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Igor Böhm: Schallenbergs Blutrausch


2. Juni 2024

Rede des Publizisten Igor Böhm, Freistadt, Oberösterreich, bei der Palästina-Demo am 1.6.24 am Wiener Heldenplatz


„Das Massaker an unschuldigen Menschen [in Rafah] ist eine ernste Angelegenheit. Es ist keine Sache, die man so leicht vergisst und es ist unsere Pflicht, ihr Andenken zu bewahren.“ — Mahatma Gandhi

“Keine Erklärung, keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung könnte jemals den Horror [in Rafah] vertuschen. Es wäre am besten, wenn Israels Propagandamaschine es nicht einmal versuchen würde. Keine Geschichten mehr darüber, dass „die Hamas für alles verantwortlich ist“, und keine Ausreden, die darauf hindeuten, dass sich die Hamas unter der Zivilbevölkerung versteckt. Für Horror dieses Ausmaßes gibt es keine andere Erklärung als die Existenz einer Armee und einer Regierung, denen jegliche Grenzen durch Gesetz oder Moral fehlen.” 1

Jeder, der sich nur einen Bruchteil seiner Zeit mit der Thematik auseinandersetzt, kann nur zu einem Schluss kommen, wenn berücksichtigt wird, dass „mehr als 36.000 Menschen getötet […] und mehr als 81.000 verletzt wurden, obwohl die tatsächliche Zahl der Todesopfer wahrscheinlich viel höher ist da [noch immer] Tausende von Menschen unter den Trümmern zerstörter Gebäude vermisst werden.“ 2 Was Israel seit dem 7. Oktober in Gaza angerichtet hat, ist in jeglicher Hinsicht absolut beispiellos und offensichtlich erkennbar, wenn man „die Intensität der Bombenangriffe, die Dichte der Bombenangriffe, dem Ausmaß der Zerstörung ziviler Infrastruktur, der absoluten Zahl getöteter Kinder, der relativen Zahl getöteter Kinder, der Zahl getöteter medizinischer Mitarbeiter, der Zahl getöteter Journalisten [und] der Zahl getöteter UN-Mitarbeiter“ in Betracht zieht.3 Das ist auch der Grund, warum Israel vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) gebracht wurde. 

Bedauerlicherweise ist „das vorherrschende Verhalten [in Österreichs politischer Landschaft] eines der Empörung, [aber nicht über die israelischen Verbrechen,] sondern über die Verbrechen [der Hamas], mit einem [heuchlerischen und] selbstgefälligem Appell an [unsere] hohen Prinzipien [und Werte].“ 4 Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg erklärte düster, dass die Ermordung von 1.105 Israelis 5 am 7. Oktober „wirklich ein Zivilisationsbruch“ gewesen sei, der „in seiner Grausamkeit […] alles in den Schatten stellte“, und beklagte die Tatsache, dass die angeblich authentischen Videos und Fotos der Grausamkeit der Hamas, die ihm zugesandt wurden, ihn für den Rest seines Lebens verfolgen werden. 6 Anschließend bedankte er sich für Österreichs klare Haltung zur bösen Geißel des Terrorismus und verwies darauf, dass Mord eben Mord ist und nicht kontextualisiert werden darf, denn das wäre eine Relativierung. 6

Angesichts der „entsetzlichen Bilder des Massakers in Rafah, die bei führenden [ausländischen] Politikern und globalen Organisationen auf breiter Front Verachtung hervorriefen“ 2, besitzt Schallenberg die bemerkenswerte Fähigkeit, die israelischen Verbrechen, für die wir Mitschuld tragen, einfach „nicht zu erkennen“. Vielleicht ist Schallenbergs Schweigsamkeit in Bezug auf Rafah schlicht und einfach nur dem Umstand geschuldet, dass ihm niemand Video- und Fotomaterial des Blutbads geschickt hat, welches nur so nebenbei als „eines der schlimmsten Massaker, die wir in den letzten siebeneinhalb Monaten gesehen haben“ beschrieben wurde. Auf den Videoaufnahmen des Gemetzels sind Palästinenser zu sehen sind, die verzweifelt versuchen, verkohlte Leichen aus dem immer noch wütenden Feuer zu bergen. Ein Video zeigt einen Mann, der den schlaffen Körper eines kopflosen Babys hochhält! 2 Wo bleibt Schallenbergs Empörung über „die Grausamkeit, diesen Blutrausch, [und] die Entmenschlichung,“ die er an Hamas so verwerflich fand!? Liest er denn nicht einmal die Nachrichten, in denen Überlebende berichteten, dass „der Sand sich von der [großen] Zahl der Verletzten rot färbte“ und „[Rafah] als einen Schauplatz des reinen Grauens“ beschrieben? 7 Es muss doch irgendjemanden aus Österreichs politischem Spektrum geben, der Schallenbergs groteske Heuchelei und politisches Fehlverhalten zumindest kritisiert. Leider scheint es bei allen politischen Parteien eine Verpflichtung zum Schweigen zu geben, was diese Angelegenheiten betrifft; das ist zwar verwerflich, aber durchaus nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer deutlich hervorgehoben hat, dass wir (hiermit meint er die politischen Parteien) „quer über Parteigrenzen und politische Ansichten hinweg, geeint sind in unserer Solidarität mit dem israelischen Volk und dem Staat Israel.“ 8

Was ich am erschreckendsten finde, sind nicht die rechtsextremen Mitglieder der israelischen Knesset mit ihren absurden Behauptungen, dass „ein Atomangriff auf den Gazastreifen eine Option ist“ 9, sondern die abgehobenen Ausführungen unserer Politiker und Journalisten, die ständig das lächerliche Argument rationalisieren, dass Israel das Recht hat, sich so zu verteidigen, oder unter Ausschluss der Palästinenser darüber sinnieren welche Regierungsform für uns in Gaza akzeptabel wäre. Was ich erschreckend finde, ist die Distanz und Gelassenheit all unserer politischen Parteien, mit der sie die unerträgliche Tragödie betrachten und diskutieren, die Israel Gaza zufügt. Wir alle wissen doch, dass wir vor moralischer Empörung über diese abscheulichen Verbrechen explodieren würden, wenn Russland oder China für das verantwortlich wären, was Israel in Gaza getan hat. Wie schon der berühmte englische Dichter John Milton in seinem Meisterwerk “Das verlorene Paradies” schrieb, ist es in der Tat die Heuchelei „die das einzige Übel ist, das für alle, außer dem Allmächtigen, unerkannt bleibt.“

Quelle: https://9lab.org/event/rally-for-peace-in-palestine-june-01.-2024-at-vienna/index.html

Igor Böhm: Demo Hände weg von Rafah 1.6.24 Wien