Site-Logo
Site Navigation

Wasser: Treibstoff für den Nahostkonflikt


12. Dezember 2021

Alle paar Jahre klagt Israel über Wassermangel, in der Westbank herrscht ständige Wasserknappheit. Ein Bericht über Gewinn und Verschwendung von Wasser in Israel und Palästina, wer es kontrolliert und wie damit politische Ziele verfolgt werden.

Von Markus Schauta

Die Region zwischen Mittelmeer und Jordanfluss hat sowohl mediterranes als auch arides Klima. Die Menge an verfügbarem Wasser unterscheidet sich daher stark von Nord nach Süd. Im Norden und entlang der Mittelmeerküste gibt es zwei Jahreszeiten; auf die Regenzeit von November bis Mai folgt ein trockener, sechsmonatiger Sommer.

Die mitunter sehr starken Regenfälle im Winter dringen in das Erdreich ein und sammeln sich in wassertragenden Gesteinsschichten, sogenannten Aquifere. Dieses Untergrundwasser tritt entweder als Quelle hervor, oder kann durch Bohrungen angezapft werden.

Zusätzlich zum Untergrundwasser besitzt die Region große Mengen an Oberflächenwasser. Bedeutend sind vor allem der See Genezareth im Norden Israels und der Jordan mit seinen
Quellflüssen, der durch den See und den Jordangraben ins Tote Meer fließt.

Aufgrund des Niederschlags und der genannten Wasserspeicher besitzt der Norden der Region viel fruchtbares Land. Der Süden mit der Wüste Negev hingegen bleibt fast das ganze Jahr über
niederschlagsfrei.

Ursachen des Wassermangels

Im Jahr 2018 rief die staatliche Wasserbehörde (Government Water and Sewage Authority) die Bevölkerung Israels erneut dazu auf, Wasser zu sparen. Das Duschen sollte auf zwei Minuten pro
Tag beschränkt und die Klospülung nur sparsam betätigen werden.

Inwieweit die regelmäßig wiederkehrende Wasserknappheit in Israel hausgemacht, oder ein Ergebnis des Klimawandels ist, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Der Hydrogeologe Clemens Messerschmid, der in internationalen Wasserprojekten und als Berater für verschiedene Organisationen tätig ist, geht davon aus, dass der Klimawandel nur minimale Auswirkungen auf die Wasserversorgung in der Region habe. Viel gravierender sei die übermäßige Ausbeutung von Süßwasserquellen wie dem See Genezareth, dessen Wasser für künstliche Bewässerung abgepumpt wird.

Für Messerschmid ist klar, dass der Pro-Kopf-Verbrauch von Wasser in Israel viel zu hoch ist. Für das Jahr 2016 gab die staatliche israelische Wasserbehörde den Gesamtverbrauch im privaten und öffentlichen Bereich, der Landwirtschaft und der Industrie mit insgesamt rund 700 Liter pro Kopf und Tag an. Alleine für den häuslichen und öffentlichen Gebrauch lag der pro-Kopf-Verbrauch im selben Jahr bei 263 Liter pro Tag.1

Verglichen mit anderen Staaten ist das ein sehr hoher Verbrauch. In Österreich liegt der private tägliche Wasserverbrauch bei 130 Liter pro Person. Rechnet man den Verbrauch der Betriebe mit  ein, sind es 260 Liter pro Kopf und Tag.2 Wo wird all das Wasser in Israel verbraucht? Auch darauf gibt die staatliche Wasserbehörde Antwort: Da Israel keine wasserintensive Industrie betreibt, macht der Anteil des industriellen Verbrauchs gerade einmal fünf Prozent aus. Den mit Abstand größten Anteil an Wasser beansprucht hingegen die Landwirtschaft: Im Jahr 2016 waren das 55 Prozent des gesamten Wasserverbrauchs Israels.

Steinkohle aus China, Schnittblumen für Europa

„Israels Landwirtschaft ist Wasserverschwendung“, sagt Messerschmid. Ein wesentlicher Grund für den hohen Wasserverbrauch in der Landwirtschaft sei der Anbau von Obst und Gemüse in der
Wüste. Mithilfe künstlicher Bewässerung werden im Wüstenklima wasserintensive Kulturen wie Orangen, Melonen, Avocados und Tomaten angebaut. Dazu wurde über Jahrzehnte Süßwasser aus dem See Genezareth abgepumpt und durch Leitungen nach Süden in die Negev transportiert.

