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„Ausbruch aus dem Ghetto Gaza verbieten?“


11. Oktober 2023

Nein zur Diffamierung und Kriminalisierung der Solidarität mit antikolonialem Befreiungsstreben

Seit Jahrzehnten engagieren wir uns in der Palästinasolidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern, die seit über 75 Jahren unterdrückt, vertrieben und ermordet werden – verantwortlich dafür ist der Kolonial- und Apartheidstaat Israel. Wir halten monatlich Infoveranstaltungen meist auf der Mariahilfer Straße ab (so war es auch für den 7. Oktober geplant), um auf die fortgesetzte Eskalation der Lage durch den am höchsten militarisierten Staat der Erde (Israel) aufmerksam zu machen, auf Vertreibungspolitik und den Staatsterror und auf den kolonialen Landraub mithilfe fanatischer Siedler sowie auf die inhumane und verbrecherische Blockade Gazas. Wir begreifen den Widerstand der Palästinenser:innen als einen antikolonialen Befreiungskampf, einen Kampf um Selbstbestimmung gegen eine Besatzungsmacht. Wir wollen den Menschen und der Gesellschaft in Österreich seit Jahrzehnten bewusst machen, dass der brutale israelische Kolonialismus, dessen erklärtes Ziel die Vertreibung aller Palästinenser:innen ist, nirgendwohin führt als zu immer mehr Gewalt und Blutvergießen. Die Medien in Österreich berichteten kaum über die andauernde palästinensische Katastrophe und es gibt seit langem ein „Berichtsverbot“ um das Anliegen der Palästinenser:innen. Insofern kamen für uns die Ereignisse vom 7. Oktober nicht überraschend, denn sie sind die Folge der sogenannten „Palästinenserpolitik“ Israels und des Einpferchens von Millionen Menschen in Gaza unter einer Blockade. Darauf und auf unsere Solidarität mit den Palästinenser:innen machten wir dann auch bei unserer Kundgebung am 7. Oktober aufmerksam. 

Österreich ist seiner Verfassung nach ein neutrales Land, in der Frage der (vor allem auch militärischen und sicherheitstechnologischen) Kooperationen mit Israel ist davon nichts zu merken. Die israelische Fahne wurde auf österreichischen Staatsgebäuden gehisst. Damit macht sich der österreichische Staat nicht nur eines Verfassungsbruchs schuldig, sondern ist auch mitverantwortlich für das Blutbad, das mit Sicherheit von Israel an der Bevölkerung Gazas in den nächsten Tagen und Wochen angerichtet wird. Österreichs Regierung ist aber unter den lautesten, wenn es darum geht, Palästina die staatliche Anerkennung zu verweigern. Eine solche Nichtanerkennungspolitik gegenüber den Palästinenser:innen auf der einen Seite, die blinde „Solidarität“ gegenüber dem Apartheidstaat Israel auf der anderen Seite steht für eine verantwortungslose und heuchlerische Politik, die nichts dazu tut, auf einen gerechten Frieden im Nahen Osten hinzuwirken, sondern auf noch mehr Gewalt und Unterdrückung setzt. Aus diesem Grund gingen empörte Bürger:innen auf den Ballhausplatz, um auch die palästinensische Identität zum Ausdruck zu bringen und die Neutralität Österreichs zurückzufordern. 

Die Medien griffen die Kundgebung der Palästinasolidarität auf der Mariahilferstraße und die Bekundungen durch Einzelpersonen auf dem Ballhausplatz auf und formten eine geradezu schamlose Kampagne: Es war die Rede von „der Meute auf dem Ballhausplatz der Hamas-Anhänger“ sowie: „Am Ballhausplatz in Wien tanzten am Sonntag Hamas-Anhänger und feierten die Ermordung von Juden und Entführung unschuldiger Kinder und Bürger.“ Wir standen am Ballhausplatz für die Neutralität Österreichs. Die Kundgebung auf der Mariahilferstraße wurde in den Medien zu einem „Jubeln von Hamas-Anhängern“, die palästinensische Fahne zu schwenken wird als antisemitisch und Terrorsympathie umgedeutet. Die Verkürzung des palästinensischen antikolonialen Kampfes auf die „radikalislamische Terrororganisation Hamas“ dient dabei dem Framing jedes palästinasolidarischen Engagements. In ungewohnter Einigkeit erklärten die Vertreter:innen der österreichischen politischen Parteien im Parlament ihre „Solidarität“ mit Israel und übertrafen sich in ihrer Hetze gegen die Palästinasolidarität. Forderungen nach Kundgebungs- und Fahnenverboten wurden laut. Das ist nicht nur diffamierend, das ist zynisch. Jedes geraubte Menschenleben, jedes Opfer, gleich auf welcher Seite, ist ein Opfer zu viel. 

