Site-Logo
Site Navigation

Al Nakba und der Schlüssel zur Rückkehr


27. Mai 2024

Ausschnitte dieses Texts wurden auf der Nakba Veranstaltung in Graz vorgetragen

Al Nakba  ist die „große palästinensische Katastrophe“ bei der 1947 und 48 mehr als 700 000 Menschen vertrieben wurden und der Tausende in Massakern zu Opfer fielen. Sie war kein einzelnes historisches Ereignis.

Sie reiht sich ein in die vielen Tragödien des 19., 20. und 21. Jahrhunderts, welche die Völker des Südens erlitten. Ihre Länder und Rohstoffe standen im Visier westlicher Großmächte, die miteinander um Vorherrschaft rangen.

Kuba zum Beispiel wurde mehrmals kolonisiert von 1840 an, bis es 116 Jahre später endgültig seine Befreiung erkämpfte.

In den antikolonialen Kämpfen in Vietnam verloren 500 000 Menschen ihr Leben, noch vor dem dem größten Chemiewaffenangriff, bei dem die USA das Gift Agent Orange versprühten. 150.000 Kinder sind seit dem Krieg mit schweren Behinderungen zur Welt gekommen, 3 Millionen Menschen leiden unter den Spätfolgen des Gifts.

Im arabischen Raum gab es ab dem 19. Jhdt. fünf Siedlerkolonien. Von 1911-71 wüteten italienische Soldaten in Libyen. Zwei Drittel der libyschen Bevölkerung wurde durch völlige Zerstörung von Städten und Dörfern, Hungersnöte und Krankheiten, bis hin zum Massenmord ausgelöscht.

Frankreich unterwarf Marokko, Tunesien und Algerien einem grausamen Kolonialregime mit mehr als 1,5 Millionen Opfer bis zur Befreiung.

Die schwarze Bevölkerung Südafrikas kämpfte seit Anfang des 19.Jahrhunderts gegen die Apartheid, und sie wurde erst 1994 abgeschafft.

Die Ideologie dieser Kolonialregimes war durchtränkt mit Rassismus. Jede Grausamkeit, jedes Massaker rechtfertigten sie mit der „Last des weißen Mannes“, dessen Pflicht sei „den Barbaren die Zivilisation zu bringen“. Die sogenannte Wissenschaft des Sozialdarwinismus bestätigte die „rassische Minderwertigkeit“ der Kolonialisierten für die weiße Herrschaft.  

In Palästina war es die britische Kolonialregierung, die für die Zionist:innen die Herrschaft als Siedlerkolonie vorbereiteten. Der Österreicher Theodor Herzl versprach den europäischen Kolonialmächten  ein „Sperrwall gegen die Barbarei“ zu sein.

Palästina ist bis heute eine Kolonie. Und bis heute hören wir diese Sprache gegen die Palästinenser:innen. Wir müssen hören, sie seien Barbaren. Einige Zionist:innen gingen soweit ihnen das Menschsein abzusprechen. Exakt jene Sprache, die schon in den vorherigen Jahrhunderten die grausamen Massaker in vielen Ländern des globalen Südens begleitete.

1955 schrieb die Zeitung Ma’ariv: Die arabisch-islamischen Länder leiden an der schlimmsten aller Plagen: dem Islam. Die Gefahr liegt in der islamischen Psyche selbst…sie sind wahnbeherrscht und bar jeglicher Vernunft…sie missachten alle Werte, die der zivilisierten Welt heilig sind…

2024 lesen wir im österreichischen jüdischen Magazin nu ein Interview mit einem sogenannten Sicherheitsberater, dass der israelische Fehler, der zum 7.Oktober geführt habe, darin liege, dass man „bei Barbaren nicht warten kann, bis sie den nächsten Krieg beginnen“, man müsse sie zuvor zerstören. https://nunu.at/artikel/wir-muessen-sie-angreifen-bevor-sie-uns-toeten-koennen/

Und:

Es gehe nicht um Israel, nicht um den Nahen Osten, sondern um die Fähigkeit zivilisierter Gesellschaften, sich gegen Barbaren zu verteidigen (…) Barbaren gewinnen zu lassen, sei schlimmer als Krieg.

