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Justiz-Erlass: Wer Besatzung in Frage stellt, heißt Terror gut


17. März 2024

Geheimerlass gegen die Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ verletzt durch die Verfassung geschützte Meinungsfreiheit, missachtet Völkerrecht und gebietet Gutheißung von Apartheid

Gleich zur Einstimmung die giftigste Blüte: Die Parole „From the river to the sea, Palestine will be free” stellt „die Existenz Israels in seinem jetzigen Ausmaß [Hervorhebung durch den Autor] in Frage“. Nochmals: „in seinem jetzigen Ausmaß“! Das heißt nichts anderes als dass selbst die Kritik an der völkerrechtswidrigen Siedlungstätigkeit und Vertreibungspolitik Israels im Westjordanland, in Ostjerusalem und am Golan den Terror guthieße und daher strafrechtlich zu verfolgen sei. Damit wird die UNO, die Israel wegen der genannten Völkerrechtsverletzungen vielfach verurteilt hat, zur Helferin des Terrors erklärt, genauso wie die große Mehrheit der Staaten, die Israels koloniale Handlungen entschieden verurteilen. So viel zum extremistischen Geist, der in den Regierungskanzleien vorherrscht.

Zunächst: Bisher war der Erlass geheim und nicht einmal über das „Rechtsinformationssystem des Bundes“ (RIS) aufzufinden. Die Mainstream-Medien haben den Erlass zwar ab und zu erwähnt, aber selbst nicht zugänglich gemacht. Sie sind damit Komplizen eines antidemokratischen Aktes. An dem ist abzulesen, wieviel das Gerede von Transparenz, Abschaffung des Amtsgeheimnisses und gläsernem Staat wert ist. Es bleibt beim Metternich‘schen Prinzip: der Staat kontrolliert die Bürgerinnen und Bürger und nicht umgekehrt. Hier der Versuch der Verfolgung der „Palästina-Solidarität“, die es gewagt hat, die Untersagungsurkunden zu veröffentlichen, mit denen das Demonstrationsrecht beschnitten wurde.

Der nichtöffentliche Charakter des Erlasses ist aus demokratischer Sicht deswegen brisant, weil er nicht nur ein durch die Verfassung verbrieftes Grundrecht einschränkt, sondern auch weil er die Legislative umgeht. In der Tendenz beansprucht die Exekutive im Sinne von Notstandsverordnungen für sich mehr Macht und wertet das Parlament ab. (Einen praktischen Testlauf für den Notstand stellte das Corona-Regime dar. Wir sollten nicht vergessen, dass Kanzler Kurz alle Demonstrationen zu verbieten versuchte – aber diese diktatorische Maßnahme nach weniger als zwei Monaten aufzuheben gezwungen war.) Das Bundesministerium für Justiz (BMJ) schreibt der Anklagebehörde die Einschränkung der Meinungsfreiheit vor, die weder die Gesetzeslage und schon gar nicht die Verfassung hergibt – sonst wäre nämlich so ein Interpretationsschlüssel gar nicht notwendig.

Die Kritik an Apartheid und Kolonialismus soll auf Biegen und Brechen strafrechtlich verfolgbar gemacht werden. Auch die Legislative ist in den letzten zwei Jahrzehnten systematisch in die Richtung der Beschränkung von Meinungsfreiheit gegangen (Islamgesetz, Terrorgesetze, Extremismusgesetz (Demoaufruf 19.1.21, Einladung zur zweiten Kundgebung am 24.2.21), Maßnahmenvollzug, Symbole-Gesetz (parlamentarische Stellungnahme der Organisation für digitale Grundrechte Epicenter Works), Novelle Verbotsgesetz). Im Kontext wurde immer sehr darauf geachtet, das Feindbild Musliminnen und Muslime zu pflegen (siehe „Dokustelle Politischer Islam“), aber auch die Kampagne gegen die Solidarität mit Palästina im Allgemeinen und gegen BDS im Besonderen fortzuführen. Es wurde auch dabei immer versucht, die Verschärfungen der Gesetze mit der Gefahr von Gewalttaten in Österreich in Verbindung zu bringen, wenn auch mehr schlecht als recht. Jetzt geht es nur mehr darum, politische Unterstützung des antikolonialen Widerstands zu kriminalisieren. Das wird zum reinen Meinungs- oder Äußerungsdelikt, denn der Widerstand findet ja nicht bei uns statt.

Bisher hat die Rechtsprechung bei der Kriminalisierung nicht mitgemacht, die ja im Gegensatz zur Anklage weisungsfrei sein sollte. Uns sind drei Fälle bekannt, wo der „Anfangsverdacht“ nicht erhärtet werden konnte und die Untersuchungen eingestellt werden mussten. Allerdings hört die Staatsanwaltschaft nicht auf, Ermittlungen gegen mutmaßlich dutzende bis hunderte Demokratieaktivistinnen und -aktivisten durchzuführen. Unseres Wissens ist es ihnen bisher in keinem einzigen Fall gelungen, einen regulären Prozess einzuleiten.

