Kritik am politischen Zionismus muss erlaubt bleiben – Nein zur amtlichen Diffamierung von Muslimen und linkem Antikolonialismus
Der sogenannte Antisemitismusbericht 2018 der damaligen österreichischen Bundesregierung folgte dem repressiven Trend rechtsnationalistischer Regierungen in Europa, bestimmte Gruppen in der Bevölkerung und bestimmte politische Kampagnen durch Denunzierung, Diffamierung und Diskreditierung zu ächten.
Schon die SPÖ/ÖVP Vorgängerregierung hatte mit dem Islamgesetz die Richtung, bestimmte Gruppen in der österreichischen Bevölkerung unter eine besondere Gesetzgebung zu stellen, vorgegeben. Damit unterstellt die österreichische Politik aller großen Parteien vor allem Menschen mit türkischen und arabischen Hintergründen eine bestimmte religiöse und politische Haltung, oftmals mit kulturrassistischen Zuschreibungen. Diese Unterstellung ist letztendlich identitär, weil sie Haltung und Herkunft mutwillig konstruiert und verbindet.
Außerdem sollen mit dem Antisemitismusbericht politische Standpunkte diffamiert, ausgegrenzt und letztendlich kriminalisiert werden. Dies zielt vor allem auf die legitime Kritik an der israelischen Politik bzw. auf die notwendige Solidarität mit den PalästinenserInnen. Anstatt deren humanistischen und demokratischen Zugang im Sinne eines „Gleichen Rechts für alle“ zu würdigen, wird Menschen, die diese Kritik und Solidarität üben, Antisemitismus als Grundmotiv unterstellt. Die österreichische Bundesregierung versuchte damit in einer absoluten, faktenfreien und ahistorischen Betrachtung und Vereinfachung, Antisemitismus und Antizionismus gleichzusetzen.
Diese Form der Politik hat vor allem in Österreich und Deutschland eine schreckliche Tradition. Und es sind heute genau die Parteien, die anderen Gruppen Antisemitismus unterstellen, die sich nie von den verschiedenen Spielarten des Faschismus und seinen rassistischen Denkmustern in vollem Umfang lossagen konnten. Umgekehrt hat die ÖVP, die historisch in der ideologischen Tradition der „Antisemitenliga“ zu verorten ist, größte Probleme bis heute, die Bilder von Dollfuss und Lueger aus ihren Räumen in das Kellerarchiv zu verräumen. Bei der FPÖ, deren Wurzeln im Deutschnationalismus und Nationalsozialismus liegen, und der wiederholt Verbindungen zu (Neo-)Nazis nachgewiesen werden konnten, tritt dieses unselige Erbe ohnehin oft zutage.
Diese damalige Regierung und die koalierten Parteien überschlugen sich in der Bekundung ihrer Solidarität mit Israel. Einerseits um ihre Vergangenheit loszuwerden und andererseits um die ihnen gleichgesinnten Parteien in der israelischen Politik und deren Rückwirkung auf faschistoide Politiken in Europa zu unterstützen.
Die zwischen einer kulturellen und ethnischen Orientierung schwankende identitäre Mobilisierung nimmt Einfluss auf das Begründungsgebäude der Staaten. Vom demokratischen Staat aller seiner Bürger soll das Selbstverständnis verschoben werden hin zu einem Staat, der eine bestimmte Gruppe privilegiert und andere benachteiligt oder völlig ausgrenzt. In den Augen dieser identitären PolitikerInnen hat das zionistische Israel dafür auch eine Vorbildfunktion.
Diese Form der antidemokratischen und ausgrenzenden Argumentation kommt nicht (mehr) nur von rechtspopulistischer Parteien, Bewegungen und Regierungen. In Österreich wird diese Ausgrenzung durch den Antisemitismusvorwurf mittlerweile auch durch Institutionen betrieben, die dem traditionell linksliberalen Lager zuzuordnen sind. Hier wird ein nationaler bzw. europäischer „Burgfrieden“ quer durch alle parlamentarischen Parteien und Institutionen geschlossen, der den israelischen Staat von allen völker- und menschenrechtlichen Verpflichtungen freizusprechen sucht. Ein Beispiel dafür ist das in der historischen Aufarbeitung der Faschismus verdienstvolle Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DOEW). Andreas Peham, langjähriger Mitarbeiter des DOEW, bekannter Israel-Propagandist und Studienautor für VP-FP, spricht de facto die Regierungsparteien, die zwei Haupterben des historischen Antisemitismus, frei und liefert die Begründungen für die chauvinistische Kampagne der Regierung gegen Muslime, die zum Hauptfeind deklariert wurden. So viel zur Aushöhlung von „Wehret den Anfängen“.
