Von Fritz Weber
Antworten auf den Suprematismus[2] des Neozionisten Bezalel Smotrich
Als PDF verfügbar. Englische Version: PDF
Inhaltsverzeichnis:
Prolog: “Vor 3.500 Jahren”
1. Smotrichs Werdegang und Aktivismus in jungen Jahren
2. Smotrich als antipalästinensischer Gesetzgeber
3. Smotrichs philosemitisch-rassistische Logik:
„Es gibt keine jüdischen Terroristen.“
4. Smotrichs Vision für „Großisrael“ und sein „Unterwerfungsplan“ für Nichtjuden
Exkurs (Video): Wie ultraorthodoxe israelische Knaben zu Hass, Völkermord und Vorherrschaft erzogen werden
5. Smotrich stellt israelisches Recht über internationales Recht
6. Smotrichs messianistisch-fundamentalistisches Geschichtsverständnis
7. Smotrichs orthodox-fundamentalistische Theologie
8. Antwort auf Smotrichs politische Ideologie
8.1 Wie der Kahanismus in der israelischen Politik hoffähig wird
8.2 Was Smotrich unerwähnt lässt
8.3 „So wie sie es 1948 getan haben.“
8.4 Smotrichs „Terrorismus“-Definition
9. Antwort auf Smotrichs Geschichtsbild
9.1 „So etwas wie Palästinenser gibt es nicht.“
9.2 „Wir waren vor 3.500 Jahren hier.“
9.3 „Nach 2.000 Jahren kehren wir in unsere Heimat zurück.“
10. Antwort auf Smotrichs Theologie
10.0 „Mit den eigenen Waffen schlagen“
10.1 Erstens – das ethnische Argument
10.2 Zweitens – das moralische Argument
10.3 Drittens – das Argument der bedingten Zeremonialgesetzgebung
10.4 Viertens – das Argument der bedingten Abraham-Verheißung
10.5 Fünftens – das geographisch-demografische Argument
10.6 Sechstens – das juridische Argument
10.7 Alles vergeblich
10.8 Fazit
Epilog: Quo vadis, Israel?
Vorbemerkung – Jair Lapid – Avigdor Lieberman – Joas Hendel – Ajelet Schaked – Im Tirtzu – Tzipi Hotovely – Efraim („Effi“) Eitam – Das Militär-Rabbinat und die religiöse „Heiligsprechung“ der Kriege Israels – Zum Abschluss: Bezalel Smotrich im Vereinigten Königreich
Prolog: „Vor 3.500 Jahren“
„Tatsache ist, dass wir vor 3.500 Jahren hier waren. Wir wurden nicht gestern Morgen geboren.
Wir wurden mit Gewalt von hier vertrieben, und nach 2.000 Jahren kehren wir im Rahmen des gerechtesten und moralischsten Prozesses, den es in den letzten hundert Jahren auf der Welt gegeben hat, in unsere Heimat zurück.“[3]
So erklärte einer der führenden politischen Vertreter des Neozionismus,[4] Bezalel Smotrich, im Jahr 2016 in einem Interview sein messianistisch-fundamentalistisches Geschichtsverständnis.
1. Smotrichs Werdegang und Aktivismus in jungen Jahren
Bezalel Smotrich, Sohn eines orthodoxen Rabbiners, ist ein orthodox-religiöser Jude, der 1980 in einer nach internationalem Recht illegal errichteten, religiösen jüdischen Siedlung auf den Golanhöhen geboren ist. Er erhielt eine religiöse Ausbildung und besuchte die Mercaz HaRav Kook Jeschiwa[5] und die national-religiöse Jeschiwa-Talmud-Hochschule Jaschlatz in Jerusalem.
Smotrich wohnt mit seiner Familie mit sieben Kindern im Westjordanland in der als rechtsextrem bekannten israelischen Siedlung Kedumim in einem Haus, das – außerhalb der eigentlichen Siedlung – auch nach israelischem Recht illegal errichtet wurde.
2019 wurde er Vorsitzender der religiös-zionistischen Kleinpartei Tkuma („Wiedergeburt“), die mit zwei weiteren extremistischen Parteien die Liste „Religiöser Zionismus“ bildet, deren Vorsitz er ebenfalls ausübt. Im Juni desselben Jahres ernannte ihn Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zum Verkehrsminister. Im Kabinett der neuen Koalitionsregierung, die am 29. Dezember 2022 angelobt wurde (Netanjahu VI), amtiert er sowohl als Finanzminister als auch als Beigeordneter Minister im Verteidigungsministerium (Additional Minister in the Ministry of Defense).[6]
Erstmals in der Öffentlichkeit aufgefallen war Smotrich 2005 während des sogenannten „Rückzugs“ und der Rückholung der jüdischen Siedler unter Premierminister Ariel Scharon aus dem damals noch israelisch besetzten Gaza-Streifen. Auf dem Höhepunkt des Widerstands der Siedler gegen ihre Delogierung wurde Smotrich als einer der Jugendaktivisten im Kampf gegen die zur Räumung beauftragten Sicherheitskräfte verhaftet und drei Wochen lang festgehalten. Später sagte er in einem Interview 2016: „Ich habe gesehen, wie der Staat die Arbeit von 30 Jahren [der religiös-zionistischen Bewegung] in einer Woche vernichtet hat“, und fügte hinzu: „Und die mächtigste Arena des Staates ist das Justizsystem.“[7]
Smotrich entschloss sich daher, dieses System innerhalb der staatlichen Institutionen zu verändern. Er studierte Jura, wurde als Rechtsanwalt zugelassen und gründete 2006 eine der betreffend ihren Einfluss vor Ort effektivsten rechtsgerichteten NGOs. Diese „Vereinigung zur Wahrung der Siedlerrechte“ mit dem Namen Regavim spürt nicht genehmigten Bauten von Palästinensern in Israel und im Westjordanland auf, um sie zu überwachen, vor den israelischen Gerichten einzuklagen und ihren Abriss zu betreiben. So behauptet Regavim, dass es ihre Aufgabe sei, „nationales Land zu bewahren“.
2. Smotrich als antipalästinensischer Gesetzgeber
Bezalel Smotrich wurde 2015 ins Parlament und bald darauf zum stellvertretenden Knesset-Sprecher gewählt. Nachdem er eine Verkaufsverweigerung eines Bauträgers in Galiläa verteidigt hatte, war einer seiner ersten Schritte als frischgebackenes Knesset-Mitglied (MK) die Forderung, dass Bauträger in Israel keine Häuser an arabische Staatsbürger verkaufen müssen, wenn sie keine Lust dazu haben; er selbst „würde kein Haus an Araber verkaufen“. Dies entspricht einem Verbot im babylonischen Talmud (Traktat Ávodah Zarah I,viii, Gemara Fol. 21ab) und Smotrichs Mission, das „jüdische Volk“ vor „Vermischung“ mit Nichtjuden zu schützen. Er behauptete:
„Wer das jüdische Volk schützen will und Mischehen ablehnt, ist kein Rassist. Wer Juden ein jüdisches Leben ohne Nichtjuden leben lassen will, ist kein Rassist.“[8]
Nach der Lehre des orthodoxen rassistischen Rabbiners Meïr Kahane (1932-1990), dem ideologischen Mentor eines Ministers derselben Regierung, Itamar Ben-Gvir,[9] dient die völlige Trennung zwischen Juden und Nichtjuden auch der Prävention ihrer Assimilation, die mitunter als „zweiter Holocaust“ interpretiert wird.
In ethnisch gemischten Städten wie Abu Ghosh wurden im März 2013 Hassparolen wie „Araber raus“ und „Rassismus oder Assimilation“ auf eine Mauer gekritzelt.[10]
Bei dem Interview 2016 antwortete Smotrich auf die Frage, welches Ministeramt ihn interessieren würde:
„Ich würde gerne Verteidigungsminister sein.“
Dies käme Smotrichs Absicht der zügigen Judaisierung und Vereinnahmung[11] von Teilen des Westjordanlandes entgegen, weil das Verteidigungsministerium als oberste staatliche Behörde über der Militärregierung in den besetzten Gebieten steht.
Indem Smotrich im neuen Regierungskabinett Netanjahu VI nicht nur den Posten des Ministers für Finanzen innehat, sondern erreicht hat, auch noch den extra für ihn geschaffenen Posten eines „Beigeordneten Ministers im Verteidigungsministerium“ zu bekleiden, hat er größtmöglichen Einfluss auf den Prozess der fortgesetzten ethnischen Säuberung im Westjordanland (Zone C) zur Freimachung von Land für weitere jüdische Siedlungen.
Gleichsam ein Vorgeschmack dazu war Smotrichs kurze Ministerzeit für Verkehr (2019-2020), während der die Enteignungen und Räumungen palästinensischer Wohngegenden rasant vorangetrieben wurden (sh. obige Notiz zu Regavim), da das Verkehrsministerium auch für die besetzten Gebiete zuständig ist.
Im Juni 2019, als er bei den – letztlich gescheiterten – Koalitionsverhandlungen darauf drängte, zum Justizminister ernannt zu werden, erklärte Smotrich: „Wir [die religiös-zionistische Rechte] wollen das Justizressort, weil wir das Torah-Justizsystem wiederherstellen wollen“, um das Land „wie in den Tagen von König David“ zu regieren.[12]
3. Smotrichs philosemitisch-rassistische Logik: „Es gibt keine jüdischen Terroristen.“
Ende Juli 2015 berichteten die Medien von einem Brandanschlag maskierter Angreifer mit Molotow-Cocktails im Dorf Duma auf das Haus einer palästinensischen Familie, bei dem drei Menschen ums Leben kamen; der 18 Monate alte Ali Dawabsheh verbrannte bei lebendigem Leib, während seine beiden Eltern innerhalb weniger Wochen an ihren Verletzungen starben.[13] An der Hauswand war ein Graffiti in hebräischer Sprache: “Long live the Messiah King” (yechi hamelech hamashiach) gekritzelt. Dies ist das Motto des messianistischen Flügels der chassidischen Chabad-Lubawitsch-Bewegung.
Als Haupttäter wurde der 21-jährige Amiram Ben-Uliel aus einer nahegelegenen Siedlung, Sohn eines Rabbiners und innerhalb der antipalästinensischen „Hilltop Youth“ bekannt,[14] wegen dreifachen Mordes, zweifachen versuchten Mordes, dreifacher Brandstiftung und Verschwörung zur Begehung eines rassistisch motivierten Verbrechens im Rahmen eines „terroristischen Akts“ zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.[15]
Was hatte Bezalel Smotrich dazu zu sagen?
„Der Mord in Duma, so schwer er auch sein mag, ist kein Terroranschlag. Punkt. Diejenigen, die ihn als Terror bezeichnen, verdrehen die Wahrheit, fügen den [jüdischen] Menschen- und Bürgerrechten ungerechtfertigterweise großen Schaden zu und bagatellisieren das Konzept des [palästinensischen] Terrors“,
schrieb Smotrich in B’Sheva, einer der Siedlerbewegung nahestehenden Zeitung, wobei sich seine Vorwürfe eindeutig an die Regierung und ihren Sicherheitsdienst Schin Bet richteten, der hart gegen die jüdischen Verdächtigen vorgegangen war, indem er sie – wie bei palästinensischen Terrorverdächtigen üblich – in Verwaltungshaft nahm, ihnen den Kontakt zu Anwälten verwehrte und sie Berichten zufolge mit harten Taktiken verhörte. Smotrich, der den palästinensischen Widerstand gegen die Besatzung als „Krieg [gegen den jüdischen Staat]“ versteht, befürwortet diese Behandlung zwar bei Palästinensern (dem „Feind“), aber nicht bei Juden.[16]
„Terror ist ausschließlich Gewalt durch einen Feind im Rahmen eines Krieges gegen uns, und nur dies rechtfertigt die harten Maßnahmen [der Sicherheitskräfte]”,
erklärte Smotrich seine Logik. Daher habe der Schin Bet, so seine Schlussfolgerung, gegenüber den verdächtigen Festgenommenen „alle roten Linien überschritten“.
Smotrich tolerierte zwar die Gewalt in Duma nicht. Er nannte die Taten der Täter wiederholt „schrecklich“. Aber diesbezüglich denkt er ebenso über die jüdisch-extremistischen Jugendlichen, die kurz darauf gefilmt wurden, als sie auf einer Jerusalemer Hochzeit tanzten und feierten und dabei Messer, Gewehre, Pistolen und einen Molotowcocktail in die Höhe hielten, zusammen mit einem Foto des ermordeten Dawabsheh-Babys – auf das sie mit Messern stachen.[17]
Dennoch, so Smotrich in dem Interview mit Channel 2, sollte keiner dieser jüdischen Mordverdächtigen oder Hochzeitstänzer als Terrorist oder Terrorunterstützer bezeichnet werden. Vielmehr ziehe er es vor, sie als „wohlmeinende Jugendliche“ zu bezeichnen, die auf Abwege geraten sind und ihre „Enttäuschung“ über die Realitäten in Israel nicht überwinden können.
Eine Regierung, die „die moralischste [sic!] Bevölkerung des Staates Israel als eine den Terror unterstützende Bevölkerung behandelt, verliert ihre Existenzberechtigung“, sagte er im Blick auf seine Anhängerschaft, die er als „die harte Rechte“ bezeichnet (er vermeidet das Wort „radikal“), und schrieb:
„Wenn man eine ganze Gemeinschaft an die Wand drückt, ihre [Mitglieder] wie Terroristen behandelt, sie dämonisiert und ihre Rechte mit Füßen tritt, explodiert sie schließlich. Es sollte niemanden überraschen, wenn dies geschehen sollte, wenn immer mehr Menschen gegen ihren Willen zu Handlungen gedrängt werden, die verboten sind.“
Laut Definition, so Smotrich, kann und darf ein Jude in Israel niemals als Terrorist bezeichnet werden. Der Abgeordnete hatte dieses Argument damals immer wieder vorgebracht – zuerst in einem Artikel, den er für B’Sheva verfasst hatte, und dann wiederholt auf seiner Facebook-Seite, in verschiedenen Radio-Talkshows und schließlich während eines langen Interviews am Freitagabend mit Channel 2, Israels beliebtestem kommerziellen Fernsehsender.
4. Smotrichs Vision für „Großisrael“ und sein „Unterwerfungsplan“ für Nichtjuden
Welchen politisch-diplomatischen Plan er für das Westjordanland habe, wurde Smotrich gefragt, da er die Gründung eines palästinensischen Staates (eine sogenannte Zwei-Staaten-Lösung) ablehnt, unter anderem, weil es seines Erachtens „kein palästinensisches Volk“ gebe (sh. u.).
„Wir legen eine unterschiedliche Alternative auf den Tisch, einen Plan, der nicht auf der Teilung des Landes beruht, sondern auf seiner Vereinigung. Ich möchte die [israelische] Souveränität in ganz Judäa und Samaria anwenden.“[18]
Ob er einen muslimischen Staat zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan schaffen wolle, fragte die Interviewerin.
„Nein. Ich baue fünf weitere große Städte, bringe eine weitere halbe oder eine Million Juden ins Land, aber zuerst treffe ich eine Entscheidung. Der Kern meines Plans beruht darauf, eine Entscheidung zu treffen. Nach hundert Jahren Konfliktmanagement machen wir einen entscheidenden Schritt in Bezug auf den Konflikt: Ich breche ihre [der „Araber“] Hoffnungen auf die Gründung eines Staates ab.“
Er wolle drei Botschaften an die arabische Bevölkerung senden (er nannte dies „Unterwerfungsplan“):
„Diejenigen, die [unsere Herrschaft] akzeptieren wollen, werden akzeptieren; diejenigen, die gehen wollen, werden gehen; diejenigen, die kämpfen wollen, werden kämpfen. […] Wir sind hier, wir sind gekommen, das ist unser. [Es] werden drei Türen offen sein, es gibt keine vierte Tür. Diejenigen, die gehen wollen – und es wird welche geben, die gehen –, denen werde ich helfen. Wenn sie keine Hoffnung und keine Vision haben, werden sie gehen. So wie sie es 1948 getan haben.”
„Und diejenigen, die nicht gehen und Sie nicht als souveräne Macht akzeptieren – das sind meiner Meinung nach die meisten Palästinenser?“ wurde er gefragt.