Doch bei der Justiz ist Vorsicht geboten. Historisch ist sie rechtslastig und hat zudem überproportional Nazi-Kader übernommen. Deren Nachfahren sind wie die ÖVP begeistert von der einmaligen Gelegenheit sich vom historischen Antisemitismus reinzuwaschen, indem sie den zionistischen Kolonialismus unterstützen. Siehe Parlamentspräsident Sobotka (Aufruf zur Kundgebung am 22.1.20 „Kritik an Vertreibung und Kolonialismus muss erlaubt bleiben!“ anlässlich des Parlamentsbeschlusses gegen BDS und Sobotkas Studie, die Muslime als überdurchschnittlich „antisemitisch“ denunziert), der sich das ehemals linke „Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands“ (DÖW) dienstbar gemacht hat („Antisemitismus-Studie 2018“ vorgestellt vom NR-Präsidenten Sobotka – die Links darin funktionieren nicht mehr, die Dokumente können aber als Anhang zur Kritik an der Kampagne heruntergeladen werden). Ziel der alt-neuen Eliten bleibt damals wie heute, den demokratischen Zugriff für die unteren Schichten und Gerechtigkeit für den globalen Süden zu unterbinden.

Aber natürlich gibt es auch Richter, die den demokratischen Diskurs ernst zu nehmen versuchen und die demokratischen Aspekte der Verfassung zu verteidigen trachten. Deren Handlungsspielraum hängt nicht unwesentlich von der gesellschaftlichen Auseinandersetzung ab. Immerhin scheiterte der möchtegern-autoritäre Kanzler Kurz auch an der Justiz, die er unter Kontrolle geglaubt hatte. Und auch die Operation Luxor des damaligen Innenministers und heutigen Kanzlers Nehammer, die die politisch aktiven Musliminnen und Muslime kollektiv zu kriminalisieren versuchte, endete dank der Richter in einer Niederlage.

Dennoch zeigt die Anmaßung der Exekutive antidemokratische Wirkung. Nicht nur, dass tausende Palästina-Aktivistinnen und -Aktivisten eingeschüchtert wurden, sondern es sind auch mehr als ein Dutzend Demos aus rein politischen Gründen verboten worden – was in der österreichischen Nachkriegsgeschichte präzedenzlos ist. Der erlaubte Diskurs wurde also behördlich zurechtgestutzt, also das Gegenteil von demokratischer Meinungsfreiheit. Das ist, was unter dem Strich bleibt.

Nun zum politischen Inhalt des Erlasses: Den könnte man in Analogie zur amerikanischen Geschichte folgendermaßen zusammenfassen: Die Indianer leisten abgrundtief bösen Widerstand gegen Fortschritt, Freiheit und Demokratie. Ihre Vernichtung ist daher unausweichlich und moralisch geboten. Das folgt zumindest logisch.

Bevor wir die Argumentationskette kommentierend nachzeichnen, eine methodische Bemerkung. In einer Demokratie sind solche politisch-historischen Interpretationen grundsätzlich in der Sphäre von Politik, Geschichte, Wissenschaft, Journalismus, Moral usw. angesiedelt – jedenfalls der freien Diskussion. So etwas strafrechtlich regulieren zu wollen, zumal in der Form eines Exekutiverlasses und ohne Gesetz, muss die Alarmglocken läuten lassen und geht Richtung Meinungsdiktat. Es behindert die freie intellektuelle Auseinandersetzung und die politische Gestaltung durch das Staatsvolk.

Die Argumentation des BMJ folgt ganz simpel dem herrschenden politisch-medialen Komplex, wie man ihn tagtäglich serviert bekommt und übernimmt praktisch ungefiltert die Kriegspropaganda Israels. Es wundert nicht, dass als Quelle auch die israelische Armee sowie mena-watch.com, ein israelisches Propagandamedium, angegeben werden. Dass von palästinensischer Seite keine Quellen zitiert werden, ist für den Beobachter schon selbstverständlich.

Es hebt beim Gegenschlag des palästinensischen Widerstands vom 7.10.23 an, der von seinem historischen Kontext von Vertreibung, Unterdrückung und Kolonisierung abgeschottet wird. Bis heute mussten viele der Behauptungen über Gräueltaten auch von den Mainstream-Medien zurückgenommen werden. (Intercept über den NYT-Artikel „ ‘Screams Without Words’: How Hamas Weaponized Sexual Violence on Oct. 7.“, für den sich herausstellte, dass es keinerlei Beweise gab. In dem Link finden sich zahlreiche weiterführende Links zu den medialen Manipulationen.) Doch es ist uns nicht bekannt, dass der schändliche Erlass vom 30.11.23, der sich auf diese Falschmeldungen bezieht, modifiziert oder zurückgenommen worden wäre.