DER BERICHT BENUTZT UNWISSENSCHAFTLICHE DEFINITIONEN UND METHODEN.
Hauptansatzpunkt der staatlichen und institutionellen Kriminalisierungsversuche gegenüber jeglicher Palästina-Solidarität und dem gleichzeitigen Schüren antimuslimischen Rassismus ist dabei eine Neudefinition des Antisemitismusbegriffs, der in Auftragsstudien die gewünschten Ergebnisse erzielen soll. In Österreich präsentierte dazu Nationalratspräsident Sobotka im März 2019 die Ergebnisse einer vom Parlament in Auftrag gegebenen Antisemitismusstudie, die Antisemitismus als Geisteshaltung vor allem muslimischen MigrantInnen zuschreibt – ein Ergebnis, das propagandistisch von der mit dem Rechtsextremismus in Verbindung stehenden FPÖ schon seit Jahren vorbereitet wurde. Der Bericht benutzt dabei unangemessene Methoden und unwissenschaftliche Vergleiche.
So wurde bewusst eine „Aufstockungsgruppe“ türkisch- und arabischsprechender StudienteilnehmerInnen herangezogen, die jedoch, wie die VerfasserInnen der Studie im Übrigen selbst anführen, im Unterschied zur restlichen Gruppe nicht repräsentativ ist. Darüber hinaus wurde bei der „Aufstockungsgruppe“ nur eine Interviewform verwendet, bei den anderen TeilnehmerInnen hingegen wurden drei verschiedene Interviewformate miteinander kombiniert. Die StudienautorInnen führen selbst an, dass die betreffenden Stichproben nicht ausreichend gestreut werden konnten und eine Repräsentativität daher „nicht notwendigerweise gegeben“ sei. Auch die definitorischen Grundlagen selbst weisen eine klare politische Stoßrichtung auf, die mit einer unzulässigen und in letzter Instanz unredlichen Gleichsetzung einen politischen Standpunkt festzuschreiben sucht: Die Ablehnung des politischen Zionismus als jüdischem Nationalismus sei Antisemitismus. Damit wird die israelische Doktrin übernommen und jede politische Kritik am Zionismus tabuisiert.
Gleichzeitig lassen sich die Studienergebnisse politisch nutzen, um dem antimuslimischen Rassismus ein neues – vermeintlich wissenschaftliches – Fundament zu liefern: Antisemitismus erscheint als muslimisch/arabisch/türkisches Phänomen. Damit wurde der Kurzschluss zur von der FPÖ lange propagierten „These“ des „importierten Antisemitismus“ vollzogen. Konsequenterweise wird als Gegenmaßnahme von der ÖVP- Staatssekretärin Edtstadler ein verpflichtender KZ-Mauthausen-Besuch für MuslimInnen und eine „Dokumentationsstelle für den politischen Islam“ gefordert.
DIE ARGUMENTATION IST IDENTITÄR UND FOLGT DAMIT DEM TRADITIONELLEN MUSTER DES ANTISEMITISMUS.
Die Umdeutung und Neuinterpretation der Antisemitismusdefinition – inhaltlich mit den Definitionen der zionistischen Netanjahu-Regierung synchronisiert – erfolgt dabei entlang der klassischen antisemitischen Tradition. Sie ist im Kern identitär, geht sie ideologisch doch von einer geschlossenen, ethnisch homogenen „Kultur“ aus, deren „Reinheit“ von den ethnisch, religiös und kulturell „Anderen“ bedroht sei: MuslimInnen, AraberInnen, TürkInnen. Staat und Gesellschaft hätten „völkisch“ einheitlich zu sein, zumindest aber nach „völkischen“ Kriterien regiert, beherrscht zu werden: Das „christlich-jüdische Europa“ ähnlich wie der „jüdische Staat Israel“. Das Judentum in seiner ganzen Vielfalt wird zu einer vermeintlich politischen homogenen Ideologie zusammengeschmolzen: dem politischen Zionismus. Jegliche jüdische Opposition gegen diese nationalistische politische Ideologie wird an den Rand gedrängt, ausgegrenzt, letztendlich zu einem „jüdischen Antisemitismus“ umdefiniert und im Keim erstickt.