Und das obwohl Israel schon lange kein Agrar-, sondern ein Industrieland ist, so Messerschmid. „Die Landwirtschaft trägt gerade einmal zwei Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.“ Israel
brauche diese künstlich bewässerte Landwirtschaft nicht, zumal große Mengen der landwirtschaftlichen Produkte exportiert werden.

Der exzessive Wasserverbrauch blieb nicht ohne Folgen. Wegen der hohen Wasserentnahme aus dem See Genezareth führt der untere Jordan, zwischen See und Totem Meer kaum mehr Wasser. Der mangelnde Zufluss bewirkt, dass der Wasserspiegel im Toten Meer jährlich um einen Meter sinkt.

Da die natürlichen Wasserspeicher durch den übermäßigen Wasserverbrauch immer stärker belastet werden, hat Israel in den vergangenen 15 Jahren insgesamt fünf Anlagen zur Meerwasserentsalzung erbaut. Das daraus gewonnene Wasser deckt inzwischen 70 Prozent des Wasserverbrauchs in Israel. Nachhaltige Lösung ist das keine. Um diese Anlagen mit Energie zu versorgen, werden riesige Mengen fossiler Treibstoffe verheizt, so Messerschmid. „Da wird chinesische Steinkohle verbrannt, damit Wasser entsteht, um Felder zu bewässern, wo Schnittblumen wachsen, die mit dem Flugzeug nach Europa transportiert werden.“ Das sei ökologischer Irrsinn.

Wassermangel in der Westbank

Das Problem des hohen Wasserverbrauchs in Israel ist kein innerstaatliches sondern wirkt sich auch auf die seit 1967 von Israel besetzte Westbank aus.

Süßwasserseen gibt es in der Westbank keine. Der untere Jordan, dem kaum mehr Wasser aus dem See Genezareth zugeführt wird, ist nur mehr ein Rinnsal. Bleiben also die Niederschläge während der Wintermonate.

Die einzige ganzjährige Wasserversorgung stellt der sogenannte Bergaquifer dar. Eine wassertragende Gesteinsschicht, die sich in einen westlichen, einen östlichen und einen nordöstlichen Bereich teilt und mit etwa 700 Millionen Kubikmetern einer der größten Untergrund-Wasserspeicher der Region ist. Gespeist wird der Aquifer vom Regen, der in den Bergen der Westbank fällt. Ein Teil des versickerten Regenwassers fließt nach Osten Richtung Jordangraben ab, wo es den östlichen Aquifer speist. Der andere Teil des Wassers fließt nach Nordosten bzw. Westen ab, wo es als Quellwasser am Fuße dieser Berge in Israel entspringt.

„Jenes Wasser, das nach Israel fließt, ist klassisches, grenzüberschreitendes Wasservorkommen“, sagt Messerschmid. Sowohl Israel als auch die Westbank hätten Anrecht darauf. „Dieses Wasser muss geteilt werden.“ Doch das geschieht nicht. Um den eigenen hohen Bedarf sicher zu stellen, beansprucht Israel den überwiegenden Teil des Wassers aus dem Bergaquifer für sich. Laut UNICEF kontrolliert Israel 85 Prozent dieses Wassers, die Palästinenser verfügen über weniger als 15 Prozent des Wassers vom Bergaquifer.

Regenwasser enteignet

Während große Mengen des Wassers des westlichen- und nordöstlichen Bergaquifers in Israel zutage treten, könnte das Wasser des östliche Bergaquifers durch Brunnen in der Westbank
angezapft werden und so die Wasserversorgung der Palästinenser sicher stellen. Könnte, denn die Realität sieht anders aus. Zur Zeit von Oslo II (1995) konnten die Palästinenser aus eigenen Quellen und Brunnen jährlich insgesamt 118 Millionen Kubikmeter Wasser schöpfen. „Heute sind es nur mehr 93 Millionen Kubikmeter jährlich“, so Messerschmid.

Der Grund: Alte Brunnen trocknen aus, neue zu bohren erlaubt die israelische Militärverwaltung nur in Ausnahmefällen. Geregelt ist das durch das sogenannte Permit-System, das seit der
Besetzung der Westbank durch Israel gilt. Dieses untersagt jeglichen Bau von Wasser-Infrastruktur, wenn nicht zunächst ein Erlaubnisschein von der israelischen Verwaltung ausgestellt wurde.
„Brunnen bohren oder reparieren, Quellen fassen, Wasserleitungen verlegen – für alles brauchen die Palästinenser eine behördliche Genehmigung“, sagt Messerschmid. Anträge auf solche
Genehmigungen werden regelmäßig ohne Begründung ablehnt.

