Die außenpolitischen SprecherInnen aller fünf Parlamentsparteien haben im vergangenen Dezember einen gemeinsamen Entschließungsantrag „betreffend Verurteilung von Antisemitismus und BDS-Bewegung“ im Nationalrat eingebracht, der in absehbarer Zeit auch im Plenum beraten und beschlossen werden soll. Mit Recht wird dort auf die jahrhundertelange verhängnisvolle Geschichte sowie die besorgniserregende aktuelle Zunahme des Antisemitismus hingewiesen. Es ist daher zu begrüßen, dass der Nationalrat jede Form des Antisemitismus klar verurteilt und die Bundesregierung auffordert, antisemitischen Tendenzen ent-schlossen und konsequent entgegenzutreten.
Begrüßenswert ist auch, dass der Antrag ausdrücklich festhält, dass „sachliche Kritik an einzelnen Maßnahmen der Regierung Israels zulässig sein“ muss. Diese Aussage wird allerdings in der pauschalen Verurteilung der BDS-Bewegung wieder zurückgenommen, weil hier allen kritischen Anfragen undifferenziert Antisemitismus unterstellt wird. Wir stimmen nicht mit allen Forderungen der BDS-Bewegung überein und sind auch der Meinung, dass die pauschale Forderung eines Rückkehrrechts, das auf UN-Resolutionen basiert, Fragen aufwirft, die im Rahmen von Verhandlungen gelöst werden müssen, bei denen die Interessen beider Seiten berücksichtigt werden. Ebenso sprechen wir uns selbst nicht für einen pauschalen Boykott Israels aus, erkennen aber im Urteil des EuGHs vom 12. November 2019, dass Produkte aus israelischen Siedlungen in den seit 1967 besetzten Gebieten nicht als Produkte aus Israel bezeichnet werden dürfen, einen Hinweis für berechtigte Boykottmaßnahmen. Die von der BDS-Bewegung ausgesprochene Kritik der israelischen Siedlungs- und Besatzungspolitik darf nicht einfach als „israelbezogener Antisemitismus“ unterdrückt werden. Die Brandmarkung der gesamten internationalen BDS-Bewegung als „antisemitisch“ lehnen wir ab, da sie unter Schirmherrschaft des südafrikanischen Erzbischofs, Anti-Apartheid-Kämpfers und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu steht und ihr weltweit – vor allem in den USA – auch zahlreiche christliche Kirchen und kirchliche Organisationen angehören, die Boykott und Sanktionen in der Tradition Mahatma Gandhis als Mittel im gewaltfreien Eintreten für Menschenrechte und gegen Unterdrückung verstehen.
Weiters stellen wir die Frage, warum in dem Antrag Israel mehrmals – im Sinne des im Vorjahr von der Knesseth beschlossenen Nationalstaatsgesetzes – als „jüdischer Staat“ bezeichnet wird, ohne dass die Rechte der nicht-jüdischen – vor allem palästinensischen – Bewohner auch nur erwähnt werden. In diesem Zusammenhang vermissen wir auch ein klares Bekenntnis zur Zweistaatenlösung auf Grundlage der entsprechenden Resolutionen der Vereinten Nationen, was auch die Anerkennung eines palästinensischen Staates einschließt.
Wir appellieren daher an die Proponenten des Entschließungsantrages sowie an alle im Nationalrat vertretenen Parteien, den Text noch einmal zu überdenken und eindeutig auf die realen Gefahren des Antisemitismus zu fokussieren, damit er nicht als einseitige Parteinahme für die derzeitige israelische Regierungspolitik sowie gegen die Rechte des palästinensischen Volkes interpretiert werden kann. Dies umso mehr, als sich Österreich im vergangenen Jahrhundert einen guten Namen als Vermittler in internationalen Konflikten – insbesondere auch im Nahostkonflikt – gemacht hat.