Diesen Rassismus frei zu verkünden ist in Österreich möglich. Hingegen wird mittlerweile  schon dem „Free Palestine“-Slogan Antisemitismus unterstellt. Im Denken der kriegstreibenden Kräfte hat sich seit der Zeit Herzls nichts geändert.

Dabei gab es den Versuch durch ein internationales Gesetz Kriegsgräuel einzudämmen schon 1899. Gegen Kolonialisierte wurde es ignoriert. Revoltierende Afghan:innen wurden durch britisches Giftgas ermordet (1920), der Rif Aufstand in Marokko niedergemacht (1921-27), widerständige Äthiopier:innen erstickt (1935-36).

Heute haben wir die UNO und das Völkerrecht: Beides hielt die USA nicht vom Einsatz chemischer Waffen im Irak ab und Israel setzt weißen Phosphor in Gaza und im Südlibanon ein. Phosphor ist ein Folterinstrument. Es verbrennt den Menschen von innen und außen.

Auch das Einzäunen von Menschen, ihre Aushungerung und damit langsame Ermordung sind gegen das Internationale Recht. An das sich Israel nicht hält und nie gehalten hat.

Genozid gilt als das schlimmste Verbrechen im Völkerstrafrecht. Die Zahl der Toten in Gaza liegt heute, am 222sten Tag des israelischen Massakers  (26. Mai 2024) bei mindestens bei 35.984.

Ob es der Internationale Gerichtshof nun bestätigt oder nicht, Live-Videos beweisen die Ermordung der Bevölkerung durch Bombardierung und Aushungerung. Sollte die Bestätigung ausbleiben, könnte dies nur als Fehlurteil gewertet werden, wurde doch das Massaker an 8.000 Jungen und Männern 1995 in Srebrenica sehr wohl als Völkermord anerkannt.

1947/48 war diese Berichterstattung nicht möglich. Die Massaker der Nakba 1948 sind durch zahlreiche Augenzeug:innenberichte bestätigt, wie in palestineremembered.com einzusehen ist.

Dina el Muti berichtet, was ihre Grossmutter in Deir Yassin erlebt hat. https://electronicintifada.net/content/deir-yassin-makes-mockery-israels-never-again-pledge/35176

Es ist so grausam, dass man nur stumm nicken kann, wenn sie schreibt, dass das Massaker von Deir Yassin den Weg für alle weiteren Gräueltaten geebnet hat. Vom Todesmarsch aus Lydda und Ramle, über die Vertreibungen bis und nach 1967, den unzähligen Hauszerstörungen in Al Quds/Jerusalem, den gezielten Erschießungen in der Westbank und den Flüchtlingslagern, den massenhaften Inhaftierungen und Folterungen und langsamen Tötungen im Gefängnis bis hin zu den Bombenteppichen auf Gaza in Etappen und dem Genozid heute.

Der israelische Landwirtschaftsminister sagte im November 2023 „Wir rollen jetzt die Nakba 2023 aus“.

Tatsächlich fabulierte derselbe Minister schon 2007 öffentlich von einer Nakba als er sagte: „Wer Jahr für Jahr über eine Nakba weint, soll sich nicht wundern wenn es wieder eine Nakba gibt.“

https://www.newarab.com/news/israel-rolling-out-gaza-nakba-2023-minister-says

Netanjahu rollte im September 2023 (!) vor der UN-Vollversammlung eine Karte aus, auf der sich Israel vom Jordan bis zum Mittelmeer erstreckte – ohne irgendeine palästinensische Spur. Auch Gaza war nicht eingezeichnet.