Zahlreiche palästinensische Haushalte verfügen zwar über Zisternen zum Auffangen von Regenwasser, doch eine Alternative zu ganzjährig wasserführenden Brunnen ist das keine. Wegen
des Klimawandels und der daher verkürzten Regensaison könne über Zisternen immer weniger bzw. nur unregelmäßig Trinkwasser gesammelt werden, so UNICEF. Hinzu komme, dass es für
Palästinenser in der C-Zone äußerst schwierig sei, von der israelischen Verwaltung Baugenehmigungen für Zisternen zu erhalten.3

Und nicht nur das: Immer wieder komme es vor, das Jahrzehnte alte Zisternen auf Privatgrund auf Befehl der Militärverwaltung hin abgerissen werden müssen, so Messerschmid: „Durch das Permit-System wird selbst der Regen enteignet.“

Wegen der geringen Eigenversorgung musste die Palästinensische Autonomiebehörde im Jahr 2019 zusätzlich zum selbstgeschöpften Wasser 93 Millionen Kubikmeter von Israel zukaufen – knapp 80 Millionen für die Westbank, der Rest ging in den Gazastreifen.4

Die Selbstversorgung der Palästinenser mit Wasser nimmt daher ständig ab. „Weniger eigenes Wasser, bedeutet mehr Abhängigkeit von Israel“, sagt Messerschmid. Die Entscheidung, keine oder
zu wenige Brunnen bohren zu lassen sei daher eine politische. Über die Kontrolle des Wassers könne Israel Druck auf die Palästinensische Autonomiebehörde und die Bevölkerung der Westbank ausüben.

Wasser-Apartheid?

Für den Pro-Kopf-Wasserverbrauch der Palästinenser in der Westbank werden unterschiedliche Zahlen genannt. Folgt man NGOs und der Palästinensischen Wasserbehörde liegt er irgendwo
zwischen 85 und knapp über 90 Liter pro Kopf und Tag – deutlich unter dem von der WHO empfohlenem Minimum von hundert Liter pro Tag.

Laut einem im Juni 2021 aktualisierten Bericht der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem verbrauchen Palästinenser im Westjordanland täglich etwa 90,5 Liter. Diese Menge bezieht sich auf den Verbrauch in den Haushalten und in der Industrie. Nicht mitgerechnet ist der Verbrauch in der Landwirtschaft und jenes Wasser, das durch kaputte Leitungen verloren geht.
B’Tselem betont jedoch, dass diese Angaben zum Durchschnittsverbrauch das eigentliche Ausmaß der Wasserkrise verdecken würden. Während der Verbrauch wegen des Tourismus in Jericho mit 268 Litern weit über dem Durchschnitt liege, sind es im Norden des Landes, im Bezirk Jenin, gerade einmal 50 Liter pro Kopf und Tag.5

Besonders problematisch sei es in der C-Zone, wo strenge Auflagen Reparatur oder Neubau von Wasser-Infrastruktur verunmöglichen. In manchen palästinensischen Haushalten liege daher der
Pro-Kopf-Wasserverbrauch bei gerade einmal 20 Liter. Zum Vergleich: Jeder Österreicher verbraucht täglich die doppelte Menge Wasser für die Toilettenspülung.

Besonders akut sei der Wassermangel während des Sommers. Einerseits, weil manche der Brunnen wegen der Trockenheit weniger Wasser hergeben. Andererseits, weil das israelische
Wasserunternehmen Mekorot, das die Trinkwasserverteilung in der Westbank kontrolliert, die Wassermengen für Palästinenser reduziert, um den erhöhten Bedarf der israelischen Siedler in der
Westbank zu decken. „Das Ergebnis ist, dass viele Palästinenser unter langen Wasserausfällen leiden, die gewöhnlich mehrere Tage bis zu einer Woche andauern“, so B’Tselem.6

Die israelische Zeitung Haaretz spricht in diesem Zusammenhang von Apartheid. Auf der einen Seite der palästinensische Bauer, der auf seinem eigenen Land vom Wassernetz abgeschnitten ist.
Gleich nebenan ein illegaler Außenposten israelischer Siedler, die über beliebige Mengen an Wasser verfügen, sodass sie damit sogar ein Schwimmbecken füllen können.7

Wie weiter?

