Rede von Dalia Sarig-Fellner auf der Demo am 2.03.2024
Mein Name ist Dalia und ich kann hier sein, weil es meiner Familie gelungen ist, aus Wien vor den Nazis zu flüchten. Kurz vor ihrer Flucht, wurde mein Urgroßvater – an den ich mich noch gut erinnere – verhaftet. Er musste den Gehsteig mit einer Zahnbürste putzen. Durch Zufall kam er wieder frei.
Bis heute versuche ich zu verstehen, warum die Nachbarn meiner Urgroßeltern untätig zugesehen haben, hier in Wien, vielleicht an dieser Straße, als mein Urgroßvater gemeinsam mit anderen JüdInnen mit einer Zahnbürste den Gehsteig geputzt haben.
86 Jahre später, stehe ich hier, mitten in Wien, und versuche zu verstehen warum dieser Platz nicht voll mit Menschen ist, die aus den Verbrechen, die Ihre Vorfahren hier begangen haben, gelernt haben und jenen zur Seite stehen, die gerade zu tausenden ermordet werden. Sie werden nicht wie damals nach dem Krieg sagen können sie haben nichts von der Vernichtung gewusst – denn heute wird der Genozid in Gaza und die Vertreibung der Menschen aus der Westbank live mitverfolgt. Und wieder schauen die meisten ÖsterreicherInnen untätig zu.
Ich versuche zu verstehen, wo all jene ÖsterreicherInnen sind, die sich an die Seite der PalästinenserInnen stellen, und gegen die Komplizenschaft ihrer Regierung am Massenmord in Gaza protestieren. Die aufstehen wenn ihre Regierung in ihrem Namen bei der UNO gegen einen Waffenstillstand abstimmt und sich damit mitschuldig am Tod von tausenden Kindern macht!
Ich versuche zu verstehen, wo die antifaschistischen linken ÖsterreicherInnen sind, die hier mit uns dagegen protestieren, dass MuslimInnen unter Generalverdacht gestellt werden und massiv rassistisch diskriminiert werden? Die antifaschistischen Linken, die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass organisieren ohne die PalästinenserInnen – die gerade am Meisten unter Diskriminierung leiden – auf die Bühne zu bitten – hier in Wien!
Wo sind die ÖsterreicherInnen die gegen das „Null Toleranz-Papier“ der niederösterreichischen Landeshauptfrau Mikl Leitner demonstrieren in dem sie von muslimischen, arabischen, palästinensischen MigrantInnen fordert, sich hinter den Staat Israel zu stellen. Einen Staat der gerade einen Genozid an PalästinenserInnen begeht und von denen sie verlangt, sich einer Werte-Erziehung zu unterziehen, alles unter dem Vorwand jüdisches Leben zu schützen und Antisemitismus zu bekämpfen.
Die Landeshauptfrau, die gerade mit Udo Landbauer in Niederösterreich regiert, dessen Burschenschaft das Liederbuch mit dem Text Zitat: „Auf auf ihr alten Germanen wir schaffen die 7. Million“ Zitatende – herausgegeben hat. Wie lässt sich das mit dem Schutz jüdischen Lebens vereinbaren? Wo sind die ÖsterreicherInnen die gegen diesen Missbrauch von Antisemitismus demonstrieren.
Ich habe keine Antwort auf all diese Fragen, aber wir und hundert tausende andere Juden auf der ganzen Welt sagen jetzt lauter denn je: “Wir weigern uns, Nachbarn zu sein, die einfach nur zusehen.“ Wir sind hier und solidarisch mit den PalästinenserInnen. Denn wir wissen was es heißt, verfolgt und ermordet zu werden, und wir sagen:
Wir sind entweder Alle frei oder Keiner von uns ist frei.
Ich bin hier nicht alleine. Hunderttausende Juden auf der ganzen Welt sagen:
Nicht in unserem Namen!
Niemals wieder bedeutete niemals wieder für alle Menschen und heute hier bedeutet niemals wieder niemals wieder für PalästinenserInnen.
Palästina muss frei sein. Das Morden muss aufhören – jetzt sofort.
My name is Dalia and I can be here because my family managed to flee Vienna from the Nazis. Shortly before their escape, my great-grandfather – whom I still remember well – was arrested. He had to clean the pavement with a toothbrush and he was released by chance.
To this day, I still try to understand why my great-grandparents’ neighbours stood idly by, here in Vienna, perhaps on this street, as my great-grandfather and other Jews cleaned the pavement with a toothbrush.
86 years later, I am standing here, in the centre of Vienna, trying to understand why this square is not full of people who have learned from the crimes their ancestors committed here and are standing by those who are being murdered by the thousands. They will not be able to say, as they did after the war, that they knew nothing about the extermination – because today the genocide in Gaza and the expulsion of people from the West Bank is being followed live. And again, most Austrians are standing idly by.
I am trying to understand where all those Austrians are who stand with the Palestinians and protest against their government’s complicity in the mass murder in Gaza. Who stand up when their government votes against a ceasefire at the UN and thereby makes itself complicit in the deaths of thousands of children!
I’m trying to understand where are the anti-fascist left-wing Austrians protesting with us here against the general suspicion of Muslims and them being subjected to massive racial discrimination? The anti-fascist leftists who organise demonstrations against right-wing extremism and xenophobia without asking the Palestinians – who suffer the most from discrimination right now – to take to the stage – here in Vienna!
Where are the Austrians who are demonstrating against the “Zero Tolerance Paper” of the Governor of Lower Austria, Mikl Leitner, in which she demands that Muslim, Arab and Palestinian migrants stand behind the state of Israel. A state that is currently committing genocide against Palestinians and of which she demands that they undergo an education in values, all under the pretext of protecting Jewish life and combating anti-Semitism.
The governor of Lower Austria, who is currently in government with Udo Landbauer, whose Burschenschaft published the songbook with the lyrics: “Auf auf ihr alten Germanen wir schaffen die 7. Million”. How can this be reconciled with the protection of Jewish life? Where are the Austrians who are demonstrating against this abuse of anti-Semitism?
I don’t have the answers to all these questions, but we and hundreds of thousands of other Jews around the world are now saying louder than ever: “We refuse to be neighbours who just stand by and watch.” We are here in solidarity with the Palestinians. Because we know what it means to be persecuted and murdered, and we say:
We are either all free or none of us are free.
I am not alone here. Hundreds of thousands of Jews around the world are saying:
Not in our name!
Never again meant never again for all people and here today never again means never again for Palestinians.
Palestine must be free. The killings must stop – right now!