Von Fritz Weber, unabhängiger Publizist in Wien. Seine Interessensschwerpunkte sind unter anderem Friedenspolitik, nachhaltige Wirtschaft und biblische Exegese.
Dutzende Gesetze bevorzugen Juden gegenüber israelischen Arabern.
Thomas M. Eppinger demonstrierte jüngst in seinem Gastkommentar in der “Wiener Zeitung” (“Das Gerücht über Israel”, 5. Oktober) auf anschauliche Weise, wie man bei einem komplexen Thema einseitig-polarisierend buchstäblich alles weglassen kann, was geeignet sein könnte, die eigene Position zu relativieren oder gar ad absurdum zu führen. Zwei Zitate:
1. “Der Israel-bezogene Antisemitismus […] wird tagtäglich von Medien und Politik genährt.” Diese haltlose Behauptung der “Israel-Erklärer” klingt – im Kontext der flächendeckenden israelischen “Hasbara”-Propaganda – fast wie der “Lügenpresse”-Vorwurf von Verschwörungstheoretikern an der Qualitätspresse, wenn es darum gehen soll, nachweisliche Sachverhalte Nichtinformierten gegenüber zu verdunkeln, in Abrede zu stellen und zu kompromittieren.
2. “Wer Israel als ‚Apartheid-Regime‘ verleumdet, streut ein antisemitisches Gerücht.” So einfach kann ein Demagoge einen seit Jahrzehnten von jüdischen (!) Demokraten und Historikern in Israel und den USA überwältigend dokumentierten, beängstigend fortschreitenden Prozess demokratiewidriger Gesetzgebung in Israel wahrheitswidrig leugnen und dessen Kritiker kompromittieren. Tatsächlich handelt es sich beim “System Netanjahu” nicht nur um systematische Diskriminierung und Apartheid gegenüber der alteingesessenen nichtjüdischen, arabisch sprechenden Bevölkerung, sondern – insbesondere in den beiden vergangenen Jahrzehnten – um eine rassistisch motivierte Politik infolge des zunehmenden Einflusses jüdisch-religiöser Ultranationalisten (Yamina).
Belege gefällig? Obzwar palästinensische Bürger in Israel das Recht haben zu wählen, am politischen Leben Israels teilzunehmen (eingeführt noch zur Zeit der früheren Dominanz der Arbeitspartei) und mehrere Palästinenser Mitglieder der Knesset (des israelischen Parlaments) sind, werden sie von der Regierung nicht gleich behandelt wie die jüdischen Bürger. Israel wendet nach wie vor mehr als 50 Gesetze an, die jüdische Menschen gegenüber Arabern privilegieren (wie von der unabhängigen Menschenrechtsorganisation Adalah dokumentiert). Zum Beispiel gewährt das Rückkehrgesetz von 1950 Juden aus aller Welt auf Antrag automatisch das Staatsbürgerrecht, während Palästinensern dieses Recht verweigert wird.
Unterdessen fließen die Ressourcen der Regierung unverhältnismäßig stark an Juden und nicht an israelische Araber; ein Faktor, der dazu beiträgt, dass die arabisch sprechenden Bürger Israels nach allen wirtschaftlichen Indikatoren den niedrigsten Lebensstandard in der israelischen Gesellschaft haben. Fast 25 Prozent der israelischen Bevölkerung sind nicht jüdisch. Nichtsdestoweniger wurde im – menschenrechtswidrigen – “Nationalstaatsgesetz” vom 19. Juli 2018 festgelegt, dass der Staat Israel allein dem “jüdischen Volk” gehört und die alleinige Amtssprache Hebräisch ist – dies nur als Spitze des Eisberges. All dies bewog den mehrfach geehrten Journalisten Gideon Levy von der renommierten (und ältesten) israelischen Tageszeitung “Ha’aretz”, Anfang dieses Jahres in Wien festzustellen: “Wenn das nicht Apartheid ist – was ist es dann?!”
Eine weitere demagogische Strategie (“Haltet den Dieb!”) besteht darin, dass die lobbyierenden Propagandisten der korrupten israelischen Führung (und dies gerade während monatelang andauernder, landesweiter Demonstrationen israelischer Staatsbürger gegen den wegen dreier Verbrechen angeklagten Regierungschef Benjamin Netanjahu!) mit dem Finger auf die Palästinensische Autonomiebehörde zeigen. Während der Gastkommentator dreist fordert, dass sich die palästinensische Bevölkerung “von ihren korrupten und gewalttätigen Eliten befreien” solle, ist dies von ihr schon längst – jedenfalls innerlich – vollzogen worden; aber seit der Wahl 2006 für das Amt des Palästinenserpräsidenten hat der gewählte Mahmoud Abbas eine weitere Wahl verhindert. Wer weiß bei uns schon, dass Mustafa Barghuthi damals die zweitmeisten Stimmen als Spitzenkandidat der Liste Unabhängiges Palästina (einer Koalition von Unabhängigen und Mitgliedern zahlreicher NGOs) erhalten hat? Barghuthi ist ein palästinensischer Politiker, Arzt und Bürgerrechtler, der im Vorstand zahlreicher Organisationen aktiv ist und sich durch Gründung sozialer Projekte hochverdient gemacht hat.
Aber es ist typisch für die Hetzpropaganda der herrschenden israelischen Administration, “die Palästinenser” (so sie überhaupt erwähnt werden) möglichst als “Terroristen” und gewalttätige “Islamisten” abzuqualifizieren und damit als Volk mit dem ihm zustehenden Selbstbestimmungsrecht zu delegitimieren, um es “aus Sicherheitsgründen” mittels hunderter Checkpoints quer durch Palästina niederhalten zu können. Gleichzeitig wird die langjährige gewaltfreie Friedensbewegung in der palästinensischen Zivilgesellschaft verschwiegen wie auch die Tatsache, dass immer noch ein nicht zu vernachlässigender Prozentsatz der Bevölkerung traditionell christlich ist.
Alles nur “Gerüchte”? Fragen Sie christliche Palästinenser in Bethlehem und Nazareth. Oder lesen Sie die vielbeachteten Bücher von Edward Said, einem US-Literaturtheoretiker und -kritiker christlich-palästinensischer Herkunft, über den Nahost-Konflikt (sein im Jahr 1978 erschienenes Buch “Orientalismus” zählt gemeinhin zu den einflussreichsten und meistrezipierten Sachbüchern der neueren Wissenschaftsgeschichte).
Fazit: Der vor wenigen Jahren erfundene, verleumderische Begriff “Israel-bezogener Antisemitismus” wird durch den real existierenden “Palästina-bezogenen Antiarabismus”, wie ihn der israelische Staat tagtäglich und zielbewusst praktiziert, ad absurdum geführt.