Nach all den Tatsachen, dem Erlass des Nationalstaatsgesetzes 2018, welches die jüdische Suprematie nochmals gesetzlich festschrieb, der Bewaffnung der Siedler im Westjordanland, den Bombardierungen und der Abschnürung von Gaza, den ständigen Siedler:inneninvasionen ins Al-Aqsa-Areal, den um sich greifenden Inhaftierungen und Erschießungen, der Ankündigung der Todestrafe für Gefangene, war klar, dass die verantwortlichen Israelis die Schrecken der permanenten Nakba seit 1948 immer weiter kulminierten.

Die extreme Bewaffnung der Besatzungsmacht ermöglichte die Nakba 1947/48 und 2023/24 ist es nicht anders:

Die zionistischen Paramilitärs vor der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 bekamen ihre Waffen von der Engländern, also der britischen Kolonialmacht. Britannien wollte sich seine Kolonie sichern und förderte die jüdisch-zionistische Besiedelung und Bewaffnung. Ohne diese Bewaffnung wäre es für die zahlenmäßige Minderheit der Zionist:innen unmöglich gewesen, den jüdischen Staat auszurufen.

Heute sind es wieder die Waffen Großbritanniens und noch vielmehr jene seiner Nachfolgerin in der Weltherrschaft, der USA, die das Morden von so vielen Menschen in so kurzer Zeit möglich machen. Präsident Biden bestätigte das vor kurzem selbst – ein kalkulierter Ausrutscher, um die Situation auf den US-Universitäten zu beruhigen oder die Verhandlungen in US-Sinne zu beeinflussen. Auch Deutschland beteiligt sich an diesen Waffenlieferungen.

Der Schlüssel hat eine vieldimensionalen Bedeutung in der palästinensischen Geschichte.

Er war jahrzehntelang ein Beweis für die palästinensische Existenz in 1948.

Die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir hatte ja noch 1969 geleugnet, dass es überhaupt ein palästinensisches Volk gibt.

Diese Lüge änderte sich mit dem fortgesetzten Widerstand der Palästinenser:innen. Mit jeder Intifada wurde es schwieriger diese Behauptung aufrechtzuerhalten.

Die Realität holte schließlich Ende der 1980er Jahre auch jüdische Historiker:innen ein – mit der teilweisen Öffnung der israelischen Militärarchive bestätigten sie, was palästinensische Historiker:innen schon zuvor erforscht und zahlreiche Zeitzeug:innen bezeugt hatten: die gewaltsame Vertreibung der indigenen Bevölkerung, flankiert durch Massaker an der Zivilbevölkerung und Todesmärsche.

Während der  zweiten Intifada gründete sich 2002 die Organisation Zochrot. Sie berichtete auf Hebräisch über die Nakba und ab da konnte kein Israeli mehr sagen, er/sie habe von nichts gewusst… Das traf die zionistische Ideologie in ihrer Substanz und 2011 sah die Regierung sich gezwungen ein Gesetz zu verabschieden, mit dem jeder Organisation Geld entzogen werden kann, die über die Nakba spricht. Das wiederum brachte der Nakba noch mehr Aufmerksamkeit, und der bescherte der zionistischen Geschichtsleugnung eine enorme Niederlage.

Die Intifadas der Palästinenser:innen waren der Schlüssel dazu, das Schloss zur Wahrheit für die Jüd:innen in 1948 und für die Weltöffentlichkeit aufzusperren.

Auch im Osloer Abkommen spielte der Schlüssel eine wichtige Rolle.

Die UN Resolution 194 (III), Artikel 11, vom 11. Dezember 1948 spricht den palästinensischen Flüchtlingen und ihren Nachkommen das Recht auf Rückkehr und Restitution zu.

In den Verhandlungen um Oslo verlangte Israel den Verzicht der Palästinenser:innen auf dieses Recht. Die PLO unter Arafat lehnte dies ab. Der Schlüssel blieb in palästinensischer Hand.

Es ging um das Rückkehrrecht von mindestens 5,9 Millionen Palästinenser:innen, von denen 2,4 Millionen in Jordanien leben (Stand 2022 nach UNWRA-Angaben). Als Palästina-Flüchtling zählt eine Person, die ihren Wohnsitz und ihre Lebensgrundlage 1948 verloren hat. Auch deren Nachkommen haben das Recht auf Rückkehr.