„Diejenigen, die nicht gehen, werden entweder die Herrschaft des jüdischen Staates akzeptieren, in diesem Fall können sie bleiben, und diejenigen, die das nicht tun, werden wir bekämpfen und besiegen.“
„Und wie? Seien Sie konkret.“
„Mit einer Armee, mit Waffen. Was meinen Sie mit ‘wie’? Das haben wir 1948 getan – wir haben gekämpft, und wir haben gewonnen.“
„Sie haben 2,5 Millionen Menschen im Westjordanland, nicht die Palästinensische Autonomiebehörde oder [deren Präsident] Abu Mazen, sondern Menschen, die sich in einer Volksintifada gegen Sie erheben können. Kinder, die Steine werfen.“
„Das wird nicht passieren. Es wird nicht passieren. Wenn wir eine eiserne Hand zeigen, wird es keine Kinder geben, die Steine werfen. Jeder, der Steine wirft, wird nicht hier sein.“
„Und warum? Was wollen Sie mit ihm machen?“
„Was ich tun soll? Entweder erschieße ich ihn oder ich sperre ihn ein oder ich vertreibe ihn (engl.: “I expell him”). […] Was mich betrifft, so muss jede Begegnung zwischen einem Soldaten und dem Feind mit einer eindeutigen Entscheidung enden. Es endet, es tut weh, es ist sinnvoll. So rehabilitiert man die Abschreckung. So führt man einen Krieg.“
Diejenigen, die bleiben wollen, so Smotrich, müssten mit dem Status von „Ausländern“ in Israel leben. Zu diesem Status bemerkte er: „Nach dem jüdischen Gesetz muss immer eine gewisse Minderwertigkeit bestehen.“[19]
Diese suprematistische (überhebliche) Selbsteinschätzung jüdischen Lebens gegenüber der radikalen Abwertung nichtjüdischen Lebens und die daraus folgende Forderung multifacher Rache bei Beleidigung, Verletzung oder Tötung jüdischen Lebens durch Nichtjuden hat seine Grundlage im Talmud. „Wenn ein Nichtjude einen Jisraéliten schlägt, so verdient er den Tod. […] Wenn jemand einen Jisraéliten ohrfeigt, so ist es ebenso als hätte er die Göttlichkeit geohrfeigt.“[20]
Zu der Möglichkeit eines palästinensischen Widerstands, und auf die Frage, ob er in diesem Fall beabsichtige, ganze Familien samt Frauen und Kindern auszurotten, wenn sie nicht gehen wollen, sondern sich gegen die Unterwerfung auflehnen, sagte Smotrich: „Krieg ist Krieg.“[21]
Im Jänner 2018 sagte Smotrich in einem Interview mit dem Radiosender der israelischen Armee über die Palästinenser:
„Das ist das Problem, wenn man es mit Mücken zu tun hat. Wenn man Mücken erschlägt, erwischt man vielleicht 99 von ihnen, aber die hundertste Mücke, die du nicht getötet hast, tötet dich. Die echte Lösung ist es, den Sumpf trockenzulegen.“[22]
Der Vergleich von Nichtjuden (Gojim) mit Tieren – in diesem Fall Mücken – kommt nicht von ungefähr. Im Talmud heißt es: „Ihr [Juden] heißt Menschen, nicht aber heißen die weltlichen Völker Menschen (sondern Vieh).“[23]
Über die Bauleute des „Turmbaues von Babel“ heißt es im Talmud (nicht in der Bibel), dass Strafen verhängt wurden: „Diejenigen, die sagten: wir wollen hinaufsteigen und Krieg führen, wurden Affen, Geister, Gespenster und Dämonen; und von denjenigen, die sagten: wir wollen hinaufsteigen und da Götzendienst treiben […].“[24]
Im Oktober 2021 erklärte Smotrich gegenüber arabischen Abgeordneten: „Ihr seid aus Versehen hier, es ist ein Fehler, dass Ben-Gurion die Arbeit nicht beendet und euch 1948 nicht hinausgeworfen hat.“[25]
Exkurs (Video): Wie ultraorthodoxe israelische Knaben zu Hass, Völkermord und Vorherrschaft erzogen werden
Mit englischen Untertiteln: https://www.academia.edu/video/1NJdA1 oder https://bit.ly/3kPTqPU
Mit arabischen Untertiteln: https://twitter.com/naizaktv/status/1056150083027324929
Jemand hat auf die Plattform von academia.edu ein Kurzvideo (Dauer 1:03 Min.) mit einem Ausschnitt aus einem ultraorthodox-religiösen Knabenunterricht hochgeladen und kommentiert: „This is abhorrent (abscheulich).“
Das übersetzte Transkript mit Fragen der Pädagogen (kursiv)
und Antworten aus der Schulklasse lautet:
Wenn ich das Wort „Yerushalaim“ (Jerusalem) sage, was kommt euch in den Sinn?
„Das Heilige Haus, die Heilige Stätte, der Tempel.“
Wer glaubt, dass das Heilige Haus in ein paar Jahren wieder aufgebaut sein wird?
(Alle Knaben heben die Hände – sie sind ultraorthodox, jeder hat eine schwarze Kippah auf dem Kopf.)
Was befindet sich zur Zeit an der Stelle des Tempels?
„Die Moschee, die Al-Aqsa-Moschee.“
Was wird mit der Moschee geschehen?
„Sie wird zerstört, explodiert, verschwindet.“
Wer von euch hat dieses Jahr ein arabisches Kind getroffen?
(Alle Knaben heben die Hände.)
Hast du mit ihm gesprochen?
„Er hat mich einfach gestoßen und ist weggegangen.“
Was empfindet ihr, wenn ihr ein arabisches Kind trefft?
„Gefühle des Hasses.“
„Ich habe das Gefühl, ich möchte ihn umbringen.“
Was passiert, wenn du einen nicht-religiösen Juden triffst?
„Ich empfinde Mitleid, weil er nicht religiös ist.“
Warum empfindest du Mitleid?
„Weil er nicht auf dem richtigen Weg ist.“
Wie siehst du Jerusalem in 10 Jahren?
„Alle sind religiöse Juden, aber einige Araber, die unsere Sklaven sein werden.“
Der Messias kommt, nicht wahr?
„Es wird einen verheerenden Krieg geben, und alle Araber werden getötet, aber einige von ihnen werden als Sklaven bleiben.“
5. Smotrich stellt israelisches Recht über internationales Recht
Auf die Vierte Genfer Konvention verwiesen, nach der es einer Besatzungsmacht verboten ist, eine Bevölkerung von außerhalb in ein besetztes Gebiet zu verlegen, sodass die Gründung von Außenposten (die Smotrich alle legalisieren möchte) und Siedlungen ein Verstoß des Staates gegen das Völkerrecht ist, rechtfertigte Smotrich dies damit, dass „Judäa und Samaria“ (wie der Staat die Westbank nennt) 1967 nicht von einem völkerrechtlich anerkannten Souverän erobert worden und daher kein besetztes Gebiet sei. „Und selbst wenn wir es [von einem Souverän] erobert hätten“, fuhr er fort,
„hat die Knesset die Befugnis, andere Gesetze zu erlassen – so wie sie israelisches Recht und israelische Rechtsprechung auf die Golanhöhen angewandt hat, obwohl der Golan völkerrechtlich gesehen besetztes Gebiet ist. Ich bestreite nicht, dass wir vereinbarte Begriffe ändern wollen.“
Mit anderen Worten: Smotrich beansprucht das Recht, sich ohne weiteres über internationales Recht hinwegzusetzen, wenn es den „Interessen Israels“ dient. „Ich bin mutiger als Netanjahu, und vielleicht habe ich mehr Vertrauen in die Richtigkeit unseres Weges“, bekennt er selbstbewusst und verweist auf die praktischen Erfahrungen nach der – völkerrechtswidrigen – Annexion Ostjerusalems und der Golanhöhen:
„Der Welt hat die Anwendung des israelischen Rechts in Jerusalem und auf den Golanhöhen nicht gefallen, aber der Himmel ist nicht eingestürzt; und genauso wird der Welt die Anwendung des israelischen Rechts in Ma’aleh Adumim[26] nicht gefallen, aber sie wird sie akzeptieren, und von dort aus werden wir das israelische Recht auf ganz Judäa und Samaria anwenden.“
6. Smotrichs messianistisch-fundamentalistisches Geschichtsverständnis
Dieses „Recht Israels“ meint Smotrich aus seiner Religion und der Geschichte abzuleiten:
„Selbst wenn ich ein internationales und verbrieftes Recht [auf das Land] hätte, reichen mir die göttliche Verheißung und unser historisches Recht aus.
Tatsache ist, dass wir vor 3.500 Jahren hier waren. Wir wurden nicht gestern Morgen geboren. Wir wurden mit Gewalt von hier vertrieben, und nach 2.000 Jahren kehren wir im Rahmen des gerechtesten und moralischsten Prozesses, den es in den letzten hundert Jahren auf der Welt gegeben hat, in unsere Heimat zurück.“[27]
Bereits kurz nach seiner Wahl zum Abgeordneten war er vor das Knesset-Plenum getreten und verkündete unter Berufung auf die wöchentliche Torah-Lesung gelassen: „So etwas wie Palästinenser gibt es nicht.“ Als daraufhin Mitglieder der Opposition ihn von ihren Sitzen aus anschrien,
„blickte er auf, während sein typisches halbes Lächeln seine Lippen umspielte. ‘Was, meine Freunde, habe ich gesagt, was euch aufregt?’, sang er [he sing-songed]. ‘Meine Freunde in der Opposition, wir werden [das Westjordanland] annektieren, ob ihr es wollt oder nicht. Dies ist unser Land Israel. Es wurde uns von Gott gegeben.’“[28]
Im Oktober 2019 sagte Smotrich, dass die Juden die „Grundeigentümer [sic!] des Landes Israel“ seien, „das dem Jüdischen Volk seit Jahrtausenden gehöre“, berichtete Jacques Ungar im jüdischen Wochenmagazin tachles. Smotrich weiter:
„Wer immer die Existenz des Staates Israel als einen jüdischen Staat leugnet, hat keinen Platz hier, Punkt Schluss. Auch nicht in der Knesset.“[29]
Was Smotrich ganz praktisch unter einem „jüdischen Staat“ versteht, wird anhand seiner Rede im November 2022 bei einer Konferenz in der Knesset deutlich, die von der rechtsextremen Aktivistengruppe Ad Kan organisiert worden war. Er bezeichnete Menschenrechtsorganisationen als eine „existenzbedrohende Gefahr“ für Israel; die Regierung müsse ihre Gelder beschlagnahmen und mit Sicherheits- und juristischen Maßnahmen gegen sie vorgehen. Genannt wurden unter anderem die Organisationen New Israel Fund (NIF), Schovrim Schtika und Schalom Achschaw.[30] Diese Ablehnung der Menschenrechtsorganisationen, die sich für einen „Staat für alle“ ohne ethnische oder religiöse Diskriminierung einsetzen, ist darin begründet, dass für die extreme Rechte eine Gleichberechtigung aller im Staat Lebender die „Zerstörung Israels als jüdischer Staat“ bedeuten würde. „Jüdischer Staat“ bedeutet für Smotrich die absolute Souveränität, das Supremat „des jüdischen Volkes“ über derzeit etwa 24 % nichtjüdische Staatsbürger[31] und den jüdischen Alleinbesitz des Staates.[32]
7. Smotrichs orthodox-fundamentalistische Theologie
In dem Interview 2016 (sh. o.) wurde er gefragt:
„Gefällt es Ihnen, wenn man Sie für verrückt oder messianisch hält?“
„Der große Unterschied zwischen dem orthodoxen Judentum und den Reformjuden ist, dass ich an die Existenz absoluter Wahrheiten glaube. Das ist mein Leben. Der Herr ist einer. Nicht dreißig. Er hat die Welt erschaffen und uns am Berg Sinai die Torah gegeben. Das ist die Bedeutung von ‘Torah aus der Höhe’. Die Torah aus der Höhe steht über mir, und ich bin an sie gebunden. Ich kann die Verzerrung der Wahrheit im jüdischen Staat nicht legitimieren. Genauso wenig wie ich das Christentum legitimieren kann.“
Auf die Frage, ob er eine Hoffnung für irgendeinen Palästinenser darstellt, antwortete er:
„Das weiß ich nicht. Ich diene in erster Linie mir selbst und vertrete mich selbst, und, was mich interessiert, ist, mich um mein Volk zu kümmern. Und ich weiß, dass die Betreuung meines Volkes bedeutet, dass das ganze Land Israel mir gehört, religiös, historisch und auch in praktischer Hinsicht.“
Darin – aber auch in anderen Fragen der Halachah – folgt er Rabbi Shlomo Aviner, der sagte:
„Der Gott Israels und der Schöpfer der Welt hat uns befohlen, dieses ganze Land in seinen heiligen Grenzen in Besitz zu nehmen, und zwar durch Verteidigungs- und sogar durch Befreiungskriege. […] Wir müssen das ganze Land Israel besiedeln und unsere Herrschaft über das ganze Land errichten. Mit den Worten von [Nachmanides]: ‘Überlasst das Land keinem anderen Volk.’“[33]
8. Antwort auf Smotrichs politische Ideologie
Smotrichs politischen Vorstellungen wie auch seine Geschichtsbehauptungen und religiösen Ansichten sollten die These dieser Studie, dass sich „Israel in Geiselhaft der religiösen Zionisten“ befindet, mehr als ausreichend untermauern. (Dazu auch die „Vorbemerkung“ zum „Epilog“). Ohne Anspruch auf Vollständigkeit folgt nun eine Entgegnung auf seine Prämissen.
8.1 Wie der Kahanismus in der israelischen Politik hoffähig wird
Auch wenn sich Smotrich nicht explizit auf Meïr Kahane beruft, der als Vorkämpfer eines jüdischen Rassismus gilt, so ist das, was Smotrich betreffend „Vermischung“ sagt, lupenreiner Kahanismus. In seinem Buch “They Must Go” (Sie müssen gehen) hatte Kahane davor gewarnt, dass Gottes „heiliges Volk“ durch die „Hässlichkeit von Mischehen, Prostitution und sexuellen Kontakten zwischen Arabern und jüdischen Frauen“ korrumpiert werde. Kurz nach seiner Wahl 1984 als Knesset-Abgeordneter hatte Kahane der Knesset zwei Gesetzesentwürfe vorgelegt: den Entwurf eines Gesetzes über die israelische Staatsbürgerschaft und den arabischen Bevölkerungstransfer (die Deportation aus dem Staatsgebiet) sowie den Entwurf eines Gesetzes zur Verhinderung der Assimilation zwischen Juden und Nichtjuden und zur Wahrung der „Heiligkeit“ (Unantastbarkeit) des jüdischen Volkes. (Dieser Gesetzesentwurf würde Mischehen und Geschlechtsverkehr zwischen Arabern und Juden verbieten). Nach dem ersten Gesetzentwurf wäre das Recht auf Staatsbürgerschaft ausschließlich Juden vorbehalten gewesen; der Araber, der bleibt, kann nur den Status eines „ansässigen Ausländers in Eretz-Jisrael“ erhalten, ohne das Recht zu wählen oder ein Amt zu bekleiden.[34]
Kahane hatte damit gerechnet, dass nur „ein kleiner Prozentsatz [der Araber] den Bedingungen zustimmen würde, die einem ansässigen Ausländer auferlegt werden, der nicht den Status eines Staatsbürgers hat. Es handle sich dabei hauptsächlich um alte Menschen. Sie würden bleiben“;[35] der Rest würde ausgewiesen werden („expelled“).
8.2 Was Smotrich unerwähnt lässt
Wenn Smotrich laut seinem „Unterwerfungsplan“ alle, die weder freiwillig gehen noch sich als „Bewohner im Ausländerstatus“ unterwerfen würden, aus dem Land werfen wolle, dann müsste er zuerst die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) auflösen und die Drei-Zonen-Aufteilung (Gebiete A, B und C) gemäß Oslo-Vertrag im Westjordanland gewaltsam beenden. Doch leben darin weit über drei Millionen Palästinenser (in Zone A auch mit bewaffneten palästinensischen Sicherheitskräften). Dass es dann zu einem unvorstellbaren Blutvergießen käme im Falle einer Invasion durch die in der Zone C präsenten israelischen Okkupationstruppen (IOF) und Grenzpolizisten, die diese Millionen Palästinenser versuchen müssten, gegen ihren Willen zu evakuieren und „auszuweisen“ (wohin?), wäre vorgezeichnet und würde zu einer Art „arabischem Holocaust“ kommen, obwohl Smotrich dies in Abrede stellt. Er schrieb:
„Diejenigen, die sich weigern, die neue Realität zu akzeptieren und sie mit Gewalt bekämpfen wollen, werden mit der ‘militärischen Lösung’ konfrontiert, in Form einer entschlossenen israelischen Armee, die von den politischen Führern den Auftrag hat, den Sieg zu erringen und den Terror zu beseitigen.“
Und im Nachsatz:
„Es gibt nichts Gerechteres und Moralischeres als das Recht Israels, sich gegen diejenigen zu verteidigen, die es zerstören wollen.“[36]
Damit stellt er auch die Rechtsverhältnisse auf den Kopf, denn es wären die Palästinenser, die das Recht hätten, sich gegen die Zwangsdeportation aus ihrer angestammten Heimat und die Massakrierung der Invasoren zu verteidigen.[37] Offenbar betrachtet es Smotrich als irrelevant, dass Palästina seit 2012 ein von den Vereinten Nationen anerkannter Staat mit Beobachterstatus ist.
8.3 „So wie sie es 1948 getan haben.“
In dem Interview von 2016 (sh. o.) sagte Smotrich voraus: „Wenn sie keine Hoffnung und keine Vision haben, werden sie gehen. So wie sie es 1948 getan haben.“ (“When they have no hope and no vision, they will go. As they did in 1948.”)
Dabei ist ihm eine grobe „Ungenauigkeit“ unterlaufen, genauer gesagt eine handfeste Geschichtslüge. Der zynisch-arrogante Unterton ist spürbar.
Richtig hingegen ist, dass das „freiwillige“ Verlassen des Mandatsgebiets Palästina nur für die Anfangsphase der arabischen Abwanderung galt; diese begann vor der Verabschiedung des UN-Teilungsplans vom 29. November 1947. Das Akevot-Institut[38] hat dies im Rahmen der Studie „Migration of Eretz Yisrael Arabs between December 1, 1947 and June 1, 1948“ anhand von Zahlen und Daten haarklein dokumentiert. Die sechsmonatige arabische Migration gegen Ende der vorstaatlichen Periode (Dezember 1947 bis Mai und darüber hinaus) lässt sich in vier Phasen unterteilen, deren erste Phase bis Ende Februar 1948 angegeben wird.
