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Die große Verdrehung


11. Dezember 2018

Erklärung der Palästina Solidarität Österreich zur Attacke der „Bewohner_innen des EKH“ auf die Veranstaltungsserie mit Attia Rajab vom Palästinakomitee Stuttgart

Am 7.12.18 fand in den Räumlichkeiten der „Föderation Demokratischer Arbeitervereine“ (DIDF) im Wiener Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) die letzte Diskussion der Veranstaltungsserie mit Attia Rajab unter dem Titel „Gaza Drama – ein Augenzeugenbericht“ statt, nachdem bereits davor jeweils eine in Linz und Graz von statten gegangen war.

 

Eine halbe Stunde davor fanden sich ein paar autonome BewohnerInnen des EKH ein, um den DIDF-Vertretern zu erklären, dass zwei der mitveranstaltenden Gruppen „extrem problematisch“ waren. BDS und AIK seien „in der Vergangenheit durch Antisemitismus aufgefallen. Vor allem die AIK hat bisher keine (ideologische) Nähe mit Faschist_innen, Nationalist_innen, Rechtsextremist_innen und Holocaust-Leugner_innen gescheut.“ Diese Anwürfe wurden jedoch ohne jede Mühe einer inhaltlichen Beweisführung gebracht.

 

Dem nicht genug, rückte bei Veranstaltungsbeginn ein halbes Dutzend mit schwarzen Kapuzenwesten gekleideter „EKH-BewohnerInnen“ aus, um rund um die Tür des DIDF-Lokals die Wände mit ihrem Flugblatt zuzuplakatieren. Einige der VeranstaltungsteilnehmerInnen begaben sich hinaus, um sich selbst diesen unerwarteten aggressiven Akt anzusehen – hätte man doch eher erwartet, dass sich die Kritiker an der Veranstaltung mit inhaltlicher Argumentation beteiligt würden. Attia Rajab selbst hatte sie zuvor noch ausdrücklich dazu eingeladen.

 

So begab sich auch Josef Pampalk, ein 80-jähriger ehemaliger in Mosambik aktiver Entwicklungshelfer, der sich Zeit seines Lebens gegen die südafrikanische Apartheid engagiert hatte und heute für die Gleichberechtigung der PalästinenserInnen eintritt, vor die Tür. Er zeigte sich empört, sprach die Leute an, was sie denn da machen würden, und hob an, die gespenstische Szenerie mit seinem Handy zu fotografieren. Der junge Mann in Schwarz, der auf seine Fragen nicht antworten wollte, schlug ihm stattdessen das Handy aus der Hand und traf ihn dabei im Gesicht. Dann nahm er Reißaus.

 

Josef hatte die Polizei gerufen, doch die kam viel zu spät. Er entschied keine Anzeige zu machen, auch angesichts der Tatsache, dass viele der TeilnehmerInnen mit den AngreiferInnen ins Gespräch zu kommen versuchten.

 

Zum Inhaltlichen: Die Regierung Kurz-Strache versucht alles, die Formel von Netanyahu und Trump auch in Österreich und der EU amtlich zu machen: Antizionismus sei gleich Antisemitismus. Das soll zum unhinterfragbaren Axiom, zu einem Tabu gemacht werden. Wer es zu hinterfragen wagt oder allein die Frage zulässt, wird selbst verdächtig und zum Antisemiten.

 

Autonome Diskussionsverweigerung ist also nicht schlechten Manieren geschuldet, sondern hat System. „Konsequenter Antifaschismus muss bedeuten, diesen Gruppen keinen Raum zu geben.“ Wer also im Sinne der freien Meinungsäußerung Räume zur Verfügung stellt, ist ebenfalls zu bekämpfen, auszugrenzen, zu verfolgen. Argumenten bedarf es keiner.

 

Für uns bedeutet konsequenter Antifaschismus dagegen, die rassistischen Unterdrückungsverhältnisse auch in Israel beim Namen zu nennen. Den ursprünglichen BewohnerInnen des Landes, den PalästinenserInnen aller Konfessionen, wurde und wird das Land mit allen Mitteln weggenommen—es wird ethnisch gesäubert. Wo das nicht ausreichend gelingt, werden sie einem Regime der kolonialen Ungleichheit unterworfen. In Südafrika nannten die SiedlerInnen dieses System Apartheid.

 

Unsere Kritik am Zionismus richtet sich grundsätzlich gegen Kolonialismus und koloniale Ungleichheit und tritt für gleiche Rechte für alle und für Demokratie ein. All das ist Erbe des Antifaschismus und der historischen Linken seit der Französischen Revolution. Der Zionismus nicht. Er ist Erbe der Zeit des Nationalismus, Rassismus und der systematischen Ungleichheit – es ist eine grundlegend rechte Ideologie und Grundlage eines imperialistischen Projekts.

