Rede von Karl Helmreich (Ordensmann, Benediktiner von Melk) auf der Kundgebung für Palästina am 8. Dezember 2021 in Wien
Sehr geehrte Damen und Herrn !
Verzeihen Sie, wenn ich meinen Text ablese, aber weil israelkritische Freunde der Palästinenser gerne des Antisemitismus bezichtigt werden, ist es gut, alles nachvollziehbar zu haben.
Die österreichische Bundesregierung hat für 2022 das höchste Sicherheitsbudget beschlossen, 3,25 Milliarden € ( Hompage des BMI )
Wie groß ist die Bedrohung unseres Staates oder seiner Bürger ?
Aber kein Grundbesitzer bei uns muss befürchten, dass neue Siedler auf seinen Besitz einfallen, ihn bedrohen, seine Pflanzung ausreißen, die Fenster seines Hauses mit Steinen einwerfen.. und obwohl er die Schutzmacht herbeiruft, diese nicht ihn schützt sondern die Angreifer!
B‘Tselem, eine israelische Menschenrechtsorganisation zeichnete seit Beginn 2020 bis jetzt 421 Angriffe von Siedlern auf, die palästinensische Bauern und Beduinen, Stadtbewohner angreifen, sie durch immer neue Repressalien von ihrem Land zu vertreiben suchen.Die Siedler sind fast allesamt bewaffnet und dürfen damit rechnen, nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. Sie machen illegal, aber geduldet und geschützt das Werk der Vertreibung – immer noch! Siedlergewalt ist Staatsgewalt!
In Ostjerusalem, dem Gebiet von Sheikh Jarrah, das überwiegend von Palästinensern bewohnt wird, sollten im Mai Häuser von palästinensischen Familien abgerissen werden, die dort noch unter jordanischer Verwaltung als zuvor Vertriebene angesiedelt wurden – sie sollten einem Bibelpark weichen. Darunter auch Familien palästinensischer Christen. Dies war Mitauslöser des Konflikts mit dem militärischen Arm der Hamas, dem wieder exzessive Gewalt seitens Israel auf Gaza folgte. Weil dieses Vorhaben internationale Kritik auslöste (nicht bei uns seitens der Regierung) und hinhaltenden Widerstand vor Ort, auch den Protest aller in Israel vertretenen Kirchenführer, wurde dieses Vorhaben vorerst still gelegt, eine Entscheidung ist aber noch nicht getroffen.
Aber jetzt, Ende November hat das israelische Gericht den Abriss von 58 Häusern von P. im benachbarten Bezirk Silwan genehmigt – insgesamt sind 84 bedroht. Es geht um massive Vertreibung – neuerliche Vertreibung von palästinensischen Familien aus Jerusalem, die ja zur alleinigen Hauptstadt Israel erklärt wurde!
Stellen Sie sich vor, ganze Altstadtviertel von Wien würden für den Abriss ersatzlos freigegeben, um Platz für kapitalkräftige Bürger zu machen, Parklandschaften für sie zu errichten!
Und wieder – keine Berichterstattung bei uns!
Immer wieder kommt es zu nächtlichen Razzien, wo schwer bewaffnete Soldaten in private Häuser und Wohnungen eindringen, nach Personen suchen, die verängstigten, schlaftrunkenen Kinder aus den Betten scheuchen, sie aufstellen lassen, um sie zu fotografieren – angeblich um darunter Steine werfende Kinder heraus zu finden.
Erwachsene werden ohne Anklage in Administrativhaft genommen, die immer neu verlängert werden kann.
Mich erinnert das an die Aktion Luxor in Ö., wo über 900 schwer bewaffnete Polizisten, Cobra-Beamte bei 60 Familien einfielen – nach Monaten noch ohne Bekanntgabe konkreter, erwiesener Vergehen, dafür gibt es schon einige erfolgreiche Beschwerden. Immerhin funktioniert bei uns noch der Rechtsstaat – wenigstens hinterher.
In Israel wurde sechs palästinensischen Menschenrechtsorganisationen unterstellt, Verbindung zu Terrororganisationen zu haben und die mit zu finanzieren. Es gibt keine Beweise für diese Unterstellung, aber die Organisationen sammeln stichhaltige Beweise und dokumentieren, was ständig an Verletzungen der Menschenrechte, des Völkerrechts geschieht und melden das weiter. Und das macht sie bedrohlich für Israels Regierung. Es wurden ihre Computer beschlagnahmt, ein Teil ihrer Büros auf sechs Monate geschlossen, ihnen die Mittel gesperrt.
Zudem werden ständig palästinensischen Journalisten, Pressefotografen verfolgt und in ihrer Arbeit behindert, ihnen Material und Ausrüstung genommen..
Das sind schwere Eingriffe in die freie Berichterstattung.
Nicht einmal diese schwerwiegenden Angriffe gegen die freie Meinungsäußerung und Berichterstattung haben in unseren Medien Niederschlag gefunden!
Keine Solidarität, keine mutige Berichterstattung durch unsere Journalisten, können die noch frei arbeiten?
Auch unsere Kirchenvertreter sind allesamt still!
Nicht einmal in Israel selbst ist das so, es gibt dort einige wenige israelische Journalisten, die wahrheitsgemäß und kritisch berichten.
Und natürlich gibt es auch israelische Bürgerinnen und Bürger, die z.B. bei den Erntearbeiten der Palästinenser helfen und so etwas Schutz bieten, ja zuweilen selbst Attacken ausgesetzt sind, darunter auch Rabbis.
Und es gibt junge Menschen in Israel, die sich weigern, Militärdienst zu leisten und dies damit begründen, dass sie an der Unterdrückung und Demütigung der Palästinenser nicht mitwirken wollen und die dafür ins Gefängnis gehen.
Shahar, 19 Jahre jung, sie ging dieser Tage das vierte Mal ins Gefängnis, Yasmin, Hallel und Eran, der nach dreimaliger Haft von insgesamt 114 Tagen nun vom Militärdienst befreit wurde!
Alles Minderheiten – aber Hoffnungsträger für eine andere Zukunft!
Diese Minderheit jüdischer Bürger fehlt uns in Österreich, wir haben keine öffentlich bekannten jüdischen österreichischen Staatsbürger unter uns, die sich mutig für ein gleichberechtigtes Leben der Palästinenser in Israel einsetzen, für ein repressionsfreies Leben der Palästinenser auf ihrem Besitz, ohne Angst vor Raub und Vertreibung, frei, sich zu bewegen. Es geht um die jedem Menschen zugesprochenen universalen Menschenrechte, die auch in Europa und bei uns in Österreich immer mehr bedroht sind, besonders im Umgang mit Asylsuchenden.
Nahe Weihnachten ist immer die Friedenssehnsucht besonders groß, aus der Geburtskirche wird das Friedenslicht gebracht und bei uns verteilt – aber ist Friede?
Friede setzt Gerechtigkeit voraus, ohne Ringen um Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden – nicht im persönlichen Bereich, nicht in Israel/Palästina – nirgendwo!