„Der finanzielle Faktor war nur in der Anfangsphase der Migrationsbewegung ein Motiv für die Abwanderung, als die wohlhabenden Araber, die ihren Besitz und ihre Fabriken sichern wollten, schnell auswanderten.“ [39]
Insgesamt nennt die Akevot-Studie folgende Faktoren, in der Reihenfolge ihrer Bedeutung:
1. Direkte jüdische Anfeindungen gegen arabische Gemeinden.
2. Auswirkungen unserer [d. h. jüdischer] feindseligen Handlungen gegen Nachbargemeinden, in denen Migranten lebten (hier insbesondere der Fall großer Nachbargemeinden).
3. Aktionen der Dissidenten [Irgun, Lehi]. [Anm. FW: Mit „Dissidenten“ sind die Abspaltungen von der „offiziellen“ zionistischen Haganah-Miliz der vorstaatlichen Zeit gemeint.]
4. Von arabischen Institutionen und Banden erlassene Befehle und Richtlinien.
5. Jüdische Flüsteroperationen [psychologische Kriegsführung], um Araber in die Flucht zu schlagen.
6. Evakuierungs-Ultimaten.
7. Furcht vor jüdischer Vergeltung bei einem größeren arabischen Angriff auf Juden.
8. Das Auftauchen von Banden und ausländischen Kämpfern in der Nähe des Dorfes.
9. Angst vor einer arabischen Invasion und deren Folgen (vor allem in Grenznähe).
10. Arabische Dörfer, die innerhalb rein jüdischer Gebiete isoliert sind.
11. Verschiedene lokale Faktoren und allgemeine Angst vor dem, was kommen würde.
Von freiwilligem „Gehen“ kann also nicht einmal vor der Staatsgründung die Rede sein. Die vierte Phase erstreckt sich über den Monat Mai: „Sie ist die wichtigste und entscheidende Phase der arabischen Migration in Eretz Jisrael. Es beginnt sich eine Migrationspsychose abzuzeichnen, eine Vertrauenskrise in Bezug auf die arabische Stärke.“ In der Schlussfolgerung schreiben die Studien-Autoren:
„Die Massenmigration von Arabern aus Eretz Jisrael fand im April und Mai statt. Der Mai war ein Höhepunkt und wurde als der Monat registriert, in dem der größte Teil der arabischen Migration stattfand, oder genauer gesagt, die arabische Flucht.“
8.4 Smotrichs „Terrorismus“-Definition
Smotrichs „Terrorismus“-Definition, dass ein Jude niemals „Terrorist“ genannt werden darf, bedarf ebenfalls einer kritischen Anmerkung, wenn er meint:
„Terror ist ausschließlich Gewalt durch einen Feind im Rahmen eines Krieges gegen uns […].“ (sh. o.)
Das würde bedeuten, dass die zionistisch-paramilitärischen Untergrundorganisationen während der britischen Mandatszeit wie Irgun Zwai Leumi (Etzel), Lechi und Palmach keinen Terror praktiziert hätten. Dazu einige kurze Hinweise:
Die Irgun verübte terroristische Angriffe nicht nur gegen die arabische Zivilbevölkerung, sondern vermehrt auch gegen die offizielle Völkerbund-Mandatsmacht der Briten. Zu den bekanntesten Operationen gehören 1946 der Bombenanschlag auf das King David Hotel, das Hauptquartier der Briten, mit über 90 Opfern (was zur Empörung der jüdischen Zivilbevölkerung führte) und die Teilnahme am Massaker in dem friedlichen Dorf Deir Jassin[40] 1948 mit über 100 Opfern.
Lechi (auch: „Stern-Bande“) führte terroristische Anschläge durch, die sich gegen das völkerrechtliche Palästina-Mandat Großbritanniens richteten, also nicht gegen einen „kriegführenden Feind gegen uns“. Sogar nach der Staatsgründung führte sie noch einen Anschlag durch und ermordete im September 1948 den UN-Gesandten und schwedischen Friedensvermittler Folke Bernadotte.
Der Palmach ging ab 1945 ein Bündnis mit Irgun und Lechi ein, um den bewaffneten Kampf gegen die Briten aufzunehmen. Zu seinen Methoden gehörten auch Sabotage und Sprengstoffanschläge und die Versenkung britischer Patrouillenboote. Er war an Hunderten Bombenanschlägen auf bewohnte Häuser, Brücken und Durchlässe des Eisenbahnnetzes beteiligt und führte Racheakte gegen Zivilisten durch. Zum Beispiel sprengten sie als Vergeltung für eine Landmine fünf Häuser in die Luft und töteten 30 erwachsene Araber.
Für die jüngste Zeit, vor allem seit der Jahrhundertwende, sind auch die „Preisschild“-Attacken (price tag) der sogenannten „Hilltop-Youth“ in Betracht zu ziehen. „Preisschild“ ist die ursprüngliche Bezeichnung für die terroristischen Angriffe und Vandalenakte, die vor allem im besetzten Westjordanland und Ostjerusalem von israelisch-jüdischen fundamentalistischen Siedlerjugendlichen („Hilltop-Youth“) gegen palästinensische Araber, linke israelische Juden, israelische Araber, Christen und israelische Sicherheitskräfte verübt wurden. Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem hat viele solcher Aktionen dokumentiert, darunter gewalttätige Angriffe auf zufällig anwesende palästinensische Zivilisten, Brandattacken und Schmieraktionen gegen Moscheen und Kirchen, das Werfen von Steinen auf palästinensische Autos, das Abfackeln von palästinensischen Feldern und Obstgärten und das Zerstören und Entwurzeln von Bäumen, die Palästinensern gehören, das Blockieren von Straßen sowie das Eindringen in palästinensische Dörfer und Gebiete.
Im Sinne der Definition Smotrichs sind das alles offenbar „keine Terrorakte“ – denn sie wurden von jüdischen „Freiheitskämpfern“ und Jugendlichen begangen.
9. Antwort auf Smotrichs Geschichtsbild
9.1 „So etwas wie Palästinenser gibt es nicht.“
Wie erwähnt, behauptet Smotrich: „So etwas wie Palästinenser gibt es nicht.“ Historisch korrekt dagegen ist:
Die Palästinenser oder das palästinensische Volk, auch als palästinensische Araber bezeichnet, sind eine ethnisch und religiös heterogene Gruppe, die von Völkern abstammt, die die Region der südlichen Levante zum Teil seit Jahrtausenden bewohnt haben und kulturell und sprachlich arabisch sind.
Die klassische Konzeption der Bezeichnung „Palästina“ im weiteren Sinn, die Region der „Levante zwischen Phönizien und Ägypten“ und Galiläa inkludierend, stammt von Herodot aus dem 5. Jh. BCE. Daran anknüpfend hieß das Land nach der Niederwerfung der Bar Kochba-Rebellion (135/136 CE) unter Kaiser Hadrian wieder „Palästina“ (Syria Palaestina).
Insbesondere die alteingesessenen nominell christlichen Palästinenser können, etwa aus Ostjerusalem, ihre Familiengeschichten bis in die oströmische (byzantinische) Periode zurückverfolgen. In diametralem Gegensatz dazu stehen die erst seit dem 19. Jh. eingewanderten europäisch-zionistischen Juden, die von Anfang an den „Transfer“ der alteingesessenen nichtjüdischen Bewohner des Landes im Auge hatten, um „Eretz Jisrael als Ganzes“ selber (und exklusiv) in Besitz zu nehmen und so zu „erlösen“.[41]
9.2 „Wir waren vor 3.500 Jahren hier.“
Tatsache ist weiters, dass niemand belegen kann, Nachfahre von Juden zu sein, die vor zwei Jahrtausenden in Judäa/Palästina gelebt haben, oder gar von den zwölf Stämmen, die „vor 3.500 Jahren hier waren“ (so Smotrich sh. o.; mehr darüber sh. Fußnote 80). Umso mehr sind Behauptungen, leibliche Nachkommen des biblischen Abraham in der Linie über Isaak und Jakob/Israel zu sein, gänzlich unseriös und absurd.
9.3 „Nach 2.000 Jahren kehren wir in unsere Heimat zurück.“
Schließlich liegt Smotrich auch falsch, wenn er behauptet (sh. o.): „Wir [sic!] wurden mit Gewalt von hier vertrieben, und nach 2.000 Jahren […] kehren wir […] in unsere Heimat zurück.“
Richtig dagegen ist, dass die Römer die jüdischen Einwohner des Landes vor „2.000 Jahren“, nach dem Ende der Zweiten Tempelperiode (70 CE), keineswegs „mit Gewalt vertrieben“ haben, wie die zionistische Propaganda behauptet.[42]
Dieser Mythos wurde erst seit dem vierten Jahrhundert verbreitet. Die Bibel hatte lediglich eine Wegführung Jerusalemer Gefangener als Sklaven vorausgesagt und davor gewarnt, in die Stadt „hineinzugehen“, bevor die Belagerung beginnen würde (Luk 21,20-24; vgl. 23,28f: „Töchter Jerusalems“). Flavius Josephus, der einzige zeitgenössische Historiker des Tempelfalls, schrieb von 97.000 jüdischen Gefangenen bei der Eroberung, ohne jedoch ihren Bestimmungsort im Römischen Reich zu nennen.[43]
Doch blieben viele jüdische Bauern sowohl vor als auch nach 70 CE auf ihrem Land und bewirtschafteten es. Abgesehen von Enteignungsverfahren zugunsten der Ansiedlung von achthundert römischen Veteranen wurden die Eigentümer nicht von ihrem Land verjagt, sondern durften es als Pächter weiter bestellen. Von einer „Zerstreuung“ steht in diesem Zusammenhang weder in der Bibel noch bei Flavius Josephus in seinem Bericht über den jüdisch-römischen Krieg, noch im Talmud. Die Juden verließen Palästina erst in der islamischen Periode allmählich in großer Zahl. Aber sie wurden nicht vertrieben, sondern gingen, weil andere Länder attraktiver waren und mehr Wohlstand boten.
Wenn Smotrich den Talmud wirklich studiert hat (wovon aufgrund seiner zweifachen Jeschiwa-Ausbildung auszugehen ist), dann weiß er genau, dass Palästina nach 70 CE das Land nicht von Juden entvölkert war, im Gegenteil. Für das sich langsam bildende rabbinische Judentum hatte Javne (Jabne/Jamnia) westlich von Jerusalem die zentrale Bedeutung bis zum Bar Kochba-Aufstand (132-135/6). Danach verlagerte sich der Schwerpunkt nach Uscha bei Haifa in Untergaliläa und später nach Tiberias am Westufer des Sees Genezareth (Kinnereth). Uscha war für einige Zeit Sitz und Lehrstelle der rabbinischen Patriarchen Rabbi Simeon ben Gamaliel II. und Rabbi Jehuda ha-Nasi. Unter dem letzteren erreichte das rabbinische Patriarchenamt nach 200 CE seinen Höhepunkt. Jehuda (Judah) ha-Nasi war offiziell von den Römern als Patriarch anerkannt und regierte fast wie ein König. Die Gleichstellung mit dem König bezeichnet nicht nur seine politische Macht, sondern lässt auf quasi-messianische Ambitionen schließen (sein Biograph Aharon Oppenheimer, geb. 1940, beschreibt ihn als “Quasi-King, Messiah and Redeemer“). Zudem beruhte diese Machtstellung nicht zuletzt auch auf einer soliden wirtschaftlichen Grundlage und machte ihn zwangsläufig zum Anwalt der Interessen der begüterten Oberschicht. Erst Anfang des 5. Jh.s scheint es mit dem Patriarchenamt rapide abwärts gegangen zu sein, sodass es bald zu bestehen aufgehört hatte (vgl. Peter Schäfer op. cit. S. 203).
All dies müsste Bezalel Smotrich genau bekannt sein, weil darüber im Talmud genügend zu lesen ist (der babylonische Talmud wurde um 500 CE vollständig fertiggestellt, der palästinische – Jeruschalmi – unvollendet schon früher). Es muss daher davon ausgegangen werden, dass sich Smotrich bewusst der Geschichtsfälschung schuldig macht, wohl um das judäo-suprematistische Narrativ einer „Rückkehr“ zu legitimieren.
„Zurückkehren“ kann freilich nur, wer als Person selbst ausgewandert ist oder vertrieben wurde, so wie etwa die nach Babylonien Verschleppten nach fünfzigjährigem Exil zurückkehren konnten, möglich gemacht 538 BCE durch das Befreiungsedikt von Kyros II.; einige der währenddessen alt gewordenen Rückkehrer hatten den durch Nebukadnezars Truppen zerstörten Tempel noch persönlich gesehen.
So auch die aus dem alten Israel wegen einer Hungersnot emigrierte Noemi (No-omi): Sie entschloss sich nach dem Tod ihrer beiden Söhne im Lande Moab, wieder in ihre Heimatstadt Bethlehem zurückzukehren (sh. Buch Ruth).
Bezalel Smotrich dagegen könnte allenfalls in die ukrainische Heimatstadt seiner osteuropäischen Vorfahren „zurückkehren“, aber nicht nach Palästina, wo diese nie gelebt hatten.
10. Antwort auf Smotrichs Theologie
10.0 „Mit den eigenen Waffen schlagen“,
so lautet eine bekannte Redensart. Wer sich – wenn auch indirekt – auf die Bibel beruft, muss sich gefallen lassen, auf eben deren Prüfstand gestellt und allenfalls von derselben widerlegt zu werden.[44]
Der Direktor der Programme für israelische Bildung am Jewish Theological Seminary of America (JTS) und Buchautor, Dr. Alex Sinclair, drückte sein Entsetzen aus über die „vielen erschreckenden Dinge“ im Interview Bezalel Smotrichs mit Ravit Hecht vom Dezember 2016 (sh. o.):
„Sein beiläufiger Rassismus, seine Ablehnung der Rechte der Palästinenser, seine Verdrehungen des internationalen Rechts, seine Kriegstreiberei. Am erschreckendsten sind vielleicht seine Selbstgefälligkeit und seine Gewissheit, dass er die Wahrheit sagt.“
Sinclair hat recht, wenn er die Wurzel des Übels folgendermaßen heraushebt:
„Diese absolutistische, fundamentalistische theologische Gewissheit nährt all die anderen erschreckenden Aspekte von Smotrichs Weltanschauung. Seine Gewissheit über seine orthodoxe Wahrheit erlaubt es ihm, andere Meinungen, Weltanschauungen und Erzählungen zu verwerfen – und deshalb ist es seine fundamentalistische Theologie, die attackiert werden muss. Nicht seine Politik, sein Rassismus oder seine Kriegstreiberei, sondern seine Theologie: Das ist seine Achillesferse, das ist der Eckstein, der das ganze Gebäude zusammenhält, und darauf müssen unsere Bemühungen gerichtet sein.“ [45]
Tatsächlich gibt es zwei Möglichkeiten, „seine [Smotrichs] Theologie zu attackieren“: Erstens, die Historizität des Ursprungs der Torah am Berg Sinai – als Grundlage seiner Theologie – einfach in Abrede zu stellen; dies ist, was Sinclair vertritt. Klar ist: Wenn es gar keine tatsächliche Einsetzung des Sinai-Vertrags um die Mitte des 2. Jahrtausends BCE mit feierlicher, treuhändischer Übergabe der Torah an das Zwölf-Stämme-Volk gegeben hat, sondern wenn dies alles nur eine nachträglich fingierte Geschichte aus späterer Zeit ist (was freilich einen Geschichtsbetrug der Erfinder am eigenen Volk bedeuten würde), dann ist Smotrich – und mit ihm alle religiös-zionistischen Nationalisten – einem Mythos aufgesessen, und dies würde all seine politischen Schlussfolgerungen gegenstandslos machen.
Aber das ist eine zu einfache Methode und könnte sich als Bumerang erweisen, wenn etwa doch archäologische Belege für die Authentizität der Torah-Berichte auftauchen würden – und die gibt es in der Tat; Indizien dafür haben sich insbesondere in den letzten Jahrzehnten verdichtet.[46]
Daher betrachten wir die zweite Möglichkeit, indem wir die Texte des Pentateuch (der „5 Bücher Mose“) – und sei es als Arbeitshypothese – als gegeben annehmen und sie als Grundlage verwenden, um die Theologie Smotrichs auf die Probe stellen. So stellen wir fest, dass er von seinen eigenen Referenzen widerlegt und Lügen gestraft wird. (Mit „Torah“ meinen wir hier den geschriebenen Pentateuch und nicht die pharisäischen und nachbiblischen rabbinischen Überlieferungen, die sogenannte „mündliche Torah“, sh. Fußnote 12).
