wes is hugely popular, so I think this really does show that Labour have a bigger problem on the left – driven by Gaza – than we thought.” Und die Labour Party ist sich ihrer offenen Flanke in der Gaza-Frage offensichtlich durchaus bewusst. „Labour need to take the votes lost over Gaza as seriously as we took the loss of Red Wall“tweetete der ehemalige Blairberater John McTernan. 
  • Freilich verlor Langzeit-Palästina-Unterstützer George Galloway sein bei den Nachwahlen im Februar gewonnenes Mandat wieder, aber Kandidaten seiner neuen Workers Party setzten Labour in anderen Wahlkreisen durchaus zu, freilich ohne Mandatsgewinn.
  • Auch für die Grünen, die sich von einem auf vier Mandate verbessert hatten, war Gaza offensichtlich ein Ticket zum Erfolg, da deren Kandidaten stark für einen Waffenstillstand in Gaza kampagnisiert hatten.

Eine durchmischte aber keineswegs hoffnungslose erste Bilanz für die „Liste Gaza“, die in Österreich unter ganz anderen rechtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen antritt. 

Lehren für die Liste Gaza? 

Vielleicht das Ermutigensde an den britischen Unterhauswahlen ist die folgende Beobachtung einer Guardian-Analyse„Yet there is no doubt that against a blanket of apathy that has pushed turnout to potentially its lowest in more than a century, the conflict in Gaza has been one of the biggest driving factors for the most highly motivated part of the electorate.“ 

Weiters hält die Analyse fest: „It would be wrong to suggest Gaza is the concern of the Muslim community alone. It is not. And no community is a monolith. Voters of all demographics have relayed to us their concerns about healthcare, housing and the cost of living crisis in recent weeks.“

Tatsächlich könnte die Liste Gaza Wähler motivieren, die schon lange kein Interesse mehr an der Qual der Wahl des geringeren Übels haben, wenn es ihr gelingt Gaza als eine – ethnische Gruppensolidarität übersteigende – die ganze Menschheit betreffende Frage dazustellen, und sich nicht von den im Land anstehenden sozialen und politischen Fragen separieren zu lassen. Gutes Gelingen!

Peter Oberdammer