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Rede auf der Demo für Frieden in Palästina in Linz am 24.5.


28. Mai 2024

Igor Böhm

Es gibt viele Gründe, warum Menschen sich Friedensaufrufen anschließen. Einige sind hier, um den palästinensischen Befreiungskampf zu unterstützen; andere wiederum, weil sie angesichts der israelischen Massenmordkampagne gegen Frauen, Kinder und Männer, die in Gaza mit der Komplizenschaft unserer Regierung verübt wird, nicht gleichgültig bleiben können. Einige sind hier, weil sie an das fundamentale moralische Prinzip glauben, dass Gewalt falsch ist und Aggression gegen Gewalt genauso unrecht ist. Manch einer ist besorgt um das Verhalten der österreichischen Regierung rund um den Versuch, die freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit einzuschränken. Es gibt einige, die die vorherrschende Doppelmoral nicht länger hinnehmen wollen und der Meinung sind, dass jede Gräueltat und jedes Kriegsverbrechen verurteilt werden sollte, unabhängig davon, wer der Täter oder das Opfer ist. Die Genfer Konvention gilt entweder für alle oder für niemanden. Während unsere Beweggründe unterschiedlich sein mögen, ist unser Ziel doch ein gemeinsames: der Aufruf zu Frieden und Gerechtigkeit für alle Menschen “from the River to the Sea”!

So wie wir uns in der Überzeugung einig sind, dass Frieden wiederhergestellt und internationales Recht gewahrt bleiben muss, sind unsere Medien und unsere Regierung bedauerlicherweise weit entfernt von dieser Erkenntnis, denn sie stellen sich ausnahmslos schützend vor Israel und sorgen durch eine beispiellose diplomatische und mediale Unterstützungskampagne dafür, dass Israel absolute Straflosigkeit genießt. In einem aktuellen „Presse“ Artikel macht sich eine anerkannte Journalistin Sorgen „dass die Gräueltaten der Hamas weniger Schrecken hervorrufen als die Vergeltungsmaßnahmen Israels“, was „einen Rückfall in die Barbarei“ darstellt. 1 Diese Tatsachen scheinen in unseren Medien irgendwie keine Rolle zu spielen, wenn Journalisten noch immer schreiben können, dass der Angriff der Hamas „kein Terroranschlag“ war, sondern „eine Gewaltexplosion, die Jahrhunderte der Zivilisation ausgelöscht hat […]“ Man könnte noch viele weitere ähnliche Bemerkungen aus den Medien anführen, aber es ist deprimierend, damit fortzufahren. Noch trauriger ist, dass trotz eines solchen Ausmaßes an journalistischem Fehlverhalten die Autoren solcher Artikel trotzdem mit Auszeichnungen für außerordentliche publizistische Leistungen geehrt werden. 2

Was die diplomatische Unterstützung betrifft, so ist „Österreich das einzige westeuropäische Land, dessen Regierung [Israel schon vor dem 7. Oktober] aktiv vor E.U. Sanktionen wegen Netanjahus Plan, Teile des Westjordanlandes zu annektieren, [geschützt hat].“ Österreich kann diese Aufgabe problemlos erfüllen, da „neue Sanktionen […] einen [vollständigen] Konsens unter allen […] E.U. Mitgliedern erfordern“. 3 Als am 27. Oktober 2023 bei den Vereinten Nationen über eine Resolution abgestimmt wurde, die einen Waffenstillstand in Gaza fordert, lobte der ehemalige israelische UN-Botschafter David Roet, „Österreich dafür […] gegen [die Waffenstillstand] Resolution gestimmt [zu haben]“. 4 Da die anhaltende Katastrophe in Gaza keine Anzeichen eines Abklingens zeigte, wurde am 12. Dezember 2023 eine weitere UN-Sondersitzung einberufen, in der für eine Resolution gestimmt wurde, die einen „sofortigen humanitären Waffenstillstand“, die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln sowie „die Gewährleistung“ für humanitären Zugang forderte“. Wieder stimmte Österreich gegen diese Resolution, zusammen mit nur einem anderen EU-Land, nämlich seinem Nachbarn Tschechien. 5