Den Schlüssel, mit dem Smotrich meint, seine Politik rechtfertigen zu können, hat er gegenüber seinen arabischen Knesset-Kontrahenten (sh. o.) folgendermaßen auf den Punkt gebracht:
„Dies ist unser Land. Es wurde uns von Gott gegeben.“
Tatsächlich ist dies in Wahrheit seine „Achillesferse“. Faktum ist nämlich: Es gibt keinen Beleg – welcher Art auch immer – für den Anspruch heutiger jüdischer Menschen, irgendeinen Alleinbesitz „von Gott“ bekommen zu haben. Hier sind gleich sechs auf Fakten beruhende Gegenargumente auf einmal – ein einziges davon würde bereits ausreichen, Smotrichs Anspruch zu falsifizieren:
10.1 Erstens – das ethnische Argument: Smotrich stammt nicht von den alten Judäern ab (sh. o.); die Aschkenasim sind erst vor etwa einem Jahrtausend aus einer genetisch gemischten „Suppe“ entstanden, so der israelisch-amerikanische Populationsgenetiker Ernan Elhaik.[47]
10.2 Zweitens – das moralische Argument: Die historischen Quellen – etwa bei Flavius Josephus – werfen ein grelles Licht auf die Abgründe, die im Judentum des 1. Jh.s herrschten und zwangsläufig zum endgültigen Landverlust führten: die religiöse, moralische und politische Zerrüttung.
Infolge der zahllosen vergeblichen Vorwarnungen der Propheten aufgrund des Tatbestands heilloser Korruption und himmelschreiender sozialer Missstände, De-facto-Abschaffung der schriftlichen Torah zugunsten ihrer „mündlichen Torah“ (sh. Fußnote 12) und der Ausbeutung der von weit her gereisten Pilger im Tempelvorhof durch Wucherpreise der Geldwechsler und Opfertierhändler („Räuberhöhle“) und nicht zuletzt der blutigen Verfolgung gewaltfreier religiöser Dissidenten[48] wurde den drei dominierenden (und rivalisierenden) jüdischen Eliten der Pharisäer, Sadduzäer und Herodianer des ersten Jahrhunderts CE der exklusive Landbesitz endgültig aufgekündigt, wie es von Anfang an in der Torah (Levitikus und Deuteronomium) für den Fall des Vertragsbruchs in Aussicht gestellt war. Beispielsweise war ihnen die Pflicht auferlegt, ihre Nachbarn – auch die nichtisraelitischen! – als gleichberechtigt zu betrachten und „wie Einheimische unter den Söhnen Israels“ (Hes 47,22) zu behandeln (etwa die Samaritaner), doch das hatten sie nie getan.[49]
Die heutige Politik ihrer ideologischen Nachahmer gegenüber ihren arabisch-palästinensischen Landes-Mitbewohnern stellt alles Böse von damals noch weiter in den Schatten und falsifiziert Smotrichs angemaßten Exklusivanspruch.
Nota bene: Der Likud-Abgeordnete Binyamin (Benny) Begin verurteilte die rassistischen Äußerungen von Bezalel Smotrich, nachdem dieser 2016 für getrennte Entbindungsstationen für jüdische und arabische Frauen eingetreten war, indem Begin auf das ausdrückliche Verbot der Unterdrückung von Fremden („Fremdlingen“), die im Land wohnten, und auf das Gebot absoluter Gleichbehandlung im Buch Levitikus (3. Buch Mose) verwies. Smotrich jedoch rechtfertigte seine Einstellung mit der Erklärung, dass mit dem Begriff Fremdlinge „Proselyten“ gemeint seien. Dass dies eine Sinnentstellung ist, geht aus der ganzheitlichen Betrachtung des Gebots hervor, nämlich aus dessen Begründung (Lev 19,33-34):
„Wie ein Einheimischer unter euch soll euch der Fremdling sein, der sich bei euch als Fremder aufhält, und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn Fremdlinge wart ihr im Land Ägypten. Ich bin Jahweh, euer Gott.“
„Fremdlinge“ sind daher – exegetisch korrekt – als Nichtisraeliten zu verstehen, denn sie werden von den „Brüdern“ der eigenen Volksgemeinschaft unterschieden. Dieses strikte Gleichbehandlungsgebot von Israeliten und Nichtisraeliten wird in der Torah mehrfach bekräftigt. Von „Proselyten“ ist weder hier noch in den Parallelstellen die Rede (z. B. 23,22; 25,35), vielmehr galten Konvertiten durch die Aufnahme in die israelitische Volksgemeinschaft als vollwertige „Brüder“.
„Ein und dasselbe Recht sollt ihr haben: wie der Fremdling, so der Einheimische.“ (24,22)
Smotrichs Umgang mit der Heiligen Schrift entspricht also genau jener textverfälschenden Willkür der Rabbinen, so wie es gerade in ihre Argumentation passt (sh. oben anhand von Exodus 34,27, Fußnote 12); diese Methode ist geradezu ein Charakteristikum talmudischen Schriftgebrauchs.
10.3 Drittens – das Argument der bedingten Zeremonialgesetzgebung: Die Geltung des Sinai-Vertragswerks einschließlich des Zeremonialgesetzes im historischen Judentum war untrennbar mit dem biblischen Opfer- und Versöhnungsdienst verbunden. Nur die levitischen Priester als Nachkommen Aarons waren Torah-gemäß zu dessen Ausführung autorisiert, doch ihr Geschlecht ist nach dem Ende des Tempelzeitalters untergegangen. (Heutige Juden mit Leviten- oder Kohen-ähnlichen Namen können keine seriöse Legitimation dazu vorweisen). Neben anderen Faktoren bedeutet dies, dass das Judentum der biblischen Zeit nach Ende der Tempelperiode nicht mehr existent ist und ein etwaig zukünftig errichteter („dritter“) Tempel keine biblische Legitimierung hätte – ein solcher wäre ein veritabler „Götzentempel“.
Die „Nachfolge“ des historischen Judentums trat gewissermaßen – unter völlig geänderten Umständen – eine neue Religion an: das rabbinische (rabbanitische) Judentum auf Basis der bisherigen mündlichen Überlieferungen, kompiliert von Jehuda ha-Nasi um 200 CE (Mischnah), ohne Tempel und damit ohne biblisch gültigen priesterlichen Versöhnungsdienst. Also können ihre heutigen Anhänger naturgemäß keine biblischen Verheißungsträger sein, sie sind dementsprechend keine Nachkommen des biblischen Judentums. Damit ist Bezalel Smotrichs Behauptung, dass „Gott ihnen [den Zionisten] das Land gegeben“ habe, definitiv gegenstandslos – im Klartext: eine dreiste Anmaßung und ein (un-) frommer Selbstbetrug.
10.4 Viertens – das Argument der bedingten Abraham-Verheißung: Wer sich auf den biblischen Abraham, der laut Buch Genesis die Landverheißung von Gott erhalten hat, beruft, muss genau lesen, was dazugesagt wurde:
Sie war unausweichlich an die ethische Voraussetzung gebunden, „den Weg Gottes zu bewahren: nämlich Gerechtigkeit und Recht zu üben, damit (!) Gott über Abraham kommen lasse, was er ihm im Blick auf seine Nachkommen zugesagt hat“ (paraphrasiert nach Genesis/1Mose 18,19). Das Wort „damit“ ist eine Konjunktion zur Begründung der (einzig maßgeblichen) Zielsetzung, um unter dem Segen Abrahams zu stehen. Als völkische „Blut- und Boden“-Zusage (d. h. jüdisches „Blut“ auf jüdischem Land, von nichtjüdischem „Blut“ gesäubert, entsprechend der Politik der religiösen Neozionisten) ist die Verheißung keinesfalls zu verstehen. Daher widerspricht die eklatant ungerechte, rechtswidrige und menschenverachtende Politik heutiger militanter Neozionisten mit ihrem Protagonisten Bezalel Smotrich ganz und gar der Zielsetzung, „Gerechtigkeit und Recht zu üben“. Seine Berufung auf Abraham ist schon allein aus diesem Grund absolut ungerechtfertigt.
Nota bene: Indem Abraham zum „Vater vieler Völker“ wurde (so die Bedeutung seines neuen Namens, vgl. Gen 17,4-5), gibt es keinen wie immer gearteten Vorrang jüdischer Menschen vor nichtjüdischen, denn „vor Gott gibt es kein Ansehen der Person“; alle Menschen – in welcher Gegend der Welt auch immer – sind einander an Wert und Würde ebenbürtig. Dementsprechend gelten auf persönlicher sowie auf politischer Ebene die allgemeinen Menschenrechte, das Recht der Selbstbestimmung der Völker und die internationalen völkerrechtlichen Regelungen. Keine Gemeinschaft, kein Volk kann sich um eines exklusiven Wohnrechts willen – schon gar nicht auf Kosten anderer – auf „Gott“ berufen. Somit konterkariert das partikularistische Gottes- und Menschenbild im Talmud (das ideologisch auf der von Rabbi Jeschūa explizit verurteilten „Lehre der Pharisäer“ beruht, vgl. Mt 16,6.12; Luk 12,1) mit seiner rassistisch definierten Erwählungslehre eklatant der Theologie der gesamten Bibel.
10.5 Fünftens – das geographisch-demografische Argument: Die seinerzeit durch Los eruierten Grenzen der einzelnen israelitischen Stammesgebiete und die Festlegung der Leviten- und Zufluchtsstädte existieren seit 2.700 Jahren nicht mehr. Sie verschwanden infolge der assyrischen Eroberungen der nördlichen Wohngebiete des Landes, während deren Bewohner (im Wesentlichen die zehn nördlichen Stämme) nach Mesopotamien (und darüber hinaus) deportiert, zerstreut und assimiliert wurden. Seit damals ist – biblisch gesehen – die Bezeichnung „Land Israel“ Vergangenheit. Daher können nicht tausende Jahre danach in einem anderem, neuen Heilszeitalter Menschen, die sich – rabbinisch oder kulturell, jedoch außerbiblisch – als „Juden“ identifizieren, einen Landstrich gewaltsam erobern, auf diesem – unter dem zweifelhaften Etikett: „jüdisch und demokratisch“ – einen expansionistischen Militärstaat gründen und diesen anachronistisch-geschichtswidrig – unter missbräuchlicher Vereinnahmung eines biblisch-heilsgeschichtlichen Namens – „Israel“ benennen. Ein ethnokratisch-neojüdischer Zentralstaat wie derzeit im Nahen Osten (manche nennen ihn bereits „zelotokratisch“) ist nirgends in der Bibel angekündigt, geschweige denn geboten, im Gegenteil. Das „Reich Gottes“ (griech. basilea: „Königreich“) im Zeitalter des neuen Bundes ist ein Friedensbund zwischen „Menschen guten Willens“ im Geiste des Messias nach biblischer Verheißung (vgl. Jes 9,5-6; 11,1ff; Luk 2,11-14; Eph 2,11-22; Kol 1,13).
10.6 Sechstens – das juridische Argument: Der alte Sinai-Bund betreffend Landbesitz war als Zwei-Parteien-Lehensvertrag unmissverständlich an die Einhaltung der Haus- bzw. Landesordnung – der Torah – gebunden, dazu gehörten auch die gesetzlich vorgeschriebenen Abgaben wie Zehent und Erstlingsgaben (deren Einhaltung seit den assyrischen Eroberungen und Deportationen nicht mehr möglich ist). Nachdem die Lehensnehmer in permanentem Vertragsbruch verharrt hatten, war ihr Vertragspartner – Gott, der Lehensgeber – seiner Zusage rechtskonform entbunden. Er blieb der Eigentümer des Landes, sie aber verloren ihren Stand als Besitzer. Es ist daher – biblisch gesehen – eine dreiste Anmaßung, wenn Smotrich im Oktober 2021 gegenüber den arabischen Abgeordneten behauptete (sh. o.), sogar „Grundeigentümer [sic!] des Landes Israel“ zu sein, denn es heißt im Buch Levitikus:
„Das Land aber soll nicht endgültig verkauft werden, denn mein ist das Land; denn ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir.“ (3Mose 25,23).
Niemals in der biblischen Geschichte war ein Eigentumswechsel vollzogen worden. Dieses Ansinnen wäre blasphemisch gewesen – das Zwölf-Stämme-Volk war nie der Eigentümer, sondern nur Lehensnehmer, Besitzer – im biblischen Gleichnis: Pächter des Weinbergs –, die wohl einen zeitlich unbegrenzten Pachtvertrag hatten, der aber nur unter strikter Einhaltung der vereinbarten Vertragsbedingungen gültig blieb (vgl. das diesbezügliche Gleichnis von Rabbi Jeschūa in Mt 21,33-46). Entscheidend war, dass ihre siebzig Ältesten als Vertreter des ganzen Volkes bei der Vertragsschließung am Berg Sinai einen Treueeid zur Einhaltung geschworen hatten, wie es den damaligen Rechtsgepflogenheiten entsprach (Exodus/2Mose 24,1-8), daher mussten sie im Fall andauernden Vertragsbruchs die vereinbarten Konsequenzen tragen: die schlussendliche, unwiderrufliche Kündigung.
Somit war die endgültige Zerstörung des historischen Jerusalems und des herodianischen Tempels durch die multinationalen Armeen des Jahres 70 CE – römische Legionen und Hilfstruppen aus den umliegenden Völkern – aus der Sicht der Prophetie der Vollzug des lange angedrohten gerechten Strafgerichts (vgl. auch Mt 22,6) und absoluter Schlusspunkt des Levitischen, nicht wieder herstellbaren Zeitalters.
Seitdem ist anstelle des alten Sinai-Bundes gemäß prophetischer Ankündigung durch Jeremia (31,31-34) die Stiftung des neuen Bundes in Kraft getreten – für die, die ihn annehmen. Dieser neue Bund ist charakterisiert durch Gerechtigkeit, Frieden und religiöse Gewaltfreiheit. Im Gegensatz dazu verfolgen die militanten religiösen Zionisten mit ihrer Gewaltpolitik – biblisch und religionsvergleichend gesehen – eine widergöttliche Ideologie; ihr Gott ist ein rassistischer Kriegsgott, ein selbstgemachter Götze, aber nicht der Gott, der durch den Propheten Sacharja im Blick auf den neuen Bund geboten hatte (Sach 4,6):
„Nicht durch Heeresmacht / und nicht durch Gewalt, / sondern durch meinen Geist!“
Dieser Geist ist der Geist des Messias, des „Gesalbten Gottes“, der bereits gekommen ist: Jeschūa, der Sohn Davids, und der in der „Bergpredigt“ die – bereits in der Torah – gebotene Nächstenliebe sowie Feindesliebe und Gewaltfreiheit gelehrt hat (Mt 5-8). Er hat sein Werk der Erlösung von Sünden (nicht: der zionistischen „Erlösung des Landes“) vollbracht (vgl. Jes 53; Psalm 22; vgl. Heb 9,15) und diejenigen, die ihn annahmen, gesammelt und in das neue Jerusalem erhoben (Heb 12,22ff), und schließlich den alten und überholten sichtbaren Einrichtungen und dem alten Jerusalem, ein Ende – wenn auch mit Schrecken – bereitet, wie der Verfasser des Hebräerbriefes ausführlich dargelegt hat.[50]
10.7 Alles vergeblich
Das Auftreten des messianischen Nachkommens des einzig verbliebenen Verheißungsträgers, König Davids,51] musste sich bereits zu einem Zeitpunkt erfüllt haben, als der Tempel im alten Jerusalem noch stand, wie der letzte Prophet des alten Bundes, Maleachi, verheißen hat (3,1), also schon Jahrzehnte vor dem „Endzeitjahr“ 70 CE. Dies müsste den Rabbaniten bewusst sein, aber sie weigern sich mit unterschiedlichen, wenn auch haltlosen Argumenten, dies anzuerkennen (z. B. in Mt 27,62-66).
Das Zeugnis des Sinai-Vertrags, die Bundeslade mit den Gesetzestafeln, bleibt seit Nebukadnezars Tempelzerstörung (587/86 BCE) verschwunden – ein immerwährendes Zeichen des schlussendlichen jüdischen Vertragsbruchs schon zur Königszeit des alten Israels und Jerusalems.
Vergeblich arbeiten daher religiöse Zionisten der radikalen „Tempelberg-Bewegung“ an einer nutzlosen Rekonstruktion sakraler levitischer Einrichtungen für den vor zweitausend Jahren für immer „öde gelassenen“ Ort des ehemaligen Tempels (vgl. Mt 23,38).
Vergeblich bereiten sie dazu einen leblosen Eckstein vor, nachdem sie den wahren „Eckstein“ des wahren Tempels verworfen haben (Psalm 118,22; Jes 28,16; Mt 21,42; 1Pet 2,6).
Vergeblich (vgl. Heb 10,4) mühen sie sich seit Jahren im Jordantal um die Züchtung einer „makellosen jungen roten Kuh“, deren „Reinigungswasser“ (aus ihrem Blut und ihrer Asche) sie zur Einweihung des „Dritten Tempels“ verwenden wollen.[52]
Vergeblich erflehen heute die Anhänger des rabbinischen Judentums im Angesicht ihres steinernen „Altars“,[53] der herodianischen Westmauer (ha-Kotel ha-Ma’aravī), die Wiederherstellung des „Tempels JHWHs“ ungeachtet des Gotteswortes durch Jesaia, mit dem Stephanus den geistigen Vorbildern heutiger Rabbis ihr vergebliches Vertrauen auf den Tempel vorgehalten hatte:
„Die Himmel sind mein Thron, / und die Erde ist der Schemel meiner Füße. / Was für ein Haus wäre das, das ihr mir bauen wollt? / Und was für eine Stätte wäre meine Ruhestatt? Und machte nicht meine Hand dieses alles?“ (Jes 66,1-2; Apg 7,49f)
So warten sie vergeblich auf das Auftreten eines „Messias“, der nie kommen wird, weil der wahre Messias längst „in seine Herrlichkeit eingegangen“ ist (Luk 24,26; vgl. 1Pet 1,11-12), wovon in Psalm 110 poetisch geweissagt war (vgl. Phil 2,5-11; Kol 3,1f; Heb 1,1-4; 8,1; 12,2); oder sie begrüßen einen falschen „Messias“ mit verheerenden Auswirkungen wie schon allzu oft in ihrer Geschichte wie Simon Bar Kochba, Schabbtai Zvi (Sabbatai Zwi) oder Jakob Frank, um nur einige der schlimmsten zu nennen. Die verheerenden politischen Auswirkungen messianistischer Lehrverirrung und derer, die – wie Bezalel Smotrich – ihren falschen Versprechungen blindlings Glauben schenken, zeigen sich in dem unendlichen menschlichen Leid von zig-Millionen Menschen im sogenannten Nahost-Konflikt.
