Jeremy Corbyn, ein langjähriger linker Hinterbänkler, stieg 2015 in die Führung der Labour-Partei auf, in Folge der weitreichenden Enttäuschungen der neoliberalen Blair-Politik, eines starken Wachstums der Labour-Mitgliedschaft aufgrund linker Organisierungskampagnen und einer früheren Parteireform, die regulären Parteimitgliedern ermächtigte, den Parteivorsitzenden zu wählen. Die neue Führung und politische Orientierung machten Spannungen mit den zentristischen Anhängern Tony Blairs, die immer noch zahlreich und sehr einflussreich im Parlament und Parteiapparat sind, unvermeidlich.
Corbyn war ein lebenslanger Kämpfer für Menschenrechte einschließlich der Rechte der PalästinenserInnen. Er zog daher viele ähnlich gesinnte Aktivisten an. Diese Gesinnung wurde schnell von den wichtigsten jüdischen kommunalen und prozionistischen Organisationen im Vereinten Königreich ins Visier genommen und mit Hilfe israelischer Regierungsstellen als antisemitisch diffamiert.
Obwohl eine umfassenden Untersuchung der Labour Party (Chakrabarti Bericht) keinen institutionellen Antisemitismus feststellte, prangerten schreiende Boulevard-Schlagzeilen den Antisemitismus in der Labour Party an; prominente langjährige antirassistische Aktivisten wurden persönlich diffamiert und fallweise von der Partei ausgeschlossen, darunter eine Reihe jüdischer antizionistischer Mitglieder. Gleichzeitig forderten pro-zionistische Kräfte die Einführung der umstrittenen IHRA-Definition des Antisemitismus. Der IHRA-Kampf wütete mehr als ein Jahr lang, aber am Ende wurde die Definition einschließlich ihrer umstrittenen Beispiele angenommen. Diese Kampagnen passten nahtlos in die Strategie des rechten Flügels der Labour Party; das Ziel war die linke Führung abzulenken und in eine defensive Position zu drängen.
Labour verlor die Parlamentswahlen 2019 und Corbyn trat daraufhin zurück. Obwohl das Hauptthema der Wahlen der BREXIT war spielte die fabrizierte “Labour-Antisemitismus”-Kampagne sicherlich eine gewisse Rolle bei der Niederlage.
Im April 2020 gewann Keir Starmer die Wahl zum neuen Parteivorsitzenden mit finanzieller Unterstützung von mindestens einem langjährigen pro-israelischen Lobbyisten. Fast unmittelbar nach seinem Sieg erklärte er: “Ich unterstütze den Zionismus ohne Einschränkung” und begann, die Partei scharf nach den von pro-zionistischen Organisationen geforderten Leitlinien auszurichten. Im Juli zwang er eine Corbyn-Anhängerin und ehemalige Führungskonkurrentin mit weit hergeholten Anschuldigungen des Antisemitismus von ihrem Posten im “Schatten”-Kabinett der Labour-Partei. Und jetzt nutzt Starmer Corbyns Kritik an sekundären Ergebnissen einer Kommission, die weithin als der konservativen Partei nahe stehend angesehen wird, um seine Mitgliedschaft bei Labour auszusetzen. Hiermit erweist er der pro-zionistischen Lobby nur einen weiteren Dienst, der – anstatt die Partei gegen Boris Johnsons Konservative zu vereinen – nur weitere Teile der Labour-Basis noch mehr demobilisieren und entfremden wird.
Von P. Unterweger