 

Es ist kein Zufall, dass die herrschenden SystemträgerInnen Israels nicht den traditionellen Antisemitismus als Problem ansehen, sondern den linken Antizionismus, dem sie den Stempel des Antisemitismus mit Gewalt aufzudrücken versuchen. Nicht umsonst verortet sich die FPÖ in der Tradition des deutschnationalen Dritten Lagers, in dem auch die NSdAP groß wurde. Und die ehemals christlich-soziale ÖVP hat sich vom austrofaschistischen und antisemitischen Dollfuß-Regime nie distanziert. Ihre Vorläuferorganisation waren die „Vereinigten Antisemiten“ des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger, dessen Namen bis vor Kurzem noch ein Teil der Wiener Ringstraße trug.

 

Zu den inkriminierten Gruppen, die Teil der Palästina Solidarität Österreich sind:

BDS (Boycott, Disinvestment, Sanctions) basiert auf einem Aufruf (http://bds-info.at/was-ist-bds/aufruf/) der palästinensischen Zivilgesellschaft 2005. Er ist der Boykottkampagne gegen das Apartheid-Südafrika nachempfunden und richtet sich gegen fremde Besatzung sowie Besiedlung und verteidigt das von der UN verbriefte Rückkehrrecht der vertriebenen palästinensischen Flüchtlinge bzw. ihrer Nachkommen. Natürlich gefällt den Herrschenden in Israel der Vergleich mit Südafrika nicht und sie versuchen mittels Antisemitismuskeule zurückzuschlagen, nicht nur gegen die Linke, sondern auch gegen die Mehrheit der UN-Mitglieder, gegen Völkerrecht usw. Tatsache ist jedoch, dass sich das System der Bantustans von jenem der PNA-Gebiete nur graduell unterscheidet.

 

Die Antiimperialistische Koordination (AIK) wiederum ist seit ihrer Gründung in den 1990er für einen gemeinsamen demokratischen Staat aller EinwohnerInnen unabhängig ihrer Konfession eingetreten, wie es auch die Forderung der frühen PLO, des südafrikanischen ANC, der algerischen FLN und aller Befreiungsbewegungen gegen Siedlerkolonialisten war. Den Vorwurf der „Nähe zu Holocaust-Leugnern“ gegen die AIK musste das DÖW übrigens 2008 zurücknehmen (http://www.antiimperialista.org/de/node/5700), aber so kleinlaut, dass die Antinationalen es noch immer zu zirkulieren versuchen. Das ist auch intendiert; es ist die Methode des Rufmordes.

 

Prozionistische IdeologInnen haben sich beide Gruppen als Ziele ausgesucht und versuchen durch Missbrauch der Autorität des antifaschistischen Widerstands die große Operation der Umdeutung von Antizionismus zu Antisemitismus (hier die ausführliche Dokumentation und Zurückweisung der AIK http://www.antiimperialista.org/de/content/verleumdungskampagne-des-d%C3%B6w-ii) durchzusetzen. Wie sehr das für das globale herrschende System funktional ist und wie wenig die Vorwürfe mit der Realität zu tun haben, zeigt sich gegenwärtig im weltpolitischen Maßstab. Die Kampagne gegen Jeremy Corbyn, der in Großbritannien für ein Ende des Neoliberalismus eintritt und als Linker natürlich auch propalästinensisch ist, wird ebenfalls als Antisemit bekämpft.

 

Bemerkenswert ist das laute Schweigen dieser zionistischen IdeologInnen dort, wo Antisemitismus und Judenfeindlichkeit den westlichen Großmächte zu Diensten sind, z.B. als im Gefolge der NATO-Bombardements gegen die BR Jugoslawien der Kosovo von den Verbündeten des Westens „judenfrei“ gemacht wurde, oder die US- und EU-Eliten mit offen neofaschistischen und antisemitischen Kräften beim prowestlichen Staatstreich in der Ukraine kollaborierten.

 

Es ist der Zionismus, ein Siedlerkolonialismus, der in der Zeit des rassistischen Nationalismus entstanden ist und der im israelischen Apartheidregimes bis heute wirkt. Es ist eine ungeheuerliche Verdrehung, ein unerhörter Missbrauch der Katastrophe des Völkermordes an den JüdInnen, die linken KritikerInnen des israelischen Apartheidregimes mit dem zu verleumden, was der Zionismus selber repräsentiert, nämlich einen rassistischen Nationalismus.

 

Wehret den Anfängen, hoch die internationale Solidarität!