10.8 Fazit
„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Sammelt man von Dornen die Weintraube oder von Disteln Feigen? So bringt jeder gute Baum edle Früchte, aber der faule Baum bringt schlechte Früchte“,
lehrte Rabbi Jeschūa in der „Bergpredigt“ im Blick auf die falschen Propheten (Mt 7,16f). Bezalel Smotrich erfüllt mit seinen politischen Plänen und paranoiden Vorstellungen alle Voraussetzungen dazu. Mit seiner religiös-ultranationalistischen Vision folgt der „blinde Blindenführer“ einem rassistischen Trugbild, das entweder nie Wirklichkeit wird oder zu einer Katastrophe unabsehbaren Ausmaßes führen würde, wenn tatsächlich die messianistischen Fanatiker versuchten, den Abriss des Felsendoms und der Al-Aqsa-Moschee in Angriff zu nehmen.
Epilog: Quo vadis, Israel?[54]
Vorbemerkung
In Israel kämpfen – vereinfacht gesagt – zwei völlig konträre Richtungen um die Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Der eine Flügel vertritt die Staatsform einer pluralistisch-liberalen Demokratie uneingeschränkt gleichberechtigter Bürger:innen bei vollständiger Gewaltenteilung und unter strikter Trennung von Religion und Staat und lehnt die israelische Militärherrschaft über Palästina ab.
Der andere Flügel betreibt den Abbau des bisher existierenden, „jüdisch und demokratisch“ definierten Staates zugunsten eines rein jüdisch-fundamentalistischen Rabbinerstaates bis zur Umwandlung in eine halachische Monarchie mit uneingeschränkter jüdisch-ethnischer Herrschaft zwischen Mittelmeer und Jordanfluss. Er bezichtigt das „andere Israel“[55] der „Israelfeindschaft“.
Dabei wird deutlich, dass es sich um einen zunehmend asymmetrischen Kulturkampf handelt, nachdem der religiöse Rechtsextremismus längst die Vorherrschaft errungen hat und nicht erst in jüngster Zeit in der hohen Politik des jüdischen Staates angekommen ist. Die Entwicklung hat sich spätestens seit Ende der 1990er Jahre abgezeichnet und während der Regierungsjahre von Benjamin Netanjahu unaufhaltsam verstärkt. Unübersehbar wurde dies in den Jahren ab 2013 und besonders seit Ende 2015. Liberal-demokratisch gesinnte Israelis aus Bereichen wie Justiz, Soziologie und unabhängigem Journalismus werden daher seit Jahren nicht müde, vor diesem antisäkularen Transformationsprozess zu warnen, der von religiösen Ultra-Nationalist:innen zunehmend offen, arrogant und machtbewusst vorangetrieben wird.
Dementsprechend wenig hoffnungsvoll analysierte der „Ari Rath Ehrenpreis“-Träger, Journalist und Buchautor Gideon Levy56] die Situation Ende 2015:
„Der religiöse Ultranationalismus, der sich hinter dem abgenutzten Namen ‘religiöser Zionismus’ verbirgt, hat gewonnen, und zwar im großen Stil. Mit der Ernennung des neuen Polizeipräsidenten, des Chefs des Mossad und der erwarteten Ernennung des Generalstaatsanwalts, die alle zu ihrem Lager gehören, haben sie weitere Vorposten der entscheidenden Macht erobert. Jetzt ist die gesamte Führungsspitze des Rechtssystems (auch der Staatsanwalt und der Bezirksstaatsanwalt von Tel Aviv gehören ihnen) und ein Teil des Verteidigungsapparats in ihren Händen. Der Einzug in die Medien ist bereits vollzogen.“[57]
Palästina – das Westjordanland – befindet sich seit seiner Eroberung 1967 in israelischer Geiselhaft. Mittlerweile ist die säkulare israelische Gesellschaft selber in Geiselhaft des „religiösen Zionismus“.
Ein Abriss dieser Entwicklung im letzten Jahrzehnt soll dies nachdrücklich untermauern.[58]
Jair Lapid
Zwar errang Jair Lapid (geb. 1963) mit seiner 2012 gegründeten „zentristischen“ Partei („Jesch Atid“: „Es gibt eine Zukunft“) bei der Knessetwahl im Jänner 2013 den zweiten Platz, und er wurde Finanzminister. Doch konnte er sein Versprechen, auf eine sozial gerechtere Gesellschaft hinzuwirken, mit dem von ihm vorgelegten Haushalt für 2013/2014 nicht einhalten.[59] Gegen Ende des Jahres 2014 wurde er nach einer Regierungskrise von Premierminister Benjamin Netanjahu seines Amtes enthoben. Nach der vorgezogenen Knesset-Wahl im März 2015 blieb ihm nur die Oppositionsrolle.
Avigdor Lieberman
Mit zunächst hauchdünner Mehrheit bildete sich nach der Wahl 2015 ein überwiegend religiös-rechtsnationaler Koalitionsblock, der jedoch von 61 (von insgesamt 120) auf 67 Abgeordnete wuchs, nachdem im Mai 2016 die (nichtreligiöse) Partei („Jisra’el Beitenu“: „Israel, unser Zuhause“) von Avigdor Lieberman (geb. 1958) beitrat und dieser Verteidigungsminister wurde.
Liebermans politischen Positionen sind als aggressiv-rechtsextrem zu bewerten. Schon 2003 hatte er als Verkehrsminister in der Knesset vorgeschlagen, freigelassene palästinensische Gefangene mit Bussen an einen Ort zu bringen, „von dem aus sie nicht zurückkehren“. Anderen Quellen zufolge soll er vorgeschlagen haben, die Gefangenen im Toten Meer zu ertränken.[60] Im Zusammenhang mit dem Wahlkampf 2015 äußerte Liebermann in Bezug auf arabische Israelis, die dem Staat Israel gegenüber nicht loyal sind: „Bei denen, die gegen uns sind, kann man nichts machen, wir müssen eine Axt nehmen und ihnen den Kopf abhacken. Andernfalls überleben wir hier nicht.“ [61] Daraufhin warf ihm der arabische Knesset-Abgeordnete Ahmad Tibi gedankliche Nähe zu den Terroristen des IS vor.
2016 sprach sich Lieberman, der1978 aus der damals sowjetischen Moldauischen SSR eingewandert war, für die Todesstrafe „gegen antiisraelische Attentäter“ aus und forderte für den Gazastreifen ein Vorgehen wie Russland in Tschetschenien. 2017 erklärte Lieberman, die von der „Vereinten Liste“ (eine Listenverbindung von mehreren hauptsächlich arabischen Kleinparteien) in der Knesset vertretene israelisch-arabische politische Führung sei „eine Fünfte Kolonne geworden“ und agiere als „hochrangige Vertretung terroristischer Organisationen in der Knesset.“[62]
Im Oktober 2019 wiederholte er dies in einem Radio-Interview: „Es ist klar, dass die ‘Vereinte Liste’ eine fünfte Kolonne ist, nicht in Anführungszeichen, sondern ganz wörtlich.“[63]
Joas Hendel
Auf der Herzliya-Konferenz 2013 erklärte der Militärhistoriker Joas Hendel (geb. 1975), Vorsitzender des Instituts für Zionistische Strategien (IZS) von 2012 bis 2019, Knesset-Abgeordneter bis 2021 und zwischen 2020 und 2021 auch zweimal Kommunikationsminister, er befürworte eine maximale Trennung von den Palästinensern, sehe aber keine Möglichkeit, ein Friedensabkommen in dieser Generation zu erfüllen.
Im Februar 2020 sagte Hendel in einem Interview mit Ravit Hecht im Vorfeld der bevorstehenden Knesset-Wahl:
„Ich denke, dass die uns umgebende arabische Kultur ein Dschungel ist. Es werden dort alle Menschenrechte, die wir in der westlichen Welt anerkennen, grob verletzt. Diese Rechte sind dort noch nicht einmal aufgekeimt. Sie haben noch nicht das evolutionäre Stadium der Menschenrechte erreicht.“ [64]
Knesset-Mitglieder mehrerer Parteien verurteilten die „antiarabische Bigotterie“ von Joas Hendel in dem Interview, die als Beleidigung für Araber und mizrachische Juden nahöstlicher oder nordafrikanischer (das bedeutet: arabisch-sprachiger) Herkunft (Mizrachim) angesehen wurden. Ahmad Tibi, Mitglied der Gemeinsamen (oder Vereinten) Liste (Joint List), nannte Hendel „einen weißen Rassisten gegen Araber und Mizrachim gleichermaßen. […] Ich verachte seine Weltanschauung und die einiger seiner Freunde, die an die jüdische Vorherrschaft glauben.“ Hendels Kollege Ofer Shelah von derselben Parteienliste (Kahol Lavan) sagte: „Die Äußerungen von Joas Hendel waren jämmerliche Äußerungen, die besser nicht gesagt worden wären und in keiner Weise den Geist von Kahol Lavan widerspiegeln.“[65]
Bezugnehmend auf Joas Hendel setzte Gideon Levy in seinem oben zitierten Meinungsartikel vom Dezember 2015 fort:
„Arroganz und Intoxikation der Macht werden stärker. Joas Hendel, einer von ihnen, auch ohne Kippah, hat die neuen Grenzen dieses Sektors aufgezeigt: ‘Der säkulare Tel Aviver ist irrelevant geworden’, sagte er, wie Yedioth Ahronoth am Freitag berichtete. ‘Der gesamte Kampf zwischen Liberalen und Konservativen in der israelischen Gesellschaft wird heute innerhalb des religiösen Zionismus ausgetragen. Das ist die neue Elite, und sie ist nicht mehr an Kompromissen interessiert.’ Hendel hat Recht. Seine schockierenden, empörenden Worte sind auf dem Boden der Realität verwurzelt. Wir müssen sie anerkennen. Die Übernahme der Debatte durch die Rechten hat schon vor langer Zeit begonnen.“[66]
Alle anderen Meinungen sind marginal und nicht mehr relevant, klagte Levy.
„Mit vernachlässigbaren Beiträgen zur Gesellschaft, zur Wirtschaft, zur Kultur, zur Wissenschaft, zur Literatur und zur Kunst; mit einem gemeinsamen Nenner, der hauptsächlich auf messianischen, religiösen, rassistischen Überzeugungen und einem Hass auf den Anderen, insbesondere den Araber, beruht; mit einer fiktiven Liebe zum Land, einer Isolation von der Welt und einer folkloristischen Religion, alles in schnulzigen Kitsch verpackt; ohne praktische Vision; mit einer hohlen geistigen Führung, die ihre Macht auf die Aufstachelung zum Hass und die Billigung von Blutvergießen gründet; an den Brennpunkten der Gewalt und den Brutstätten der Korruption, und mit unerträglicher Arroganz hat diese Bewegung das Vakuum, die schreckliche Apathie, die sich in der säkularen Gesellschaft ausgebreitet hat, ausgenutzt und sich bis in die höchsten Ebenen der Macht hochgearbeitet.“
Doch nachdem einige Jahre später das Interview von Joas Hendel mit Ravit Hecht im Februar 2020 (sh. o.) erschienen war, setzte Gideon Levy ironisierend nach:
„Hendel ist die Verkörperung des schönen Israeli, weil er uns sagt, dass wir beides haben können, dass wir alles haben können. Genau so wollen wir [Juden] uns sehen – liberal und nationalistisch, moralisch und zionistisch, Besatzer und Humanisten, jüdisch und demokratisch, säkular, aber unsere Ansprüche auf eine göttliche Verheißung stützend, aufgeklärt und an unser exklusives Recht auf das Land glaubend, modern und die Heiligkeit in Steinen sehend, jüdisch und israelisch, moralisch und ethisch, Patrioten, die es lieben, den Israel [National] Trail zu wandern und gemeinsam patriotische Lieder zu singen, und natürlich Reservistendienst in der Einheit zu leisten.
Hendel ist der schöne Israeli, denn für ihn gibt es keine Hässlichkeit. Die IDF ist die moralischste Armee, Israel ist ein Leuchtfeuer der Gerechtigkeit, die Besatzung wurde uns aufgezwungen, wir sind eigentlich ihre Opfer. ‘Es schmerzt mich, dass wir das tun müssen, aber es gibt keine Wahl’, sagte er über die Schrecken der Besatzung. Israelis lieben so etwas: das auserwählte Volk, aber keine Wahl zu haben. Das moralischste, aber das wurde uns alles aufgezwungen. Wir werden den Arabern nie vergeben, die uns zwingen, ihre Kinder zu erschießen.“[67]
Gideon Levy nahm Hendels umstrittene Aussage über den „Dschungel der arabischen Kultur“ und deren „grobe Verstöße gegen jedes Menschenrecht“ aufs Korn und antwortete mit einer Replik:
„Ein israelischer [Knesset-] Sprecher, ein begeisterter Befürworter der Besatzung [im Westjordanland] – einer der grausamsten Tyranneien der Welt – wagt es, über Menschenrechte zu sprechen und andere zu belehren. Das muss den Rekord für Chuzpe und Mangel an Selbstbewusstsein brechen.“
Ajelet Schaked
Die als „säkular“ geltende Ajelet Schaked (geb. 1976) wurde bei der Parlamentswahl in Israel 2013 als Abgeordnete in die 19. Knesset gewählt. Nach der Parlamentswahl 2015 wurde sie Justizministerin im Kabinett von Benjamin Netanjahu. Nach ihrer Ernennung machte sie deutlich, dass die Einschränkung der Macht der Justiz eine vorrangige Aufgabe sei.[68] Im Dezember 2015 brachte Schaked eine Gesetzesvorlage ein, die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verpflichten würde, eine Finanzierung aus dem Ausland offenzulegen. Sie beschuldigte NGOs vor der Knesset, dass sie „die Autorität der vom Volk gewählten Regierung in Frage stellen“ und „die Souveränität und den Charakter des Staates Israel untergraben.“[69]
Opposition und linke NGOs kritisierten das Vorhaben scharf. Das Gesetz wurde am 12. Juli 2016 im Parlament gebilligt.
Im Tirtzu
Ebenfalls im Dezember 2015 veröffentlichte die rechtsextrem-zionistische NGO „Im Tirtzu“ ein Propaganda-Video, mit dem sie eine Kampagne gegen „ausländische Maulwürfe“ mittels Diffamierung von vier angesehenen israelischen Menschenrechtsorganisationen startete. Im Tirtzu beschuldigte sie der Beihilfe zum Terrorismus und bezeichnete sie als „israelfeindliche“ Organisationen. Im Tirtzu nannte die Namen deren Verantwortlichen, veröffentlichte ihre Gesichter für alle sichtbar und kennzeichnete sie als Verräter an ihrem eigenen Volk. In einem öffentlichen Aufschrei berichtete der altgediente Journalist Chemi Shalev darüber und warnte:
„Dieses Video ist nur ein Symptom einer sich rasch ausbreitenden und gefährlichen Epidemie, ein Vorzeichen, wenn man so will, der Dinge, die da kommen. […] Die Kampagne von Im Tirtzu scheint zeitlich mit den laufenden Bemühungen der israelischen Justizministerin Ajelet Schaked zusammenzufallen, ausländische NGOs und Menschenrechtsgruppen zu unterdrücken. Letzten Monat legte Schaked der Knesset ein ‘Transparenzgesetz’ vor, das NGOs, deren Budget zu mindestens 50 % von ausländischen Regierungen finanziert wird, dazu zwingen würde, sich öffentlich zu erklären.“[70]
In selben Monat startete Im Tirtzu eine weitere Kampagne mit dem Titel „Maulwürfe in der Kultur“, in der wichtige israelische Kulturschaffende – Gila Almagor, Amos Oz, David Grossman, A. B. Jehoschua, Chava Alberstein und Rona Kenan – ebenfalls als „Maulwürfe“ bezeichnet wurden.[71] Guy Davidi, Produzent von “5 Broken Cameras“, der ebenfalls in dem Bericht genannt wurde, antwortete mit den Worten:
„Ich weise den Versuch entschieden zurück, Boykottmaßnahmen von Israelis als einen Akt des Verrats darzustellen. Meiner Ansicht nach sind Boykott und Divestment [BDS] legitime politische Aktionen, die eine positive Art des Protests darstellen – eine positive Alternative zu gewaltsamen Aktionen, die ich entschieden verurteile. Es ist das Recht eines jeden Menschen, bestimmte Produkte zu boykottieren, wenn er mit der Herkunft oder der Art der Herstellung nicht einverstanden ist.“[72]
Im Tirtzu wird als größte und wichtigste zionistische Bewegung bezeichnet; sie hat umfangreiche Unterstützung von der israelischen Regierung erhalten.[73]
Chemi Shalev fasste zusammen:
„Das ist das eigentliche Ziel von Im Tirtzu und seinen protofaschistischen Verbündeten in und außerhalb der Regierung: die Opposition zum Schweigen zu bringen, abweichende Meinungen zu unterdrücken, linke Ideologien mit den Feinden der Nation zu identifizieren und ihre Kritik mit einem Messer im Rücken der Nation gleichzusetzen, und zwar in der schlimmsten aller bewährten, antidemokratischen Traditionen. Es ist eine Kampagne, die keine Grenzen kennt und keine Gefangenen macht: Sogar der israelische Präsident Reuven Rivlin wurde in den letzten Tagen als Verräter geteert und gefedert, weil er es gewagt hatte, auf der Haaretz-Konferenz zu sprechen, zu der auch Vertreter von Breaking the Silence eingeladen worden waren.“[74]
Tzipi Hotovely
Die Karriere der orthodox-nationalreligiösen Journalistin, Aktivistin und Politikerin Tzipi Hotovely (geb. 1978) ist bemerkenswert. Sie wurde von Benjamin Netanjahu handverlesen, um auf der Kandidatenliste des Likud für die Knesset-Wahl 2009 zu erscheinen, und wurde Mitglied der Knesset und damit zur jüngsten Person, die jemals in die Knesset gewählt wurde. Sie hat Rechtswissenschaft an der religiös-zionistischen Bar-Ilan University und an der Tel Aviv University studiert und wurde Anwältin. Zwischen 2013 und 2020 war sie nacheinander stellvertretende Ministerin für Verkehr und Straßenverkehrssicherheit, stellvertretende Ministerin für Auswärtige Angelegenheiten, Diasporaministerin und Ministerin für Siedlungswesen.