Es gibt 58 palästinensische Flüchtlingslager in Jordanien, Libanon, Syrien, Gaza, Westjordanland und Ostjerusalem. Dort – und durch die mehrfachen Kriege mehrmals vertrieben überall auf der Welt, leben noch viele der 1948 in die Flucht getriebenen Menschen.

Die Palästinenser:innen in den Flüchtlingslagern tragen den Schlüssel in ihrem Herzen. Doch er kann viele Formen annehmen. Er kann ein Wort sein, ein Stein, eine Waffe. Denn auch das Recht auf Widerstand ist im Internationalen Gesetz festgeschrieben. Die Resolution 45/130 (1990) der UN-Generalversammlung gibt den Palästinenser:innen das Recht auf Widerstand gegen die Besatzungsmacht «mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, einschließlich dem bewaffneten Kampf» www.un.org/unispal/document/auto-insert-184801/

in: https://globalbridge.ch/eine-besatzungsmacht-hat-kein-recht-auf-selbstverteidigung-gegen-die-besetzten/

Auch das Recht ist ein Schlüssel.

Und heute? Was kommt nach den Tausenden Toten in Gaza?

Was folgte nach den vielen Opfern in den grausamen Kolonialkriegen in der Geschichte?

Am Ende siegte die kubanische Revolution. Als eine kleine Insel, in Nachbarschaft einer aggressiven, bis an die Zähne bewaffneten Großmacht hält sie bis heute an ihrer Eigenständigkeit fest.

Vietnam fügte mit Dien Bien Puh der Kolonialarmee Frankreichs und später der US-Armee eine verheerende Niederlage zu. Eine Guerilla-Armee erkämpfte dank eines Tunnelsystems, das weltberühmt wurde – die Freiheit.

Libyen, Marokko und Tunesien mussten in die Unabhängigkeit entlassen werden und Algerien baute sich ein eigenständiges Staatssystem auf.

In der neueren Geschichte: Sei es in Irak, in Afghanistan, in afrikanischen Ländern: Die Bevölkerung wandte sich erfolgreich gegen die Besatzung.  Zuletzt siegte der Wille nach Würde, Freiheit und Gerechtigkeit.

Heute sind die Palästinenser:innen mit diesem Willen nicht alleine. Wir erleben rund um den Erdball eine breite Solidarisierungswelle. In Amerika besetzen junge Menschen den Uni-Campus und diese Bewegung ist dabei, auf Europa überzugreifen. Auch in Österreich gibt es Besetzungen und Kundgebungen auf den Unis.

Alle diese solidarischen Menschen lassen sich nicht mehr durch die massenmediale proisraelische  Propaganda für dumm verkaufen und sie lassen sich nicht mehr einschüchtern. Den Vorwurf des Antisemitismus weisen sie zurück – der Holocaust darf nicht für koloniale Zwecke instrumentalisiert werden.  Auch immer mehr jüdische Menschen lassen sich nicht durch den israelischen Zionismus vereinnahmen und sind solidarisch.

Die Palästinenser:innen im weltweiten Exil waren und sind Motoren dieser Proteste. Sie halten den Schlüssel zur Befreiung hoch und sie geben ihn weiter an ihre Kinder und viele tausende solidarische Menschen, durch palästinensische Geschichte, durch arabische Sprache, durch Religion und Kultur. Gaza und ganz Palästina steht heute für Befreiung von Faschismus und Kolonialismus.

Wie die Palästinenserin Dina El Muti Hassan schrieb:

„Wir haben keine Wahl, es ist eine Pflicht.

Und diejenigen, die sich auf die Seite der Unterdrückten stellen, können sich weiterhin der unverhüllten Wut des Unterdrückers entgegenstellen. Für viele von uns gibt es keine größere Ehre.“

Palästina Solidarität Steiermark