In beiden Fällen verteidigte der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer seine ablehnende Haltung, indem er hervorhob, dass „eine Resolution, in der die Terrororganisation Hamas nicht genannt wird, in der die von der Hamas am 7. Oktober begangenen Gräueltaten nicht verurteilt werden und in der Israels Recht auf Selbstverteidigung […] nicht erwähnt wird – […] von Österreich nicht unterstützt werden kann.“ 6 Nehammers Grundannahme geht nämlich davon aus, „dass Israel den höchsten moralischen Werten […] verpflichtet ist“ und sich gegen „die Palästinenser, den Inbegriff von Extremismus, Terrorismus und Barbarei“, verteidigt. 7 (p.36) Dass Israel als Terrorstaat nicht genannt wird und seine äußerst unverhältnismäßige und brutale Vergeltungskampagne nicht verurteilt wird, stört Nehammer nicht im Geringsten, denn seine groteske Doppelmoral hindert ihn daran, die elementarsten Schlussfolgerungen zu ziehen. Und obwohl es wahr ist, dass ein Staat das Recht hat, sich gegen kriminelle Angriffe zu verteidigen, folgt daraus nicht, dass er das Recht hat, sich mit Gewalt zu verteidigen. „Das geht weit über jedes Prinzip hinaus, das wir akzeptieren würden oder sollten. Putin hatte kein Recht, [trotz des aggressiven Vorgehens der NATO in die Ukraine einzumarschieren oder] 8 als Reaktion auf den tschetschenischen Terror Gewalt anzuwenden. […] Die Kristallnacht wurde nicht durch Herschel Grynszpans Ermordung eines Beamten der deutschen Botschaft in Paris gerechtfertigt.“ 9 (p.116) Leider wird ein solch rationales Verständnis der Sachlage von vornherein im öffentlichen Diskurs ausgeklammert, da es jenseits erlaubter orthodoxer Denkmuster liegt.

Außenminister Alexander Schallenberg kommentiert Österreichs ablehnende Haltung, in dem er sagt: „Natürlich ist es das Ziel, irgendwann eine Waffenstillstandsvereinbarung zu erreichen, aber die Frage ist nur das Timing“ und jetzt sei einfach kein guter Zeitpunkt. 10 Leider erwähnt Schallenberg nicht, wie viele Menschen noch massakriert werden müssen, bis er den Zeitpunkt für einen Waffenstillstand als günstig beurteilt. Man kann diese Aussage aber auch so auslegen, dass sich Schallenberg auf eine erfolgreiche ethnische Säuberungskampagne durch die Vertreibung von Palästinensern aus Gaza bezieht, wenn er die Bedeutung eines „guten Timings“ hervorhebt. Nun könnte man argumentieren, dass Schallenbergs Auslegung bezüglich des „guten Timings“ abstoßend ist, kann ihm aber nicht vorwerfen, dass es ihm an Logik mangelt! Denn es ist offensichtlich, dass ein Waffenstillstandsabkommen in Gaza nach der Vertreibung der Palästinenser viel „einfacher“ zu erreichen ist, da niemand da ist, der dem entgegenwirken kann. Um sicherzustellen, dass die Sorgen Österreichs für die Region nicht missverstanden werden, fügt Bundeskanzler Karl Nehammer hinzu, dass „Österreich […] sich stets für eine ausgewogene Position im Nahostkonflikt eingesetzt [hat] und betont, wie wichtig es ist, beide Seiten des Konflikts fair zu behandeln.“ Darüber hinaus hebt Nehammer hervor, dass die Ablehnung der [U.N.-]Resolution nicht als Mangel an Solidarität mit dem palästinensischen Volk verstanden werden dürfe.“ 11 Der Grad des Zynismus in diesen Aussagen ist erdrückend Dass Nehammers Aussagen überhaupt möglich sind, ohne dass sie lächerlich gemacht werden, ist ein weiterer Beweis für den außerordentlichen Erfolg der Indoktrination durch unsere Politik und Medien gegen die wir ankämpfen müssen.