Hotovely wird dem rechtsextremen Flügel des Likud zugezählt, bezeichnet sich selbst als „religiöse Rechte“,75] ist maßgeblich an der ideologischen Ausformung der Politik ihrer Partei beteiligt und äußert sich regelmäßig gegen die Errichtung eines palästinensischen Staates. Sie tritt für ein „Großisrael“ ein, das auch die palästinensischen Gebiete umfasst, leugnet die Existenz des palästinensischen Volkes und unterstützt die Annexion des gesamten Westjordanlandes.
Hotovely tritt für ein Gebetsrecht für Juden auf dem Tempelberg in Jerusalem ein[76] und erklärte, dass es „ihr Traum“ sei, „die israelische Fahne auf dem Tempelberg wehen zu sehen“. Der Tempelberg sei „das Zentrum der israelischen Souveränität, in Israels Hauptstadt, der heiligste Ort des jüdischen Volkes“.
Hotovelys Äußerungen wurden von dem oppositionellen Abgeordneten Yoel Hasson von der Zionistischen Union kritisiert, der Premierminister Benjamin Netanjahu aufforderte, sie sofort zu entlassen.
„Die messianische stellvertretende Ministerin heizt den gesamten Nahen Osten weiter an“, sagte Hasson. „Alle paar Monate wiederholt sie ihre Forderung, die israelische Flagge auf dem Tempelberg zu hissen, als ob die Situation nicht schon brisant genug wäre.“[77]
Im Zusammenhang mit dem Besuch des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel in Israel 2017 und dem Eklat um die Gespräche mit Breaking the Silence und B’Tselem bezeichnete sie die israelische Nichtregierungsorganisation Breaking the Silence als „Feinde Israels“.
Obwohl sie der „Diaspora“ gegenüber stets völlig abweisend war und belehrend auftrat, wurde sie 2020 für die frei gewordene Stelle als israelische Botschafterin im Vereinigten Königreich (UK) ernannt. Mehrere prominente Vertreter der jüdischen Gemeinde in Vereinigten Königreich kritisierten ihre Ernennung heftig aufgrund ihrer rechtsextremen Ansichten und erklärten: „Die Ernennung einer rechtsextremen Botschafterin ist zwar repräsentativ für die gegenwärtige Regierung Israels, wird Israel jedoch im Vereinigten Königreich – wie auch in jedem anderen vernünftigen Land – keine Freunde gewinnen.“[78] Na’mod, eine relativ neue Organisation linksgerichteter britischer Juden, organisierte eine Petition gegen die Ernennung von Hotovely aufgrund „ihrer entsetzlichen Vorgeschichte rassistischen und verhetzenden Verhaltens während ihrer gesamten politischen Karriere“.
Anshel Pfeffer schrieb:
„Tzipi Hotovely ist das hässliche, extremistische Gesicht Israels. […] Sie ist der Prototyp der neuen rechtsextremen Likudniks, die die [Likud-] Partei an den äußersten Rand des politischen Spektrums gedrängt haben. […] Sie ist selbst keine Siedlerin, aber sie ist die stolze Sprecherin der ideologischen Hardcore-Gemeinschaft der Siedler in Israel.“[79]
Efraim („Effi“) Eitam
Efraim Eitam, ehemaliger hochdekorierter Brigadegeneral der Israel Defense Forces (IDF), ist 1952 im Kibbutz Ein Gev bei Tiberias in Galiläa geboren. Er studierte Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen und besuchte die Mercaz HaRav.80]
Nachdem Eitam im Dezember 2000 die Armee verließ, trat er 2002 in die Politik ein. Im Gefolge der Krise des Jom-Kippur-Krieges war Eitam streng orthodox-religiös geworden und galt in der Folge als Hardal-Israeli.[81] Seines Erachtens hat der religiöse Zionismus, der „Zionismus der Normalität“ (!), seinen unaufhaltsamen Lauf genommen. Er besteht darin, das ganze Land zu einem neuen Horizont, zu einem neuen Zweck und schlussendlich zur Errichtung des Tempels auf dem Tempelberg in Jerusalem zu führen.
Er plädierte für eine „Endlösung des Araberproblems“ im besetzten Gebiet und forderte die außergerichtliche Hinrichtung von Marwan Barghouti, einem hochrangigen Fatah-Politiker, der zu diesem Zeitpunkt von den israelischen Streitkräften verhört wurde. „Bringt ihn in einen Obstgarten und schießt ihm in den Kopf“,[82] schlug Eitam vor und fügte hinzu, dass hochrangige Politiker der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Ahmed Qurei, der damalige Vorsitzende des Legislativrats, und Mahmoud Abbas (der spätere PA-Präsident) alle dasselbe Schicksal ereilen sollte. „Das sind Kreaturen, die aus den Tiefen der Finsternis kamen“, erklärte er 2004 dem US-amerikanisch-jüdischen Journalisten und Autor Jeffrey Goldberg. „Wir werden sie alle töten müssen“ und fügte hinzu: „Ich meine nicht alle Palästinenser, sondern diejenigen, die das Böse im Kopf haben.“[83] Er griff Ariel Scharon an, der damals Israels berüchtigt-gewalttätiger Premierminister war, weil dieser „zu nachsichtig“ mit den Palästinensern gewesen sei.[84]
Auf Vorschlag des israelischen Ministers für höhere Bildung, Zeev Elkin im Oktober 2020, wurde Effi Eitam – obwohl fachlich unqualifiziert und aufgrund seiner extrem antiarabischen Äußerungen moralisch ungeeignet – für den frei werdenden Direktorsposten der offiziellen israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem nominiert. Indem Premierminister Netanjahu die Ernennung unterstützte, wollte er – so vermuten Beobachter – bei den Nationalreligiösen punkten.
Doch es mangelte nicht an kritischen Meinungsäußerungen und Protesten. Seine Ernennung, so schrieb der polnische Historiker und Holocaust-Überlebende Marian Turski an Israels Präsidenten Reuven Rivlin, würde „Yad Vashems Autorität rund um die Welt untergraben“.[85]
„Er ist kein Mann, der alle als gleich ansieht, was eine Grundvoraussetzung für jeden ist, der eine Institution wie Yad Vashem leitet“, sagte Shraga Milstein, geb. 1933, Vorsitzender der israelischen Vereinigung der Überlebenden von Bergen-Belsen und ehemaliger Bürgermeister von Kfar Shmaryahu nördlich von Tel Aviv im Gespräch mit Ha‘aretz.[86]
„Wie wir wissen, hat der Holocaust nicht mit Gaskammern begonnen. Er begann damit, dass man zwischen Menschen unterschied und einige Menschen als ungleich gegenüber anderen ansah.“
Dem Protest haben sich mit einer Petition auch rund 750 Wissenschaftler, Museumskuratoren und Publizisten angeschlossen, davon mehr als 60 Personen aus Deutschland. Sie alle verbinden mit Yad Vashem – und speziell mit der dortigen International School for Holocaust Studies – die „Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und gesellschaftliche Ausgrenzung im Allgemeinen“. Daher, so die Verfasser und Verfasserinnen, sei „überall dort, wo Rassismus und Hass religiöse, ethnische oder andere Gruppen und Communities bedrohen“, die „dringende Aufgabe, die Zivilgesellschaft zu ermutigen, aktiv zu beobachten, sich zu engagieren und zu intervenieren“, in Gefahr, wenn Yad Vashem dem „unverhohlen rechtsgerichteten, extremistischen und historisch ungebildeten Politiker Effi Eitam übergeben wird“.
Die Proteste hatten schließlich Erfolg, und Efraim Eitams Nominierung wurde zurückgezogen, und statt ihm wurde Dani Dayan zum Vorsitzenden von Yad Vashem ernannt.
Das Militär-Rabbinat und die religiöse „Heiligsprechung“ der Kriege Israels
Die systematische Durchdringung maßgeblicher Institutionen Israels mit jüdisch-religiösem Extremismus, gepaart mit geopolitischem Maximalismus, hat längst auch die Armee und das religiöse Militär-Rabbinat erfasst. Bekannt geworden ist der Gebetsaufruf des damaligen Kommandeurs der Givati Brigade, Col. Ofer Winter, an seine Soldaten während der Operation Starker Fels (2014 gegen Gaza), den der Soziologieprofessor und Buchautor Yagil Levy folgendermaßen kommentierte:
„Winters Statement zeigt ganz klar, dass der Krieg in Gaza ein heiliger Krieg ist und zu Gottes Ehre geführt werden muss. Wie er es sieht, ist eine Attacke auf Israel eine Attacke auf Gott. In Winters Krieg gelten andere Regeln. Es ist ein heiliger Krieg.“
Ofer Winter war von der Talmud-Hochschule mit einer erzieherischen Mission in die Armee eingetreten, um sie dahingehend zu beeinflussen. Yagil Levy weiter:
„Ein Krieg, der in religiösem Geist geführt wird, bietet eine volle Rechtfertigung, den Märtyrertod zu erleiden. […] In der Terminologie dieser Art von Krieg sind die Palästinenser ‘Philister’, und hernach gibt es keine Philister mehr in dem Land. Diese Art von Krieg könnte sogar ethnische Säuberung rechtfertigen.“
Der Gaza-Krieg war Yigal Levys Analyse zufolge nicht einfach eine Operation zur Wiederherstellung der Ruhe in diesem Sektor, sondern ein Rachefeldzug gegen jene, die Gott lästerten, weil sie Israel attackiert hatten. Bereits während des vorangegangenen Gaza-Krieges, der Operation Gegossenes Blei (2009), hatte der Brigadegeneral und Chef des Militärrabbinats, Rabbi Avichai Rontzki, gegenüber den Armeesoldaten den Feind als „Amalek“ präsentiert.87] Damals hatte Rontzki Flugblätter an die Soldaten verteilen lassen, die die Unterschrift von Rabbi Shlomo Aviner trugen: „Dem Feind darf kein Mitleid entgegengebracht werden.“
Jitzhak Schapira[88] hielt im Oktober 2010 israelische Soldaten dazu an, Palästinenser als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen, da es gegen die seiner Meinung nach wahren jüdischen Werte verstoßen würde, wenn ein Soldat sein Leben riskiere, um feindliche Soldaten oder Zivilisten zu schützen.
Yigal Levy, als er 2015 sein neues Buch vorstellte (“The Divine Commander: The Theocratization of the Israeli Military”), wurde nach dem „religiösen Einfluss der Rabbiner auf die Armee“ gefragt. Er meinte, da der religiöse Zionismus bereits „die Hauptströmung“ darstelle:
„Dies ist kein religiöser Einfluss, sondern eine Unterwanderung der Armee durch halachische [religionsrechtliche] Autoritäten. Das ist Theokratisierung.“[89]
Zum Abschluss: Bezalel Smotrich im Vereinigten Königreich
Im Februar 2022 gab es einen Eklat. Smotrich hatte eine Europatournee gestartet mit der Absicht, Gemeindeleiter gegen die in Israel geplante Reform der Speisevorschriften (Kaschrut) und gegen die Anerkennung von nichtstaatlichen Konversionsgerichten in Israel zu mobilisieren, beides bisher ein ausschließliches Monopol der beiden ultraorthodoxen, staatlich autorisierten Oberrabbinate.
Als er zum Auftakt der Reise ins Vereinigte Königreich eingeflogen war, schrieb er nach seiner Landung einen Tweet, dass er in London „eine Reihe von Treffen mit Rabbinern, Gemeindeleitern und jüdischen Organisationen“ haben werde. Daraufhin twitterte die große jüdische Gemeindeorganisation Board of Deputies of British Jews, auf Hebräisch: “Get Back on the Plane!” („Zurück in den Flieger!“), und machte deutlich, dass sie „seine abscheulichen Ansichten“ verurteilt und seine „hasserfüllte Ideologie ablehnt“.
Danach forderte sie Smotrich auch auf Englisch auf, „zurück ins Flugzeug zu steigen und für immer als Schande in Erinnerung zu bleiben“.[90]
Fritz Weber, benaja [at] gmx.at, Januar 2023, Update Februar 2023.
[1] Engl.: “Israel under Hostage of Religious Zionists. Comments on the Supremacism of the Neo-Zionist Bezalel Smotrich“
[2] Der Begriff „Supremat“ bezeichnet eine Oberhoheit oder eine Vorrangstellung. Das Wort wird oft verwendet, um den Führungsanspruch eines politischen oder religiösen Führers oder Staates zu betonen. Davon abgeleitet ist „Suprematie“ (Vorherrschaft). Bezalel Smotrich beansprucht die Suprematie des „jüdischen Volkes” über die „Araber“ zwischen Mittelmeer und Jordan, denen er abspricht, ein (palästinensisches) „Volk“ zu sein (sh. u.).
Im Fall von Smotrich wirkt zusätzlich mit, dass er aschkenasisch-jüdischer („weißer“) Herkunft ist (vgl. “White Supremacy“). Aschkenasim fühlen sich traditionell als „europäische“ Juden den „orientalischen“ Juden überlegen. Diese Einwanderer (Mizrachim) sind von der institutionellen („systemischen“) Diskriminierung, Ausgrenzung, Benachteiligung oder Herabsetzung in gesellschaftlichen Einrichtung Israels seitens der dominierenden Aschkenasim in alltäglichen Rassismuserfahrungen betroffen, insbesondere die dunkelhäutigen äthiopischen Juden. Vgl. Roni (Fantanesh) Malkai: “Will Netanyahu Be the Prime Minister Who Legalized Racism in Israel?” Ha’aretz, Jan 19, 2023. Lesenswert: Racism in Israel
Als der israelisch-französische Schauspieler Yvan Attal gefragt wurde, warum sein Vater einige Jahre, nachdem er aus Algerien nach Israel eingewandert war, das Land wieder verlassen hatte, seufzte er: „Kurz gesagt, ich glaube, mein Vater hat Rassismus erlebt, als sie [Attais Eltern] in Israel lebten. Es war Rassismus zwischen Sephardim und Aschkenasim, und mit so etwas wollte er nichts zu tun haben. Das ist der Hauptgrund, warum sie nach Frankreich gegangen sind.“
(Nirit Anderman: “‘Israel’s Biggest Enemies Are the Religious, Not the Palestinians’”, Ha’aretz, Feb 7, 2023)
[3] Ravit Hecht: “The Face of Israel’s Far Right Wants to ‘Abort’ Palestinian Hope“, Ha’aretz Dez 03, 2016. (Übers. d. Verf.)
[4] Der Neozionismus (hebräisch: ניאו-ציונות) ist eine rechtsgerichtete, nationalistische und religiöse Ideologie, die in Israel nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 und der Eroberung des Westjordanlands und des Gazastreifens entstand. Neozionisten betrachten diese Gebiete als Teil Israels und befürworten ihre Besiedlung durch israelische Juden. Einige befürworten die Umsiedlung von Arabern nicht nur aus diesen Gebieten, sondern auch aus den Gebieten innerhalb der „Grünen Linie“, d. h. aus dem eigenen Staatsgebiet.
[5] Die Mercaz HaRav wurde 1924 von Rabbi Abraham Isaac Kook, dem obersten aschkenasischen Rabbiner während der britischen Mandatszeit für Palästina gegründet (sh. auch Fußnote 80). Die beiden ultraorthodoxen Rabbiner A. I. Kook (1865-1935) und sein Sohn Zvi Yehuda Kook (1891-1982) gelten als die ideologischen Väter der Siedlerbewegung Gusch Emunim.
[6] “Report: Smotrich to become finance minister, defense portfolio to stay in Likud”. The Times of Israel. 21 November 2022.
[7] Ravit Hecht op. cit.
[8] Lahav Harkov: “Bayit Yehudi MK: God commanded Jews not to sell homes to Arabs”. The Jerusalem Post. 16 July 2015.
