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Bericht vom Leben der Beduin:innen in Al-Naqab


4. Februar 2023

Am 27. Jänner 2023 konnten wir von der Steirischen Friedensplattform und der Palästina Solidarität Steiermark die Architektin und Aktivistin Nadia Alatawneh in Graz zu einer Veranstaltung begrüßen.

Rund zwanzig Teilnehmer:innen gewannen über ihren äußerst interessanten Vortrag einen Einblick in das beduinische Leben in der Wüste Al-Naqab und in die besonderen Herausforderungen, mit denen die Beduin:innen unter israelischer Herrschaft konfrontiert sind. Nadia Alatawneh konnte mit zahlreichen Fotos aus dem Familienalbum, (historischen) Kartenmaterial und Behördendokumenten das reichhaltige beduinische Leben in der Wüste Al-Naqab bereits lange vor der israelischen Staatsgründung belegen. Seit Jahrhunderten leben dort die Beduin:innen in Einheit mit der Natur. Mit ihrem reichhaltigen Erfahrungswissen nutzten sie auf ideale Weise die Bedingungen der Wüste für ihre wirtschaftliche Grundlage nachhaltig. Ihre Existenz sicherten sie nicht nur durch Viehwirtschaft, sondern ebenfalls durch den Anbau von Getreide, Obst und Gemüse. Noch unter den Osmanen exportierten sie jährlich 40 Schiffladungen Getreide nach Europa. Die traditionelle Lebensweise der Naqab-Beduin:innen ist eine Mischform zwischen Nomadentum und Sesshaftigkeit, wovon auch ihre Bauten zeugen. Diese setzen sich aus beweglichen und fixen Bauten zusammen als auch aus unterirdischen und oberirdischen. So können sie die klimatischen Bedingungen vorteilhaft für sich nutzen, wie Getreidesilos unterirdisch anlegen, je nach Jahreszeit Weideflächen nutzen oder Böden nach mehreren Jahren der Bewirtschaftung zwecks Erholung der Erde wieder brach liegen lassen. Bereits 1900 wurde die Stadt Bir-Sab‘a von allen Beduinenstämmen gemeinsam als Handels-, Kultur- und Verwaltungszentrum gegründet. Auch davon durften wir Bilder sehen. Israel benötigt die Erzählung von einem unbewohnten Land Palästina für seine kolonialen Absichten, aber sie bleibt dennoch eine Lüge.
Dieser Lebensgrundlagen wurden die Beduin:innen durch die israelische Staatsgründung – der Nakba (Große Katastrophe) beraubt. Die Naqab-Wüste im Süden Palästinas gelegen wurde beim UN-Teilungsplans 1947 den Palästinenser:innen zugesprochen, jedoch von den israelischen Besatzungstruppen erobert. Dabei wurden 90% der Beduin:innen vertrieben oder ermordet. Die Verbliebenen wurden von den Israelis in Reservate zwangsumgesiedelt. Diese künstlich angelegten Dörfer entsprechen überhaupt nicht ihrer gewohnten Lebensform. Heute gibt es drei Dorfarten: die verwalteten Dörfer (künstlich angelegte Reservate), acht anerkannte Dörfer und 35 nicht-anerkannte Dörfer. Diese unterscheiden sich in ihrer Infrastruktur eklatant. So sind die nicht-anerkannten Dörfer nicht ans öffentliche Strom-, Wasser- und Kanalnetz angeschlossen, haben keine Gesundheitskliniken und staatliche Schulen. Obwohl ihre Bewohner:innen israelische Staatsbürger:innen sind. Darüberhinaus sind sie einer permanenten israelischen Repression ausgesetzt. Ihre Dörfer werden regelmäßig von Polizei und Soldaten überfallen und ihre Häuser abgerissen. So wurde das Dorf Al-Akarib bereits 213-mal abgerissen. Die Beduin:innen leisten Widerstand: sie bauen ihre Häuser wieder auf, sie machen Demonstrationen und fordern ihre Rechte ebenfalls am Gerichtsweg ein. Viele von ihnen verfügen über Besitzurkunden noch aus osmanischer Zeit oder können beispielsweise belegen, an die britische Kolonialmacht Steuern für ihr Land und Tiere gezahlt zu haben. Perfide Taktik der israelischen Regierung ist es, solche Gerichtsverfahren zu verschleppen, damit es nie zu einer Entscheidung kommt, erzählt Nadia Alatawneh. Gegen die Demonstrationen geht die israelische Polizei hart vor. Die Vortragende zeigte Bilder von Tränengasgranaten, welche von Drohnen über den Demonstrierenden abgeworfen wurden.

