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„Systematische Diskriminierung Israels“ durch die UNO?


5. Oktober 2021

Kommentar von F. Weber, freier Publizist

Kürzlich wurde in einigen Printmedien von einer Deklaration der „überparteilichen Gruppe der Transatlantic Friends of Israel“ (TFI) berichtet, einem lobbyierenden politischen Pro-Israel-Netzwerk. Darin wird behauptet, „dass allein im Jahr 2020 17 einseitige [UNO-] Resolutionen zu Menschenrechtsverletzungen gegen Israel verabschiedet“ worden seien „und gleichzeitig nur 6 Resolutionen zu Menschenrechtsverletzungen im Rest der Welt“. Diese „Anti-Israel-Resolutionen“ seien „völlig ungerechtfertigt“, ein „Missbrauch der Ressourcen der UNO“ und als „Doppelstandard gegenüber Israel“ eine „systematische Diskriminierung“ – somit „eine Form des Antisemitismus“.

Die Deklaration mündet in den Aufruf an die EU-Mitgliedstaaten, gegen die „zahlenmäßig exzessive Verurteilung Israels in der Generalversammlung und anderen UN-Gremien“ zu stimmen und dadurch „diesen voreingenommenen Resolutionen die Legitimität [zu] entziehen“. Diese Deklaration wurde von mehr als 300 Abgeordneten aus Israel, USA, Kanada und Europa unterzeichnet, davon 17 aus Österreich.

Kritische Fragen an diese „Deklaration“

Dieser schwerwiegende Angriff auf die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen wirft Fragen auf wie diese: Sind diese Zahlenangaben zum Jahr 2020 ausgewogen? Warum beinhaltet diese Deklaration nur den unkonkreten, polemischen Vorwurf einer „einseitigen“, „antiisraelischen Agenda“? Und vor allem: Wie steht es mit der grundsätzlichen Stellung Israels zur UNO, der es überhaupt seine Staatsgründung zu verdanken hat?

Eine selektive Statistik

In dieser „2020er-Statistik“ sind nur die beiden letzten Monate berücksichtigt. Die gehäufte UNO-Kritik zum Ende dieses Covid-Katastrophenjahres erklärt sich daraus, dass das damalige Netanjahu-Regime sowohl die 2 Millionen isolierten Menschen des riesigen „Flüchtlingslagers“ Gaza (Nachkommen der vor dem israelischen Militär 1947-1949 aus ihrer angestammten Heimat Geflüchteten und Vertriebenen, eingepfercht auf 360 km²) als auch die Westbank-Bevölkerung (4 Millionen) unter dem Stiefel des israelischen Militärs sogar angesichts der neuerlich gestiegenen Covid-Zahlen weiterhin diskriminiert und zynisch vernachlässigt hatte.

Die Sorge der UNO-Gremien um die wahrhaft Diskriminierten

Diese Resolutionen, die von der TFI-Gruppe pauschal und ohne Nachweis diskreditiert werden, drücken in Wahrheit (Zitat aus einer dieser 17 Resolutionen) „die tiefe Besorgnis über die besonders schwierige Lage der palästinensischen Flüchtlinge unter der Besatzung, auch im Hinblick auf ihre Sicherheit, ihr Wohlergehen und ihre sozioökonomischen Lebensbedingungen“ aus („Assistance to Palestine refugees“, unter Rückbeziehung auf die Resolution 194 vom 11. Dez. 1948 und alle nachfolgenden Resolutionen zu dieser Frage). Wie kann der humanitäre Beistand für Flüchtlinge „antiisraelisch“ sein? Wie kann die UNO-Forderung nach sauberem Wasser und Medikamenten für extreme Not Leidende „ungerechtfertigt“ und ein „Missbrauch der Ressourcen der UNO“ oder gar eine „Form von Antisemitismus“ sein?

Die Interpretation der UNO-Kritiker

Folgendermaßen „interpretierte“ dagegen die Israel-Lobby eben diese Resolution „Assistance to Palestine refugees“ (s. o.): Sie „dient den arabischen Staaten, die versuchen, die Palästinenser als Schachfiguren in einer politischen Kampagne zur Delegitimierung Israels zu erhalten.“ Dazu verweist sie auf „die kollektive Bestrafung palästinensischer Flüchtlinge durch das syrische Assad-Regime und ihre Behandlung als Bürger 2. Klasse in diesem Land“. Der Zynismus dieses Ablenkungsmanövers (symptomatisch für alle „Rechtfertigungs“-Versuche der israelischen Administration) besteht in der permanent diskriminierenden Situation ihrer eigenen 2 Millionen nichtjüdischen Bevölkerung (tatsächlich „Bürger 2. Klasse“!) und – noch mehr – der de facto rechtlosen Nichtbürger im völkerrechtswidrig besetzt gehaltenen Westjordanland (Palästina).

Worin die „Einseitigkeit“ besteht

Dass Israel einer intensiveren Überprüfung durch die Vereinten Nationen ausgesetzt ist als die meisten anderen Menschenrechtsverletzer, liegt definitiv an seiner anhaltenden völker­rechtswidrigen Besatzung und kann daher kein „Doppelstandard“ sein, vielmehr rechtfertigt dies den eigenständigen Tagesordnungspunkt (Nr. 7) des UN-Menschenrechtsrats.