[9] Listenzweiter des Parteienbündnisses „Religiöser Zionismus“ ist der 1976 in einer säkularen jüdischen Familie geborene Rechtsanwalt und Politiker Itamar Ben-Gvir. Er ist Vorsitzender der rechtsextremen Partei „Jüdische Kraft“ (Otzma Yehudit), eine der drei Bündnisparteien. Im Alter von 16 Jahren schloss er sich der radikalen Kach-Partei an, die 1971 von dem rassistischen, US-stämmigen Rabbi Meïr Kahane (1932-1990) zunächst unter dem Namen „The League List“ gegründet worden war und bis 1994 existierte. Erst nach dem Massaker eines Kahane-Anhängers, Baruch Goldstein, an betenden Muslimen in Hebron wurde Kach verboten. Die Partei strebte eine rein jüdische Gesellschaft in Israel an. Seine radikal-orthodoxe, jüdisch-ultranationalistische Ideologie wurde später als „Kahanismus“ bezeichnet, die jüdische Variante des Faschismus.
Kahanes Schüler Ben-Gvir, neben Smotrich der neue „Politstar“ in Israel, bezeichnete die international renommierte liberale israelische Tageszeitung Ha’aretz als „die Zeitung der Hamas“.
[10] Lehava ist eine ultrarechte israelische Organisation, die jede Assimilation sowie persönliche und geschäftliche Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden ablehnt. Sie wurde von Bentzi Gopstein gegründet, einem radikalen politischen Aktivisten und Schüler von Meïr Kahane. Mit ihm an seiner Seite hatte Itamar Ben-Gvir (damals als Knesset-Abgeordneter) am 6. Mai 2021 provozierend sein „Büro“ in dem Ostjerusalemer Stadtviertel Sheik Jarrah mit einem Tisch unter einem Baldachin (Foto) gegenüber einem von Räumung bedrohten Haus einer palästinensischen Familie eingerichtet.
Lehava erregte durch ihr Engagement gegen interreligiöse Ehen Aufmerksamkeit. Mehrere Ehefrauen israelischer Rabbiner riefen 2010 in einem offenen Brief im Namen Lehavas jüdische Frauen dazu auf, sich nicht mit Nichtjuden einzulassen; sie würden sonst von ihrer „göttlichen Rasse“ abgeschnitten und „ausgelöscht“ – gleichsam ein neuerlicher „Holocaust“. Zudem rief Lehava Juden dazu auf, keine Wohnungen an Nichtjuden zu vermieten.
[11] Emma Graham-Harrison: “Bezalel Smotrich: Israel’s far-right demagogue, drawing fringe beliefs to the centre”. The Guardian, 12 March 2017.
[12] “Smotrich says he wants to be justice minister so Israel can follow Torah law”. The Times of Israel. 3 June 2019. – “Far-right leader itching for justice post to restore Torah law in Israel”. i24NEWS. 3 June 2019.
Tatsächlich meinte Smotrich die Halachah, das orthodox-jüdische Gesetz, mit seinen zahllosen außerbiblischen Alltagsbestimmungen. Diese hatten „in den Tagen von König David“ gar nicht existiert, sondern sind erst in den drei Jahrhunderten vor der Zeitenwende von den „Pharisäern und Schriftgelehrten“ (Sophrim) entwickelt und mündlich tradiert und erst in nachbiblischer Zeit schriftlich festgelegt worden (Mischnah).
Mit „Torah“ im weitesten Sinn meint die rabbinische Orthodoxie die gesamte jüdische Tradition, von der hebräischen (geschriebenen) Bibel bis zu den späteren rabbinischen Überlieferungen – diese bezeichnen sie als „mündliche Torah“. Der jüdisch-orthodoxe Religionsphilosoph Jeschajahu Leibowitz (1903-1994) schrieb:
„Die Glaubensbasis ist unsere mündliche Torah – von Menschen geschaffen; sie ist zugleich die uns verpflichtende Torah. […] Wir glauben, dass die menschlichen Entscheidungen identisch mit den Entscheidungen von Glauben und Religion sind. […] Die mündliche Torah ist einerseits ohne Zweifel ein menschliches Produkt, andererseits akzeptieren wir sie als die göttliche Torah; die Torah, die wir selbst geschrieben haben, ist die göttliche Torah!“
Daraus leitete Leibowitz eine Verpflichtung der Torahgelehrten ab, halachische Fragen der modernen Welt anzugehen und die „mündliche Torah“ weiterzuentwickeln. Die Rabbinen (Rabbaniten) glauben, dass die Torah am Berg Sinai vom Himmel durch Mose dem Volk Israel übergeben wurde und daher nicht mehr im Himmel ist (vgl. bT Baba Mezia 59b:1-6). Damit begründen sie, dass rechtliche Entscheidungen ausschließlich auf der Grundlage (jüdisch-) menschlicher Vernunft und logischer Schlussfolgerungen getroffen werden.
Den Vers im Buch Exodus (2Mose) 34,27 verstehen sie so, als ob er lautete: „Denn mündliche Worte habe ich mit dir, und mit Israel einen Bund gemacht.“ Den Anfang des Verses haben sie nicht zitiert („Schreibe dir diese Worte auf“) und machten daraus das Gegenteil dessen, was gemeint ist, da es heißt: „Schreibe dir diese Worte auf; denn gemäß diesen Worten schließe ich mit dir einen Bund – und mit Israel“, nämlich aufgrund der Worte, die Mose auf Gottes Geheiß aufgeschrieben hat. Mit anderen Worten: Aus diesem Vers, in dem es ausschließlich um das von Mose aufgeschriebene Wort Gottes (JHWHs) als Vertragsgrundlage des Sinai-Bundes ging, machten sie ein mündliches Wort: die „mündliche Torah“, die nur die Rabbis exklusiv besitzen und nach Gutdünken (mit Mehrheitsbeschluss) abändern können.
Rabbi Jeschūa (Jesus von Nazareth) hat dieses schon zur Zeit der Pharisäer eigenmächtig erweiterte „Torah“-Verständnis scharf kritisiert und zurückgewiesen (Mt 15,1-9).
[13] “Ya’alon said to say Israel knows who perpetrated Duma attack”. The Times of Israel. 10 September 2015.
[14] Chaim Levinson: “Who Is Amiram Ben-Uliel, the Alleged Killer of the Dawabsheh Family?” In: Ha’aretz. 3 January 2016.
[16] Danna Harman: “‘No Such Thing as Jewish Terror’ and More From the Poster Boy of Israel’s Far Right“, Ha’aretz Jan 06, 2016.
[17] Judah Ari Gross and Raoul Wootliff: “Police arrest 2 revelers caught on ‘hate wedding’ video. Suspects held over role in celebration of Duma killings; court orders release of one suspect detained in connection with attack.” („Polizei nimmt 2 Feiernde fest, die auf einem Video von einer „Hass-Hochzeit“ zu sehen sind. Verdächtige werden wegen ihrer Rolle bei der Feier der Morde in Duma festgenommen.“) https://www.timesofisrael.com/police-arrest-2-revelers-caught-on-hate-wedding-video/
[18] Es ist bemerkenswert, dass Smotrich in Bezug auf das Westjordanland („Judäa und Samaria“) in diesem Interview nicht von einer Annexion spricht. Das erinnert an Menachem Begin, der gesagt hatte: „Wir verwenden das Wort Annexion nicht. Man annektiert fremdes Land, nicht das eigene Land.“ (Zitiert in: Nur Masalha: “Imperial Israel and the Palestinians. The Politics of Expansion”, London 2000, p. 73). Daher ist für die jüdischen Nationalisten (vergleichbar mit den aufständischen Zeloten im 1. Jh. CE) ein Krieg um Palästina kein Eroberungs-, sondern ein „Verteidigungs“- oder „Befreiungskrieg“. Dies entspricht dem, was der religiöse Zionismus nach der Lehre der Kook-Rabbis unter der „Erlösung [ge’ullah] des Landes“ versteht: Das Land gilt als „unerlöst“, solange „Unreinheiten“ präsent sind, insbesondere in personifizierter Form (Nichtjuden, Christen und Muslime), aber auch in Form von sakralen Immobilien (Kirchen, Klöster, Moscheen).
[19] Tomer Persico: “Betzalel Smotrich, Religious Zionism, and Fundementalism“, 16/05/2017.
Dies erinnert an den ehemaligen sephardischen Oberrabbiner Israels, Ovadja Josef (1920-2013), das geistliche Oberhaupt der sephardischen Schas-Partei, der am 16. Oktober 2010 öffentlich behauptete, dass alle Nichtjuden (Gojim) auf der Welt seien, um Juden zu dienen. Gott habe ihnen ausschließlich zu diesem Zweck ein Leben auf der Welt geschenkt. (Natasha Mozgovaya: “ADL slams Shas spiritual leader for saying non-Jews „were born to serve Jews“, in: Ha’aretz. 20. Oktober 2010).
[20] bT Traktat Sanh VII,v, Gemara Fol. 58b, Übersetzung nach Lazarus Goldschmidt. – Der israelische Journalist Gideon Levy meinte in einem Vortrag sinngemäß, dass das talmudische Verständnis der Auserwähltheit, wodurch sich jüdische Menschen gegenüber Nichtjuden erhaben fühlen, auch säkulare Israelis geprägt habe.
[21] Tomer Persico: ההכרעה של סמוטריץ’. In: Ha’aretz, 16. Mai 2016; Amira Hass: דור פלסטיני חדש. In: Ha’aretz, 17. Mai 2017.
[22] Dahlia Scheindlin: “For Years, Israel’s Leaders Have Cultivated Ethnic Hatred. This Is on Them“, Newsweek, 13. Mai 2021.
[23] Der Babylonische Talmud (bT, Bavli), Traktat Kerethoth I,i.ii, Gemara Fol. 6b, einschl. Klammerausdrücke. Nach der ersten zensurfreien Ausgabe unter Berücksichtigung der neueren Ausgaben und handschriftlichen Materials ins Deutsche übers. v. Lazarus Goldschmidt. Frankfurt am Main 1996.
[24] bT Gemara Fol. 109a zur Mischna, Traktat Sanh XI,iii.
[25] Amy Spiro: “Smotrich at Knesset: Ben-Gurion should have “finished the job”, thrown out Arabs”. The Times of Israel, 13 October 2021.
[26] Was ist es, das Bezalel Smotrich als „die Anwendung des israelischen Rechts in Ma’aleh Adumim“ bezeichnet? Die Siedlung Ma’aleh Adumim wurde 1975 etwa sieben Kilometer östlich von Ostjerusalem auf 450 m Seehöhe auf palästinensischem Territorium – und daher völkerrechtlich illegal – gegründet. Dass die israelische Regierung grünes Licht dazu gab, war eine Reaktion auf den Beschluss des marokkanischen Gipfels von Rabat im Oktober 1975, die PLO als alleinige Vertreterin des palästinensischen Volkes anzuerkennen. Sie schuf damit „Fakten vor Ort“, wie es der üblichen Strategie der zionistischen Regierungen entspricht.
Mittlerweile ist Ma’aleh Adumim zur drittgrößten Siedlerstadt im Westjordanland von 38.000 jüdischen Einwohnern gewachsen und umfasst 48 km². Dazu wurde Landbesitz von vier palästinensischen Dörfern beschlagnahmt. Beduinenstämme, die 1951 aus dem Negev östlich von Beerscheba vertrieben worden waren, nutzten es als Weideland, nachdem sie mit den lokalen palästinensischen Landbesitzern entsprechende Verträge geschlossen hatten. Durch die nach und nach erweiterte israelische Siedlungsentwicklung landeten jedoch mittlerweile viele der Beduinen in Gebieten in der Nähe der Autobahn von Jericho nach Jerusalem (E1) oder auf einer Mülldeponie in der Nähe von Abu Dis (B’Tselem 2013). Die israelische Militärverwaltung plant die Zwangsumsiedlung der drei Beduinenstämme Jahalin, Kaabneh und Rashaida, weil sie dem weiteren Ausbau der israelischen Siedlungen „im Weg sind“.
In den späten 1990er Jahren wurden über 1.000 Jahalin-Beduinen von ihrem Land vertrieben, das nun als Teil der Siedlung einverleibt wurde. (Jihan Abdalla: “Israel eyes landfill site for Bedouin nomads”, June 20, 2012). Abwasser wurde als Mittel zur Vertreibung eingesetzt. Die israelische Zivilverwaltung trennte eine der Abwasserleitungen der Siedlung Ma’aleh Adumim auf der Hügelkuppe ab, um große Gebiete um das Beduinenlager an den unteren Hängen des Hügels zu überfluten. Bäche und Tümpel mit verunreinigtem Material zwangen den Stamm, umzusiedeln (Eyal Weizman: “Hollow Land: Israel’s Architecture of Occupation”, 2012. Verso Books. p. 21).
Es handelt sich also in der Tat um ein passendes Fallbeispiel zur Illustration der politischen Absichten Berzalel Smotrichs. Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem kritisierte:
„Das in Ma’ale Adummim angewandte Enteignungsverfahren ist beispiellos im Siedlungswesen. Die Enteignung von Land für Siedlungszwecke ist nicht nur nach internationalem Recht, sondern auch nach der langjährigen, offiziellen Position der israelischen Regierungen verboten. Die meisten Siedlungen wurden auf Flächen gebaut, die zu staatlichem Land erklärt oder auf Land, das – angeblich vorübergehend – für militärische Zwecke beschlagnahmt worden waren. In Ma’ale Adummim beschloss die Regierung offenbar, das Land dauerhaft zu enteignen, weil sie das Gebiet als integralen Bestandteil Jerusalems betrachtete, der für immer unter israelischer Kontrolle bleiben sollte.“ (“The Hidden Agenda: The Establishment and Expansion Plans of Ma’ale Adummim and their Human Rights Ramifications | B’Tselem”. Joint Report with Bimkom – Planners for Planning Rights, Summary”, December 2009)
[27] Ravit Hecht op. cit.
[28] Danna Harman op. cit.
[29] Jacques Ungar: “Keinen Platz hier“, tachles Das jüdische Wochenmagazin, 25. Oktober 2019.
[30] Noa Shpigel: “Israel Must Deal With Human Rights Orgs as an Existential Threat, Netanyahu Ally Says”, Ha’aretz, 21 November 2022.
[31] Mehr zum Thema sh. Fritz Weber: „Wie politisch maßgebliche nationalreligiöse Rabbiner nichtjüdische Menschen betrachten“, in: „Welchen Wert misst die nationalreligiös-fundamentalistische Orthodoxie dem Leben nichtjüdischer Menschen bei? Eine Studie zum Verständnis des israelischen Chauvinismus anhand seiner religionssoziologischen Wurzeln und die Auswirkungen auf Israels Militarismus und sein Demokratieverständnis“, 2020. https://bit.ly/3je6tEd
[32] Das „Nationalstaatsgesetz“ (nation state law) als israelisches Grundgesetz (basic law) zum „jüdischen Nationalstaat“ wurde am 19. Juli 2018 nach achtstündiger Debatte mit der dünnen Mehrheit von 62 Stimmen (von 120) verabschiedet.
[33] Shlomo Aviner: “Nor Have We Been False to Thy Covenant” (Noch haben wir Deinem Bund untreu gehandelt), Artzi vol. 1 (1982) p. 38″, zitiert nach Ian S. Lustick: “For the Land and the Lord: Jewish Fundamentalism in Israel”, New York: Council on Foreign Relations, 1988, p. 106.
[34] Nur Masalha: “Imperial Israel and the Palestinians. The Politics of Expansion”, London 2000, p. 153.
[35] Nur Masalha, op. cit. 2000, zitiert Meïr Kahane aus: “Lesikim Be’ineikhem” [‘They Shall be Strings in Your Eyes], Jerusalem: Hamakhon Lara’ayon Hayehudi, 1980/81, p. 234.
[36] Bezalel Smotrich: “Haaretz, I Didn’t Call for the Wholesale Killing of All Palestinians”, Ha’aretz, Jun 04, 2017.
[37] Vgl. die Studie: „Schikanieren, vertreiben, töten – 100 Jahre Genozid am palästinensischen Volk. Die wahre Geschichte des real existierenden Zionismus – der rote Faden von 1920 bis 2020 (mit Augenzeugenberichten)“ (Fritz Weber, 2020) https://bit.ly/3u380F8
[38] Das wissenschaftliche Akevot Institut für israelisch-palästinensische Konfliktforschung wurde 2014 gegründet. Es setzt sich dafür ein, den Zugang der Öffentlichkeit zu staatlichen Archiven zu erweitern, um Transparenz und Informationsfreiheit zu fördern. https://www.akevot.org.il/en/
[40] Ofer Aderet: “Testimonies From the Censored Deir Yassin Massacre: ‘They Piled Bodies and Burned Them’” (Zeugenaussagen aus dem zensierten Massaker von Deir Yassin: „Sie häufen Leichen an und verbrennen sie“), Jul 16, 2017.
[41] Nur Masalha: “The Concept of ‘Transfer’ in Zionist Political Thought 1882-1948”, Institute of Palestine Studies Washington, D.C. 1992.
[42] Dieser Mythos ist auf (1) historischer, (2) sprachwissenschaftlicher und (3) genetischer Basis ausführlich widerlegt, sh. Fritz Weber: „Die Abstammungslüge: Jüdischsein liegt nicht in den Genen. Das gescheiterte Projekt der zionistischen Genealogie-Forscher und die politischen Konsequenzen“, 2023.
[43] Flavius Josephus: „Der jüdische Krieg“, VI/420.