Die einseitige „Solidarität“ des österreichischen Staates und der österreichischen politischen Eliten mit Israel ist eine Form der „Solidarität“, die sich weigert, die Ursachen der Gewalt anzugehen, die die Palästinenser:innen nicht wahrnehmen will, sondern sie kollektiv bestraft, indem ihnen die lebensnotwendige Unterstützung entzogen wird. Was kann von daher kommen, wenn nicht noch mehr und noch brutalere Gewalt, noch mehr Leid, noch mehr Tod? Die „Solidarität“ der österreichischen Regierung ist zudem eine verlogene „Solidarität“ mit einem Israel, das sich darin bestärkt fühlt, in seinem kolonialen Wahn noch grausamer, noch unbarmherziger und noch menschenrechtsverachtender gegen die ganze Bevölkerung Gazas zurückzuschlagen. Was kann von einer solchen Vorgehensweise erwartet werden? 

Das israelische Narrativ war es immer, dass die Unterdrückung und Entmenschlichung der Palästinenser:innen der Sicherheit seiner Bürger:innen und Bürger sowie der Selbstverteidigung diene. In den Opfern vom Samstag wird offensichtlich, wie gefährlich dieses Narrativ ist. Nicht nur konnte der hochgerüstete israelische Staat seine eigenen Bürgerinnen und Bürger nicht schützen, seine koloniale Apartheidpolitik gegenüber den Palästinenser:innen bildete die eigentliche und tiefere Ursache für die Ermordungen und Geiselnahmen. Doch anstatt sich um die schockierten und traumatisierten Menschen zu kümmern und eine nachhaltigere Lösung zu suchen, werden diese im Stich gelassen und die Priorität wird in der Zerstörung Gazas und in militärischen Antworten gesehen, in einer neuen Dimension des Mordens und des Tötens der seit 75 Jahren wieder und wieder traumatisierten Zivilbevölkerung Gazas und in kollektiver Bestrafung, im Abschalten des Stroms für ganz Gaza, in der Verweigerung der Wasserzufuhr. Es ist diese verbrecherische Politik Israels, die die Gewalt hervorbringt, und es ist diese Politik Israels, mit der sich Österreichs Regierung „solidarisch“ erklärte. Ein Ende der Gewalt kann nur durch einen sofortigen israelischen Stopp der Bombardierung Gazas, einen Waffenstillstand und Gespräche auf Augenhöhe erreicht werden, nur durch den vollständigen Verzicht auf alle koloniale Landnahme, auf alle kollektive Bestrafung, durch den Verzicht auf das System der Apartheid, auf die Vertreibung und Nichtanerkennung der Palästinenser:innen, durch den vollständigen Verzicht auf die Blockade Gazas und die weitere Hochrüstung des gewaltigen militärischen Apparats. Nur das kann dem Töten ein Ende setzen – dafür müsste sich eine neutrale österreichische Regierung stark machen.

Wir sind uns der politischen Gefahr und der drohenden Repression bewusst, die in einem solchen Klima der Verhetzung Einzug hält, wo unterstellt wird, dass „auf der Mariahilferstraße Personen offen mit brutalen Morden, Schändungen und Entführungen durch Muslime gegenüber Juden sympathisieren“ oder die Solidarität mit antikolonialen Bewegungen als „Bejubeln der Hamas“ diffamiert wird. In einem solchen Klima werden die Grund- und Freiheitsrechte beschränkt und abweichende Meinungen mit Verboten belegt, Aktivistinnen und Aktivisten, die für palästinensische Anliegen auf die Straße gehen, werden mit Abschiebung und Inhaftierung wegen „Terrorunterstützung“ bedroht – nicht umsonst beruft sich der Standard auf den Akt der gescheiterten Operation Luxor.

Die Palästinasolidarität Österreich ist ein Bündnis verschiedener Organisationen und Menschen christlichen, muslimischen, jüdischen oder keines Glaubens. Die Palästinasolidarität Österreich steht solidarisch mit dem einigen Kampf aller Palästinenser:innen, seien sie christlich, muslimisch oder jüdisch, für Selbstbestimmung und gegen die gewaltursächliche Politik des Kolonialstaates Israel. Wir treten entschieden gegen die Kriminalisierung der Solidarität für Palästina und des Engagements für Frieden und das Ende des israelischen Kolonialismus ein. Wir fordern wirksame Handlungen im Sinne der Neutralität Österreichs, um diesem schrecklichen Schlachten ein Ende zu bereiten und endlich einen Weg einzuschlagen, der das Recht auf Selbstbestimmung der Palästinenser:innen anerkennt. 

Martin M. Weinberger Palästinasolidarität Österreich