Zusätzlich zur internationalen diplomatischen Unterstützung für Israel hat die österreichische Regierung auch auf Gesetzesebene ganze Arbeit geleistet. Sie hat die Hamas nämlich auf das gleiche Niveau wie die Nazis gehoben, 12 indem sie Ende letzten Jahres das Verbotsgesetz ausgeweitet hat. Ursprünglich zielte das Verbotsgesetz auf die Entnazifizierung Österreichs ab, indem es jede Verharmlosung oder Relativierung des Nazi-Holocausts oder anderer Nazi-Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe stellt. In der aktuellen Fassung soll „jeder, der in Zukunft öffentlich [Nazi-]Abzeichen oder Hamas-Symbole trägt, gleich hart bestraft werden.“ 13  Gesetze dieser Art werden zur Absicherung für den Fall eingeführt, wenn der Versuch, die israelische Massenmordkampagne zu rechtfertigen, misslingt. Die Erweiterung des Verbotsgesetzes wird also dazu missbraucht, um zu verhindern, dass die öffentliche Meinung mit unbequemen Fakten überfrachtet wird.

Der berühmte Philosoph Bertrand Russell hatte einmal gesagt, “dass es in einer Demokratie notwendig ist, dass die Menschen lernen, es zu ertragen, wenn ihre Gefühle empört werden.“ 14 (p.448) Aus diesem Grund ist es zwingend notwendig, die Meinungsfreiheit in Österreich wiederherzustellen, da sie die Grundlage für eine rationale Entscheidungsfindung darstellt, besonders in Konfliktsituationen. Gleichzeitig muss sowohl die Stigmatisierung und Kriminalisierung von Solidaritäts- und Friedensbefürwortern ein Ende nehmen, als auch eine Rückkehr Österreichs zur Diplomatie und Einhaltung des Völkerrechts stattfinden.

Redebeitrag auf Englisch: https://znetwork.org/znetarticle/breaking-the-free-speech-exception-to-palestine-in-austria/


  1. Anneliese Rohrer, Wenn die Frage nach genügender Kompetenz überflüssig wird, Die Presse, Mar.1, 2024. ↩︎
  2. Concordia-Medienpreis: Anneliese Rohrer für Lebenswerk ausgezeichnet, Die Presse, Apr.9, 2024. ↩︎
  3. Cnaan Liphshiz, Sebastian Kurz has totally shifted Austria’s treatment of Israel. Is it because of a bromance with Benjamin Netanyahu?, Jewish Telegraphic Agency, Jun.19, 2020. ↩︎
  4. Matthew Karnitschnig, How Hitler’s homeland became Israel’s European BFF, Politico, Nov.15, 2023. ↩︎
  5. UN resolution, demanding an “immediate humanitarian ceasefire”, the immediate and unconditional release of all hostages and well as “ensuring humanitarian access”, Dec.12, 2023. ↩︎
  6. Österreich stimmte gegen UNO-Resolution zu Waffenruhe, Kurier, Oct.28, 2023. ↩︎
  7. Noam Chomsky, “Pirates and Emperors, Old and New: International Terrorism in the Real World”, Haymarket Books, 2015. ↩︎
  8. Benjamin Schwarz, Christopher Layne: Why Are We in Ukraine? On the dangers of American hubris, Harper’s Magazine, Jun 2023. ↩︎
  9. Noam Chomsky, Ilan Pappe: Gaza in Crisis, reflections on the U.S.-Israeli war on the palestinians, Haymarket Books 2013. ↩︎
  10. Christian Ultsch, Schallenberg: „Die Hamas muss verschwinden“, Die Presse, Nov.18, 2023. ↩︎
  11. Austria’s Rejection of UN Resolution Raises Questions Within the Government ↩︎
  12. Raffaela Lindorger, Strafverschärfung: Nazis und Hamas auf eine Stufe gestellt, Kurier, Nov.11, 2023. ↩︎
  13. Innenministerium, Entschiedenes Vorgehen gegen Antisemitismus und NS-Verherrlichung, Artikel Nr: 26295, Nov.8, 2023. ↩︎
  14. Norman Finkelstein, I’ll Burn That Bridge When I Get To It! Heretical Thoughts on Identity Politics, Cancel Culture, and Academic Freedom, Sublation Media, 2023. ↩︎