[44] Vgl. „Auf dem Prüfstand der Hebräischen Bibel: Der fragwürdige Alleinbesitzanspruch jüdisch-religiöser Nationalisten auf das Land. Eine bibelexegetische Studie mit geopolitischer Tragweite.“ (Fritz Weber, 2020) https://bit.ly/3kfHIsA.
Diese Studie belegt anhand des Tanach, der Hebräischen Bibel bzw. des Alten Testaments, dass das Mainstream-Judentum der Zweiten Tempelperiode und ihre Schriftgelehrten (Sophrim) aus den Fehlern ihrer eigenen Geschichte nicht die richtigen Konsequenzen gezogen und folglich die messianische Landverheißung entgegen ihrer wahren prophetischen Bedeutung und Zielrichtung (vgl. 1Pet 1,9-12) verkannt hatten (vgl. 2Kor 3,11-4,6) – und darum gescheitert sind.
Paradebeispiel für jemanden, der – nacheinander – beide Seiten vertreten hatte, ist Paulus von Tarsus, ein hervorragender Schüler des angesehenen Schriftgelehrten Rabbi Gamaliel I. in Jerusalem. Von dessen pharisäischer Schule her vertrat Paulus die Mainstream-Erwartung eines rein jüdisch-partikularistischen, diesseitsbezogen-politischen messianischen Königreichs. So verfolgte er – im Auftrag des maßgeblichen Hohen Rats (Sanhedrin) – alle Volksgenossen bis auf den Tod, die in Rabbi Jeschūa von Nazareth den geweissagten Messias erkannt und angenommen hatten. (Dieser hatte unmissverständlich bezeugt, dass das auf seiner Person als Sohn Davids gegründete Königreich „nicht von dieser Welt war“, Joh 18,36; vgl. 6,15). Erst als Paulus seiner eigenen Verblendung gewahr wurde und daraufhin sein Schriftverständnis nach den Weissagungen der biblischen Propheten auf den Messias hin neu ausrichtete (vgl. „Grundsätze biblischer Schriftauslegung“, Fritz Weber 2019. https://bit.ly/2SNGwE9), erkannte er, dass in dessen Person und Erlösungswerk alles Geweissagte seine Erfüllung fand und das Zeitalter des alten (Sinai-) Bundes, das nur vorläufig-irdischen Charakter hatte, restlos überholt war. Judaistisch-zionistische Propaganda dagegen behauptet, Paulus habe „das Christentum erfunden“. Wahr ist das Gegenteil, wie eine genaue Exegese seiner Schriften erkennen lässt. Mehr über diesen hermeneutischen Paradigmenwechsel: „Paulus von Tarsus und das Judentum seiner Zeit. Betrachtungen zur Wende vom Alten zum Neuen Testament nach Phil 3,2-11“. (Fritz Weber, 2014) https://bit.ly/3hnhXGk
Auch das rabbinische Judentum der Post-Tempel-Ära hat an der bibelfremden Hermeneutik ihrer geistigen Väter festgehalten – immer wieder mit den fatalen Folgen messianistischer Verirrungen bis heute. Wiederholt sich die Geschichte?
[45] Alex Sinclair: “Throw the Bible at Fundamentalist Jews Like Bezalel Smotrich”, Ha’aretz, December 7, 2016.
[46] Peter van der Veen / Uwe Zerbst: „Volk ohne Ahnen? Auf den Spuren der Erzväter und des frühen Israel“, 2022, 349 S. – Uwe Zerbst / Peter van der Veen: Keine Posaunen vor Jericho? Beiträge zur Archäologie der Landnahme“, 2023, 190 S. – Peter James / Peter G. van der Veen (Hg.): “Solomon and Shishak. Current Perspectives from Archaeology, Epigraphy, History and Chronology.” BAR International Series 2732, 2015, 281 p. – Video (Timothy Mahoney): “Patterns of Evidence – Exodus. Auf der Suche nach den Spuren des Exodus”, DVD 120 min. (Deutsch und Englisch Untertitel), 2016, ausgezeichnet mit 13 Filmpreisen. – Video (Timothy Mahoney): “Patterns of Evidence – Die Mose-Kontroverse. Wer schrieb die ersten Bücher der Bibel?”, DVD 113 min. (Deutsch und Englisch Untertitel), 2019, Fortsetzung der preisgekrönten Filmserie. – Hanna Klenk: „In Israel sprechen die Steine. Eine archäologische Pilgerreise durch das Heilige Land“, 2016, 334 S.
[47] Elhaiks Studie stützt sich auf umfassende genetische Daten, die in anderen Studien veröffentlicht wurden. In einem Ha’aretz-Interview sagte Elhaik: „Sie [Georgier, Armenier und Kaukasier so wie Aschkenasim] sind alle aus derselben genetischen ‘Suppe’ hervorgegangen.“ (Ofer Aderet: “The Jewish People’s Ultimate Treasure Hunt“, Ha’aretz, Dec 28, 2012).
[48] Wenn Juden, die Jeschūa als den erwarteten Messias (Sohn Davids) angenommen hatten und damit in die neue Bundesstiftung (durch die der alte, außer Kraft gesetzte Sinai-Bund erfüllt und ungültig wurde, vgl. Heb 8,13; 9,15; 10,9) eingetreten waren, sh. u., dann galten sie im Sinne der Pharisäer als meshummadim – Verräter, Abgefallene – und waren darum hassenswerter als die nichtjüdischen Völker („Heiden“); weder medizinische Behandlung noch die geringste Wohltat durfte von einem „Häretiker“ (min) angenommen werden, und der Kontakt mit ihnen war verboten, schreibt der New Yorker Professor für Hebräisch und Judaistik L. H. Schiffman (Lawrence H. Schiffman: “Who was a Jew? Rabbinic and Halakhic Perspectives on the Jewish-Christian Schism”, New Jersey 1985, p. 66f). Besonders unter dem jüdischen Anführer des letzten Aufstands gegen Rom, Simon Bar Kochba, kamen die jüdischen Christen unter Druck, nicht nur aufgrund ihrer Weigerung, am Aufstand teilzunehmen. Er befahl, „nur die Christen zu schwersten Strafen abzuführen, wenn sie nicht Jesus Christus verleugneten und lästerten“, schrieb der Zeitzeuge Justin, geb. um 100 CE in Palästina (Apol. I,31,6, zit. bei Peter Schäfer: „Geschichte der Juden in der Antike“, 22010, S. 180.
[49] Am Grausamsten gegen ihre Nachbarn erwiesen sich die selbsternannten – und daher unrechtmäßig herrschenden – „Priesterkönige“ des jüdischen, am Ende moralisch völlig entarteten Geschlechts der Hasmonäer vor der Zeitenwende. (Herbert Donner: „Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen“, Teil 2, Göttingen 2008, S. 486ff.
[50] Vgl. „’Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.’“ Die Jahreslosung 2013 (Heb 13,14) im Kontext des Hebräerbriefes – Eine Apologie.“ (Fritz Weber, 2013). https://bit.ly/38SPeGn
[51] Vgl. Fritz Weber: „Jesus ‘der Sohn Josephs, von Nazareth’ – ist er der verheißene Messias?“ Update 2022, https://bit.ly/3PdBdpF.
[52] Sh. Fritz Weber: „Christliche Zionisten rechnen bis 2023 mit der ‘Wiederkunft Jesu’. Was sind ihre Berechnungsgrundlagen? Ein Faktencheck“. 2022. http://bit.ly/3Ka4iTp
[53] Jeschajahu Leibowitz verurteilte die Verehrung jüdischer Heiligtümer und bezog sich auf die westliche Umfassungsmauer des Tempelberges („Klagemauer“), die er zynisch „DisCotel“ nannte, ein Wortspiel aus den Wörtern „discothèque“ und „Kotel“, dem hebräischen Wort für „Mauer“, das sich in Großbuchstaben auf die Westmauer bezieht. Den Staat Israel, die jüdische Geschichte und die jüdische Kultur über Gott zu stellen, sei Ávodah Zarah, also Götzendienst.
[54] Mehr darüber in: „Quo vadis, Israel? Warum der schöne Traum vom ‘jüdischen und demokratischen Staat für alle’ in einen Albtraum für viele abzugleiten droht“, Fritz Weber, 2023.
[55] Vgl. Roane Carey / Jonathan Shainin (edited): “The Other Israel. Voices of Refusal and Dissident”, The New Press, New York 2003. Foreword by Tom Segev. Contributors: Anthony Lewis, Michael Ben-Yair, Tanya Reinhart, Jeff Halper, Uri Avnery, Avi Shlaim, Adi Ophir, Baruch Kimmerling, Gideon Levy, Shulamit Aloni, Yigal Bronner, Neve Gordon, Aviv Lavie, Ilan Pappé, Yitzhak Laor, Ishai Menuchin, Yigal Shochat, Sergio Yahni, Assaf Oron, Shamai Leibowitz, Amira Hass, Meron Benvenisti, Ze’ev Sternhell, Neta Golan, Ian Urbina, Gila Svirsky, David Grossmann, Sylvain Cypel.
In der Anmerkung (Editor’s note) schrieben die Herausgeber: „Betrachten Sie ‘Das andere Israel’ als einen Akt der Solidarität und Anerkennung: Solidarität mit den Israelis, die mutig genug sind, die Ächtung durch ihre [rechtsextremen] Landsleute zu riskieren, indem sie sich für Gerechtigkeit und Menschenrechte einsetzen; und Anerkennung ihres Beitrags zur Sache des Anstands und einer gerechten Lösung des Konflikts.“ (Originaltext: “Consider ‘The Other Israel’, then to be an act of solidarity and recognition: solidarity with those Israelis who are brave enough to risk the ostracism of their countrymen in speaking out for justice and human rights; and recognition of their contribution to the cause of decency and a just solution to the conflict.”)
[56] Ari Rath Preis 2021 für kritischen Journalismus an Thomas Seifert und Gideon Levy, https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20201130_OTS0174/ari-rath-preis-2021
[57] Gideon Levy: “Religious Ultranationalist Zionists Have Taken Over Israel“, Ha’aretz, Dec 25, 2015.
[58] Itamar Ben-Gvir ist nach Bezalel Smotrich Listenzweiter der Parteienliste „Religiöser Zionismus“. Die Ideologie dieser Liste ist im Regierungskabinett Netanjahu VI für die politische Wende 2022/23 maßgebend. Der Kahanist Ben-Gvir steht dem Ministerium für öffentliche Sicherheit vor. Sein Werdegang und ideologischer Hintergrund wird in den Fußnoten 9 und 10 dokumentiert. Mit diesem Profil würde er an vorderster Stelle der nachfolgenden Personenliste stehen.
[59] Michal Popovski: “Israels Polit-Shootingstar ist vollends entzaubert” welt.de, 1. Februar 2014.
[60] Gideon Alon: “Lieberman blasted for suggesting drowning Palestinian prisoners“, Ha’aretz, 8. Juli 2003.
[61] News 2 | 2 News | Published 03.08.2015. – “Avigdor Liberman Suggests ‘Beheading’ Israeli-Arabs Who Oppose Jewish State”. The Forward. 9 March 2015.
[62] Tzvi Lev: “Liberman: ‘Joint Arab List is a fifth column’“. In: Israel National News. 3 October 2017.
[63] “Lieberman Goes After Arab Joint List: They Are a Fifth Column“. Ha’aretz, 31 October 2019.
[64] Jonathan Lis: “Kahol Lavan Lawmakers Denounce Colleague’s anti-Arab Bigotry“, Feb 9, 2020.
[65] Jonathan Lis op. cit.
[66] Gideon Levy op. cit. 2015.
[67] Gideon Levy: “This Kahol Lavan Lawmaker Shows His True, Nationalist, Racist Colors“, Ha’aretz, Mar 12, 2020.
[68] Daniel Bernstein: “In first speech, Shaked expresses hope to rein in court“, Times of Israel, 18 May 2015.
[69] Chemi Shalev: “Im Tirtzu and the Proto-fascist Plot to Destroy Israeli Democracy” (Im Tirtzu und das protofaschistische Komplott zur Zerstörung der israelischen Demokratie), Ha’aretz, Dec 16, 2015.
[70] Chemi Shalev op. cit.
[71] David Palumbo-Liu: “Israel Unleashes an Onslaught on Human-Rights NGOs, Artists, and Writers” Archived, 21 June 2018 at the Wayback Machine, The Nation 26 February 2016.
[72] Yair Altman: “Im Tirzu report exposes Israelis behind ‘Apartheid Week’“. Israel Hayom. 16 March 2016.
[73] “Im Tirtzu” Celebrated a Decade of Activity“. Israel Hayom. – “Fighting for the Truth: Im Tirtzu Celebrates a Decade”. Arutz 7.
[74] Chemi Shalev op. cit.
[75] Sara Lehmann: “Likud’s Rising Star – Single, Female And Religious“. In: The Jewish Press, 1 July 2009.
[76] Lahav Harkov: “Hotovely: Response to Glick shooting must be Jewish prayer on Temple Mount“, Jerusalem Post, 4 November 2014.
[77] Toi Staff: “Deputy FM: I dream of Israeli flag flying over Temple Mount“, The Times of Israel, 26 October 2015.
[78] Jenni Frazer: “Senior community figures challenge incoming Israeli envoy Tzipi Hotovely“, The Jewish Chronicle, 18 June 2020.
[79] Anshel Pfeffer: “Tzipi Hotovely Is the Ugly, Extremist Face of Israel. British Jews Should Welcome Her“, Ha’aretz, Jun 19, 2020.
[80] Die Mercaz HaRav („The Central Universal Yeshiva“) ist die religiös-zionistische Jeschiwa (Religionshochschule) in Jerusalem, die 1924 von Rabbi Abraham Isaac Kook gegründet und nach seinem Tod von seinem Sohn Zwi Jehuda Kook fortgeführt wurde (sh. auch Fußnote 5). Ihre suprematistische Prägung erklärt Eitams ausgeprägt antigojistische (anti-nichtsemitische), d. h. gegenüber Nichtjuden feindliche und verächtliche Einstellung, eine Folge der chassidischen Seelenlehre, in der Elemente des Talmud und der lurianischen Kabbalah amalgamiert sind: Die nichtjüdische Seele stammt aus der satanischen Sphäre und ist ohne göttliches Wissen geschaffen, während die jüdische Seele von der „Heiligkeit“ (aus Gott) stammt.
Aus dieser Sicht ist auch das judäo-zentrierte Weltbild des Mercaz HaRav-Absolventen Bezalel Smotrich zu verstehen. Wie konnte er „vor 3.500 Jahren hier“ gewesen sein (sh. o.)? Dies erklärt sich aus dem kabbalistischen Glauben, dass damals „ganz Israel“, als mystischer Korpus einschließlich aller Juden in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (somit einschließlich der präexistenten „göttlichen“ Seele Smotrichs), am Berg Sinai gestanden sei und exklusiv von Gott die Torah und die Landverheißung für alle Ewigkeit empfangen habe.
[81] Modern-orthodoxe Hardalim (Chardalim) sehen die „Rückkehr ins Land Israel“ und dessen Aufbau als ein sehr wichtiges Gebot (Mitzwa), da sie glauben, dass sie sich in der Morgendämmerung des „messianischen Zeitalters“ befinden. Daher werden das Wandern im Land, der Bau von Siedlungen und das Wissen über seine Flora und Fauna als Mitzwot, als religiöse Gebote, betrachtet. Als äußeres Zeichen tragen sie mitunter eine deutlich größere Kippah.
[82] “NRP leader Eitam: Arafat, Barghouti should be killed”, The Jerusalem Post 05.07.2002.
[83] Jeffrey Goldberg: “A Reporter at Large: Among The Settlers”, The New Yorker 31. Mai 2004.
[84] Mehr über Eitams politischen Ansichten und Statements: „Brigadegeneral d. Res. Efraim Eitam – Portrait eines Politikertyps der religiös-nationalistischen Elite in Israel“, Fritz Weber 2021. https://bit.ly/3uGlpB3
[85] Judy Maltz: “Revered Polish Jew, Holocaust Survivor Joins Protests Over Top Appointment at Yad Vashem“, Ha’aretz, Nov 8, 2020.
[86] Judy Maltz: “Plan to Name Former Right-wing Politician to Head Yad Vashem Enrages Holocaust Survivors“, Ha’aretz, Oct 26, 2020.
[87] „Amalek“ wird als Chiffre für Israels mythische Todfeinde bis in alle Ewigkeit gebraucht. Beispielsweise wurde Jassir Arafat von 200 Rabbinern nach seinem Tode als „Amalek und Hitler unserer Generation“ bezeichnet und der Vorschlag gemacht, seinen Todestag als „Freudentag“ zu feiern.
[88] Vgl. die Debatte um das Bestseller-Buch „Torat HaMelech“ (2009, engl.: „The King’s Torah“) der israelischen Rabbiner Jitzhak Schapira und Josef Elitzur. Demgemäß sei es Juden erlaubt, Nichtjuden (einschließlich Kinder) zu töten, wenn diese Israel bedrohten. Die Voraussetzungen dafür seien unter anderem dann gegeben, wenn man annehmen dürfe, dass ein Kind als „Feind des jüdischen Volkes“ aufwachse.
[89] Ayelett Shani: “For Religious Zionists, Israeli-Palestinian Conflict Is Holy War, Scholar Says“, Ha’aretz, Dec. 17, 2015.
[90] Sam Sokol: “‘Get Back on the Plane’: U.K. Jewish Body Slams Israeli Far-right Lawmaker’s Europe Tour“, Ha’aretz Feb. 9, 2022.