Diese Neudefinition von Antisemitismus, die künftig ein Wesensmerkmal jeder Kritik am israelischen Besatzungsregime sein soll, vermischt die Interessen des israelischen Staates mit der heterogenen jüdischen Bevölkerung in und außerhalb Israels. Sie unterstellt eine Gleichheit von Judentum (jüdischer Kultur und Religion) und Zionismus, d.h. als Politik in Form eines ethnozentrisch-jüdischen Nationalismus. Jüdinnen und Juden wird damit implizit die Verantwortung für die völker- und menschenrechtswidrige Politik dieses Staats aufgezwungen. Nicht-zionistische oder antizionistische Jüdinnen und Juden geraten in den Geruch von VerräterInnen, werden „undenkbar“ gemacht. Der Tradition Luegers folgend, bestimmt man letztendlich, „wer a (guter) Jud is“.
DIE REGIERUNGSPARTEIEN SCHAFFTEN ES ALSO NICHT, SICH VON IHRER ANTISEMITISCHEN UND RASSISTISCHEN GESCHICHTE ZU LÖSEN UND WANDTEN SIE GEGEN ANDERE.
Entsprechend dieser politischen Zielsetzungen gelingt es den rechtsnationalen und „christlichsozialen“ Parteien, sich von der eigenen antisemitischen Geschichte und Gegenwart freizukaufen. Die Neudefinition des Antisemitismusbegriffs tabuisiert und immunisiert nicht nur den verbündeten Staat Israel gegen Kritik oder Sanktionen, sondern ermöglicht es zugleich, den politischen Kampfbegriff „politischer Islam“ zu homogenisieren und zu verschärfen. Netanjahus Versuch, die Schuld an der Shoah den PalästinenserInnen zuzuschieben (Stichwort „Großmufti“ von Jerusalem), mag vor einigen Jahren in Europa noch auf Ablehnung gestoßen sein. Über den Umweg „des importierten Antisemitismus“ soll nunmehr die europäische Ausgeburt „Antisemitismus“ Muslimen, AraberInnen und TürkInnen zugespielt werden. Einen ersten Vorstoß wagte der ÖVP-Mandatar Martin Engelberg mit Antritt der rechtsrechten Regierung Österreichs, als er in der israelischen Tageszeitung „Ha’aretz“ die Koalition mit der FPÖ verteidigte. Man solle sich nicht auf die Freiheitlichen fixieren, schrieb er, denn „in Österreich kommt die wahre antisemitische Bedrohung von den Muslimen, nicht den Nazis“. Die FPÖ sei „ungeachtet ihrer nationalsozialistischen Wurzeln längst zu einer einwanderungsfeindlichen, populistischen Bewegung geworden“, feierte Engelberg die rechtsrechte Koalition und begründete damit zugleich, weshalb Rechtsextremismus und Israel-Lobbyismus im Europa des 21. Jahrhunderts eine völlig neue Antisemitismus-Definition benötigen. Die Arbeit dazu lieferten Auftragsstudien, die dann wohl in Gesetzesvorlagen gegossen werden sollten.
WIR FORDERN:
• Eine offene Debatte über die israelische Apartheidpolitik muss möglich bleiben. Ein Verbot für derartige Veranstaltungen in öffentlichen Einrichtungen widerspricht dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit und ist zurückzunehmen.
• Das Ende der Stigmatisierung von Muslimen als „die feindlichen Anderen“ durch Politik und Institutionen.
• Landraub, Vertreibung, Diskriminierung und die Unterdrückung palästinensischer Menschenrechte müssen weiterhin, wie in den Genfer Konventionen, vom Europarat, und vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, klar als fortwährende Verletzungen des internationalen Rechts benannt werden können.
• Der Versuch, die Kritik an der Politik Israels durch eine propagandistisch motivierte Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus in der öffentlichen Debatte zu unterdrücken, ist zurückzuweisen.
• Große Teile der schwer unterdrückten palästinensischen Gesellschaft setzen große Hoffnungen in die gewaltfreie internationale BDS-Bewegung zum Boykott Israels. Der Beschluss des Wiener Gemeinderates, der diese Bewegung als antisemitisch denunziert und damit Kritik an Israel unterdrückt, ist aufzuheben.