Eine wichtige Rolle in der Vertreibung der Beduin:innen spielt der Jüdische Nationalfond (JNF). Dieser vom Zionistischen Kongress 1901 gegründete Fond betrachtet es als seine Aufgabe, Land in Palästina aufzukaufen und es ausschließlich an jüdische Menschen weiterzuverkaufen bzw. an die israelische Regierung zu übergeben. Der JNF verwaltet über 90% des israelischen Staatsbesitzes (mit). Im Naqab betreibt der JNF Greenwashing. Auf dem von Beduin:innen geraubten Land werden Wälder und Parkanlagen errichtet. Diese verfolgen den Zweck, jegliche Spuren von Besiedelung vor 1948 auszulöschen. JNF und die israelische Kolonialregierung stellen sich gerne als die Begrüner der Wüste dar und sammeln dafür weltweit Spenden. Die Wälder tragen dann die Namen der Spender. Nadia Alatawneh zeigte Bildern von solchen Tafeln wie Wald der deutschen Länder, Thüringer Wald, Berliner Wald und Gedenksteinen z.B. der SPD, welche auf den Grundstücken von vertriebenen Beduin:innen stehen! Solche Wälder verletzen nicht nur die Menschenrechte, sondern sind auch ökologisch schädlich. Die aus Europa importierten Bäume verderben den Boden und passen nicht in das Wüstenklima, berichtet Nadia Alatawneh. So kommt es immer wieder zu verheerenden Waldbränden. Und die Wälder benötigen viel Wasser. Dieses Wasser gibt es nicht in der Wüste und wird so vom See Genezareth und den Bergen in der Westbank umgeleitet, d.h. den Palästinenser:innen gestohlen. Trotz der Beteiligung des JNF an Verbrechen gegenüber den Palästinenser:innen genießt diese weltweite Organisation NGO-Status und Steuerfreiheit in Deutschland und Österreich.
Zum Schluss ihres Vortrages zeigte uns Nadia Alatawneh Ausschnitte aus ihrer Masterarbeit, in welcher sie sich mit nachhaltiger, den Bedürfnissen der Beduin:innen entsprechenden, ländlicher Architektur beschäftigte. Sie nannte sie Present Absence, weil ihr Volk nur als billige Arbeitskräfte als anwesend, aber bezüglich ihrer Rechte als abwesend gesehen wird. Als erste Beduinin studierte sie an der Uni von Tel Aviv Architektur. Ihre Vision von einem beduinischen Dorf, in welchem traditionelle Lebensweise mit moderner Infrastruktur in Harmonie mit der Wüste und ökologisch nachhaltig verknüpft ist, wirkte auf alle Anwesenden besonders einladend. Zugleich war allen bewusst, dass von einer Apartheidregierung keine Lösung für die Diskriminierung der Beduin:innen zu erwarten ist. Die anhaltende Vertreibung der Beduin:innen aus dem Naqab und Zerstörung ihrer Häuser geht Hand in Hand mit den Vertreibungen und Häuserzerstörungen in Jerusalem und der Westbank, der Rassismus gegenüber Beduin:innen und Palästinenser:innen innerhalb des israelischen Staatsgebietes ist die Kehrseite der Besatzung und des Apartheidsystems in Gaza und Westbank.