Oder: warum die Spitzenbeamten nicht mehr zu ihren Verboten stehen wollen
Es waren einmal drei Polizisten im gehobenen Dienst. Sie verboten lustig öffentliche Meinungsäußerung gegen den Völkermord in Gaza. Zwar ward das ihnen von der Obrigkeit angeschafft, doch war sich selbst diese Obrigkeit ihrer Sache nicht sicher. Dienstbeflissen wie sie waren, das Oktroi des Ministers ausführend, übten sie sich in der Überbietung. So verstiegen sie sich in ihren Bescheiden dazu, den Palästina-Solidarischen zu unterstellen, „nationalsozialistischen Bestrebungen“ (1) Vorschub zu leisten. Die Fahne der zu Zehntausenden massakrierten Palästinenser („Kollateralopfer eines für Israel existenziell notwendigen Krieges“) (2) wurde in der Beamtenfantasie zum Symbol des „palästinensischen Expansionsdrangs“ (3). Und politische Meinungsäußerung im Wiener Stadtzentrum ist den Obersten schon lange ein Dorn im Auge, aber besonders dann, wenn es einem großen „antisemitischen Gewaltpotential“ (2) entgegenzutreten heißt.
Da hilft auch die faktische völlige Friedlichkeit der österreichischen Anti-Apartheid-Bewegung nicht.
Der Amtsschimmel fühlte sich beim diktatorischen Wiehern sehr sicher. Doch als die geschädigten Demokraten die von den Spitzenbeamten unterfertigten Verbotsurkunden veröffentlichten, verging unseren Staatsdienern der Mut. Wehleid ergriff sie ganz nach dem Motto: „wer ordentlich austeilt, der kann auch nicht einstecken“.
Ihr Recht auf Privatsphäre sei verletzt worden. Sie strengten gar Verfahren nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGV) an (siehe Anhang, absurderweise die amtsbehandelte Partei im Klarnamen, der Amtsträger geschwärzt). Dort geht es um den Schutz personenbezogener Daten. Doch kann der Name, einschließlich der Insignien der Macht, also Dienstgrad und akademischer Grad, überhaupt logisch als „personenbezogen“ gelten? Es ist der Name, dem andere Daten zugeordnet, also „auf die Person bezogen“ werden. Name und Daten sind also zwei verschiedene. Es geht um den Schutz privater Daten des Beamten, aber nicht um eine dystopische, anonyme Behörde.
Was sind staatliche Urkunden wert, wenn der verbeamtete Aussteller darauf anonym bleiben will? Eigentlich sollte er mit seinem Namen für die Echtheit und Rechtskonformität des Dokuments bürgen. Das ist das Konzept von öffentlichen Urkunden selbst. Jeder kennt Unterschrift und Siegel auf Papyrus. Nach vielen tausend Jahren Zivilisation soll sich das nun wohl ändern. Welcher Staat schwebt diesen wohlbestallten Herren eigentlich vor? Sind ihr Vorbild vielleicht die vermummten Richter aus Peru aus dem Bürgerkrieg, wo in den Gefängnissen gefoltert wurde?
Oder ist es das, was sie mit gläsernem Staat und Abschaffung des Amtsgeheimnisses meinen? Der besorgte und engagierte Bürger soll sich überwachen lassen und darf sich nicht vermummen. Aber die gnädigen Herren Polizeijuristen und Obersten wollen ihre demokratiebeschränkenden Dekrete lieber anonym verfügen.
Ein Trostpflaster bleibt uns: zumindest wissen wir, wenn wir einen anonymen Anruf bekommen, dass es die Polizei war. Denn die Hoheitsfunktion will anonym bleiben.
Die Moral von der Geschichte: die liberalen Rechte werden ausgehöhlt und pervertiert, aber eine Ruine muss zum Schein immer stehenbleiben, denn alle autoritären Maßnahmen dienen immer nur dem Erhalt der Demokratie.
Wilhelm Langthaler