Mit der Besatzung der Westbank hat Israel auch die Verantwortung für die Bevölkerung übernommen und sei daher verpflichtet, das Menschenrecht auf Wasser für die Palästinenser sicher
zu stellen, so B’Tselem.

In dem Gebiet von Israel und Palästina gebe es genug Ressourcen, um Israelis und Palästinenser mit ausreichend Trinkwasser zu versorgen, ist der Hydrogeologe Messerschmid überzeugt. Das zeigte sich etwa in der im Oktober 2021 geschlossenen Übereinkunft zwischen der israelischen Wasserbehörde und Jordanien: Die jährlichen Wasserlieferungen Israels an das unter extremen
Wassermangel leidende Nachbarland wurde von 50 Millionen Kubikmeter auf 100 Millionen verdoppelt.8

Die Westbank mit ausreichend Wasser zu versorgen sei daher weniger eine Frage des Könnens, sondern des Wollens, so Messerschmid. Dafür müsste Israel für eine gerechte Aufteilung des
Wassers im westlichen und nordöstlichen Bergaquifer sorgen und den Palästinensern in der Westbank erlauben, ausreichend Brunnen zu bohren, um das Wasser des östlichen Bergaquifers
anzuzapfen.

Ähnlich sieht es UNICEF. Aus einer Analyse der Hilfsorganisation aus dem Jahr 2021 geht hervor, dass 600.000 der drei Millionen Palästinenser in der Westbank dringend eine bessere
Trinkwasserversorgung und sanitäre Anlagen benötigen. Neben dem Bau neuer Brunnen müsse die Palästinensische Wasserbehörde beim Ausbau der Wasser-Infrastruktur unterstützt werden, so UNICEF. Was auch voraussetzte, dass die israelische Militärverwaltung Bau- und Reparaturarbeiten in der C-Zone zulässt.

Soll der längste der zahlreichen Konflikte im Nahen Osten auch nur ansatzweise gelöst werden, wird die internationale Gemeinschaft verstärkt Druck auf Israel ausüben müssen, damit es seiner
Verantwortung für die Wasserversorgung der Palästinenser nachkommt und eine für beide Parteien akzeptable Lösung der Wasserfrage gefunden wird.

Markus Schauta, Journalist und Publizist mit besonderem Schwerpunkt Nahost. Er ist auch Mitglied der Redaktion von INTERNATIONAL.
E-Mail: markus schauta <markus@schauta.at>

 

1 Ido Avgar, „Israeli Water Sector – Key Issues“, The Knesset, Research and Information Center (2018), Zugriff am 11.10.2021,
https://m.knesset.gov.il/EN/activity/mmm/mmmeng250218.pdf

2 Österreichische Wasserwerke, „Trinkwasserverwendung“, Zugriff am 11.10.2021, http://www.wasserwerk.at/home/alles-ueber-wasser/verbrauch

3 Das Westjordanland ist in drei Zonen unterteilt: A, B und C. Wobei die C-Zone (62 Prozent der Westbank) ausschließlich vom israelischen Militär kontrolliert wird. In der B-Zone (20 Prozent)
sind die Palästinenser für Verwaltung, die Israelis für Sicherheit zuständig. Zone A (18%) steht zur Gänze unter Kontrolle der Palästinenser.

4 B’Tselem, „Water Crisis“, Zugriff am 11.10.2021, https://www.btselem.org/water

5 B’Tselem, „Water Crisis“, Zugriff am 11.10.2021, https://www.btselem.org/water

6 B’Tselem, „Water Crisis“, Zugriff am 11.10.2021, https://www.btselem.org/water

7 Gideon Levy and Alex Levac, „The Illegal Settler Outpost Has Running Water. Its Palestinian Neighbors Don’t. This Is Apartheid at Its Starkest“, Haaretz (2021), Zugriff am 11.10.2021,
https://tinyurl.com/yn6seb6t

8 Rina Bassist, „Israeli energy minister hails water agreement in Jordan“, Al-Monitor (2021), Zugriff am 13.10.2021, https://www.al-monitor.com/originals/2021/10/israeli-energy-minister-hails-
water-agreement-jordan.