Hamas wird als das absolut Böse dargestellt, natürlich als „antisemitisch“ und „eliminatorisch“. Der entscheidende Unterschied zwischen Israel als Staat und Jüdinnen und Juden als Menschen verschwindet, ganz nach dem zionistischen Narrativ. Diese Manipulation ist zentral. Wer die koloniale Apartheid und einen exklusiv jüdischen Staat, der die Urbevölkerung systematisch aus dem Staatsvolk ausschließt, hinterfragt, wird automatisch zur gewalttätigen, eliminatorischen Antisemitin oder Antisemiten gestempelt. Diese Täter-Opfer-Umkehrung ist entscheidend. Der reale Völkermord an den Palästinenserinnen und Palästinensern ist Anathema. Vom Völkerrecht, das explizit den bewaffneten Widerstand gegen Besatzung und Kolonialismus legitimiert, bleibt da kein Platz mehr. Es ist die glatte Rechtfertigung von Apartheid.

Die im Auftrag des Ministers schreibende Beamtin nimmt Bezug auf die Hamas-Charta von 1988, in der antisemitische Ideologeme bruchstückhaft übernommen wurden. (Die arabische und palästinensische Ablehnung Israels hat nichts mit Antisemitismus zu tun. Auch eine etwaige Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden, deren kollektive Vertretung Israel sich anmaßt, kann nicht als antisemitisch bezeichnet werden. Es sind völlig andere historische Phänomene, selbst wenn da und dort ideologische Elemente übernommen worden sein mögen.) Doch in dem Maße, in dem die Hamas die Führungsrolle im palästinensischen Widerstand übernahm und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit allen Fraktionen sich aufdrängte, konnte das überwunden werden. In der aktuellen Charta von 2017 findet sich eine stringente Differenzierung von Judentum und Zionismus im Sinne der historischen Befreiungsbewegung und Linken. (Hier eine Analyse des Dokuments.) Keine Rede davon beim BMJ. Da wird über die inkriminierte Parole, die eigentlich von der Linken stammt, eine vermeintlich antisemitische Kontinuität gezogen.

Zwar wird eingeräumt, dass der Spruch mehrere Interpretationsmöglichkeiten erlaubt, selbst einen „vereinigten Staat für Juden und das palästinensische Volk in der gesamten Region Palästina“.

Aber, aber, aber: weil ihn auch Hamas verwende, diese eine Terrororganisation sei und Kriegsverbrechen verübt habe, sei der Slogan zu verfolgen. Von den israelischen Kriegsverbrechen ist natürlich keine Rede. Und dann wird hinzugefügt, dass Hamas „Palästina für das palästinensische Volk allein beanspruch(en)“ würde. Doch aus der Hamas-Charta von 2017 geht unter §6 hervor, dass ihr Begriff von diesem einschließend ist: „Das palästinensische Volk ist ein Volk, das sich aus allen Palästinensern innerhalb und außerhalb Palästinas zusammensetzt, unabhängig von ihrer Religion, Kultur oder politischen Überzeugung.“ Es wird explizit von Demokratie und Vielfalt gesprochen. Eine südafrikanische Lösung, wo die ehemaligen Kolonialherren und die ehemaligen Kolonisierten in einem gemeinsamen demokratischen und selbstbestimmten Staat zusammenleben, ist da nicht ausgeschlossen. Zumal der palästinensische Widerstand viel breiter als Hamas ist.

Der Schreiberling des Ministers geht so weit, den Anhängern der Parole ohne weitere Argumentation zu unterstellen, nicht nur in Palästina, sondern insbesondere auch in Österreich dem Terrorismus Vorschub zu leisten. Nach §282a sei „erforderlich (…), dass die Gutheißung in einer Art erfolgt, die geeignet ist, die Begehung solcher (…) [terroristischen] Straftaten herbeizuführen.“ [Hervorhebung im Original] „Geschützes Rechtsgut ist in beiden Deliktsfällen [Absatz 1 und 2] der öffentliche Frieden bzw. die öffentliche Sicherheit, Zweck der Strafbestimmung ist damit insbesondere, das friedliche Zusammenleben der Bürger im Staat zu gewährleisten und Handlungsweisen unter Strafe zu stellen, die sich gegen dieses friedliche Zusammenleben richten.“

Die Demonstrantinnen und Demonstranten wollen mit der Parole zum Ausdruck bringen, dass nur durch ein Ende des Kolonialismus ein echter und gerechter Frieden in Palästina möglich wird. Alle Proteste waren bisher vollkommen friedlich und um Verständnis bei der Bevölkerung bemüht.

Den öffentlichen Frieden und die öffentliche Sicherheit gefährden indes die Exekutive, die die freie Meinungsäußerung und Demonstrationen verbietet. Und Unterdrückung schafft Widerstand.

Um der wackeligen antidemokratischen Argumentation Nachdruck zu verleihen, wird ganz zum Schluss auf die „Bekanntmachung des deutschen Bundesministeriums des Inneren und für Heimat betreffend das Verbot der Hamas in Deutschland, beinhaltend auch die Parole ‘from the river to the sea’“ verwiesen. Der große Bruder wird es wissen, damals wie heute.

Wilhelm Langthaler

Bild: Werbung für israelische Siedler-Immoblienprojekte in ganz Palästina. An der Firma ist der deutsche Regime-Medien-Verlag Springer beteiligt.