Österreich, Juni 2019
Aufruf unterstützen:
https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSdr1qzwi0m4u0Mrg0sNA7ObUPwIzbh-3nQa1MhnAlSb4YPXpQ/viewform
UnterzeichnerInnen/signatories (für eine aktualisierte Liste siehe Link oben):
Antiimperialistische Koordination (AIK), Austria
BDS Austria
Frauen in Schwarz (Wien), Austria
Initiative für den Aufbau einer Revolutionär Kommunistischen Partei – IA.RKP, Austria
Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost e.V., Germany
Steirische Friedensplattform, Austria
Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative – Dar al Janub, Austria
Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft – NMZ, Austria
Jewish Network for Palestine, UK
Biosocial Research Foundation, USA
Al-Quds Association, Spain
UK-Palestine Mental Health Network
BACBI – Belgian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel
BDS Schweiz-Suisse
Collectif Palestine 12 -Millau, France
AFPS 63, Association France Palestine Solidarité, France
BDS France, France
Gibanje za Pravice Palestincev, Slovenia
Gruppo Ibriq per la causa e la cultura Palestinese, Italy
Samidoun Palestinian Prisoner Solidarity Network, International
Jews for Palestinian Right of Return; Labor for Palestine, USA
Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München, Germany
Boycott from Within (BFW), Israeli citizens for BDS, Israel
US Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel (USACBI),
United States
BDS Berlin, Germany
Institut für Palästinakunde e.V., Germany
University of Applies Sciences Frankfurt/M., Germany
Palästina Forum Nahost Frankfurt/M., Germany
Palästina/Nahost-Initiative Heidelberg, Germany
Antifaschistische Aktion Wien, Austria
Handala, Austria
Palästinesische Gemeinde Österreich, Austria
BDS Florenz, Italy
Salaam Ragazzi dell’Olivo Comitato di Trieste, Italy
Individuals:
Prof. David Klein, California State University Northridge, USA
PhD Les Levidow, Campaign Against Criminalising Communities (CAMPACC), UK
Ronnie Kasrils, Retired Minister South African Government
Na’eem Jeenah, Executive Director, Afro-Middle East Centre, Johannesburg, South Africa
Dr. Shahid Mathee, Lecturer at the Department of Religion Studies, University of Johannesburg, South Africa
Ofer Neiman, Israel
Mohammed Assaf, Germany
John King, USA
Raymond Deane, composer/author, Ireland
Cristina Soler Crespo, Spain
Cynthia Franklin, University of Hawaii, USA
Paul McDermott, Pasadena Foothills chapter of the ACLU, USA
Prof. Richard Sesford, University of Exeter, UK
Steven Friedman, University of Johannesburg, South Africa
Em. Prof. Herman De Ley, Ghent University, Belgium
Doris Ghannam, Germany
Prof. Rachel Giora, Tel Aviv University, Israel
Birgit Althaler, Switzerland
Ronnie Barkan, Israeli dissident, Palestine/Israel
Jan Ralske, Filmmaker, Germany
Nada Pretnar
Mary Mathai
Michal Sapir, Israel
Prof. James Dickins, University of Leeds, United Kingdom
Jean-Pierre Bouché, France
Hadas Leonov, Germany
Loretta Mussi, BDS Italia, Italy
Anna Farkas, Rete Romana di Solidarietà con il Popolo Palestinese, Italy
Alfred Almeder, Personenkomitee “Frieden für die Ukraine”, Austria
Leonhard Schaefer, BDS Florenz, Italia
Amir Ali, Germany
Vera Macht, Germany
David Klein, U.S. Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel, USA
Ursula Sagmeister, Frauen in Schwarz Wien, Austria
Heinz Assenmacher, BDS Bonn, Germany
Elfi Padovan, Germany
Alex Link
Henning Kleeblatt
Günter Schenk, CJACP, Frankreich
Wolfgang Behr, Germany
Brigitte Gärtner-Coulibaly, Germany
Claus Stephan Schlangen, Germany
Claudia Karas, Germany
Kirsti Aarseth, AKULBI – THE NORWEGIAN COMMITTEE FOR ACADEMIC AND CULTURAL BOYCOTT OF THE STATE OF ISRAEL, Norway
Eva Sievers, Germany
Dr. Shadi Abu Daher, Austria
Andreas Wisuschil, Lawyer, Munich, Germany
Brigitte Neubacher, UN-Bedienstete in Ruhe, Kabul-Vienna, Austria
Günther Gerstenberg, Germany
Anja Matar, Germany
Jean-Guy Greilsamer, France