Weiters liegt dies an einer Voreingenommenheit, die eher in die andere Richtung geht, nämlich an dem Versäumnis, gegen andere Rechtsverletzer ebenso energisch vorzugehen, etwa gegen Marokko, das die Westsahara besetzt hält.

Israels Verstöße gegen internationale Normen

Auffallend ist, dass in dieser „Deklaration“ zwar die „Verurteilung Israels in der UN-General­versammlung und anderen Gremien“ beklagt wird, seine „Verurteilungen“ durch den UN-Sicherheitsrat (UNSR) jedoch verschwiegen werden. Darunter sind die UNSR-Resolutionen 446 und 452 (beide 1979) und 465 (1980): Sie verlangen von Israel, die Kolonisierung der besetzten Gebiete durch den Bau jüdischer Siedlungen zu beenden. Nach der Vierten Genfer Konvention (GKIV) sind die Siedlungen illegal, denn es ist einer Besatzungsmacht verboten, ihre Zivilbevölkerung auf Land anzusiedeln, das sie militärisch an sich gerissen hat. Die Resolutionen drängen Israel daher – wenn auch bisher vergeblich – zur Einhaltung der GKIV, um Ausweisungen und Hinrichtungen von Palästinensern, die Zerstörung ihrer Häuser und andere Formen kollektiver Bestrafung zu beenden und die Gewalt von Siedlern gegen die palästinensische Bevölkerung in Schach zu halten. Stattdessen hat Israel einen Rückzug aus dieser illegalen Besiedlung nicht nur verweigert, sondern treibt sie mit dem erklärten Ziel der Ansiedlung bis zu einer Million „ethnisch reiner“ Siedler unbeirrbar weiter – unter dem Schutz seiner Besatzungsmacht.

Eine weitere Kette von Resolutionen des UN-Sicherheitsrats behandelt den Status Jerusalems: Israel verstößt gegen die UNSR-Resolutionen 267 (1969), 476 und 478 (beide 1980); darin wird Israel dazu aufgefordert, die Annektierung des arabischen Ost-Jerusalem und seiner Umgebung, die zu Beginn des Krieges 1967 erobert worden sind, aufzuheben und jegliche Aktivitäten zu unterlassen, die darauf abzielen, den Status der Stadt zu verändern. Israel hat sie kategorisch zurückgewiesen. Andere Resolutionen, gegen die Israel verstößt, beinhalten die UNSR-Resolution 487 (1981), die Israel dazu auffordert, seine nuklearen Einrichtungen unter die Kontrolle der Internationalen Atomenergie Agentur (IAEA) der UN zu stellen.

Mit der einstimmig verabschiedeten Resolution 497 (1981) erklärte der UN-Sicherheitsrat das von der Knesset am 14. Dez. 1981 ratifizierte „Golanhöhen-Gesetz“, auf den besetzten syrischen Golanhöhen sein eigenes lokales Recht einzuführen, für „null und nichtig und ohne völkerrechtliche Wirkung“ und forderte Israel auf, sein Vorgehen rückgängig zu machen. Weil Israel sich nicht an die Resolution hielt, nahm die UN-Generalversammlung am 5. Febr. 1982 in einer Dringlichkeitssitzung mit 86 zu 21 Stimmen eine Resolution an, die zum Boykott Israels aufrief.

Zuletzt sei auf die Resolution 1515 (2003) zur Umsetzung der „Roadmap“ verwiesen, die von Russland, den USA, der UNO und der EU, dem sog. Nahost-Quartett, als „Fahrplan zum Frieden“ entworfen und eingebracht und im Sicherheitsrat einstimmig angenommen wurde. Sie setzt die Gültigkeit der vorhergehenden Resolutionen 242 (1967), 338 (1973) und 1397 (2002) sowie die Grundsätze von Madrid (Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung) voraus und verlangt, dass alle Gewalthandlungen, Terrorakte, Provokatio­nen und Zerstörungen eingestellt werden. Israel jedoch fühlt sich daran nicht gebunden.

Zusammenfassung

Israel ist neben Marokko das einzige Land, das gegenwärtig eine offenkundig kriegerische Besetzung einer ganzen Nation betreibt. Stephen Zunes, Professor für Politik an der Universität von San Francisco, hält dies für einen besonders ungeheuerlichen Verstoß gegen das Völkerrecht, für das die Vereinten Nationen – als überparteiliche, supranationale Völkerrechtsinstitution – zu einem großen Teil gegründet wurden mit dem Ziel, „Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können“ (Präambel der UN-Charta). Israel dagegen verachtet wie kein anderes UN-Mitglied fundamentale UN-Beschlüsse, und dies seit seinem Gründungsjahr 1948.

Fazit

Alle Resolutionen, die sich in den letzten 20-30 Jahren „gegen Israel“ richteten, stützten sich auf eine solide Rechtsgrundlage. Es liegt also an der israelischen Politik selbst, endlich die Voraussetzungen zu erfüllen, um nicht mehr ins Visier von – vermeintlich „israelfeindlichen“ – UNO-Resolutionen zu geraten.

2.10.2021