Israel will weiterhin »mit aller Kraft« zuschlagen. Bemühungen um Waffenstillstand offenbar aussichtslos
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11.08.2014 / Schwerpunkt / Seite 3
Von Karin Leukefeld
Die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen wurden auch am Sonntag fortgesetzt, im Gegenzug wurden weiterhin Raketen von dort auf den Süden Israels abgefeuert. Tel Aviv gab an, in Gaza »Terroristenlager« zu bombardieren, dabei wurden mindestens eine Moschee und mehrere Häuser in einem Flüchtlingslager zerstört. Am Wochenende starben auf palästinensischer Seite mindestens 17 Menschen (laut Gesundheitsministerium in Gaza), in Israel wurden zwei Personen verletzt. Die israelische Armee verbot Ansammlungen von mehr als 500 Personen in einer 40-Kilometer-Zone an der Grenze zu Gaza. Kindergärten und Sommerlager für Kinder durften nur öffnen, wenn sie über einen Bunker verfügen. Bei Protesten gegen die israelische Militäroperation starben im besetzten Westjordanland zwei Menschen durch Schüsse und Gummigeschosse der Armee.
In Kairo gingen die Bemühungen weiter, beide Seiten wieder zu Gesprächen und einer Waffenruhe zu bewegen. Man habe am Freitag kurz vor einer Einigung gestanden, hieß es in einer Erklärung des ägyptischen Außenministeriums. Ein Vertreter der Palästinenser erklärte die Bereitschaft seiner Delegation, bis zum Erreichen eines Waffenstillstandabkommens in Kairo zu bleiben. Kehre Israel allerdings nicht zurück, werde man am Sonntag abreisen. Aus Israel hieß es, daß man »unter Feuer« nicht verhandeln werde.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte an, gegen die Raketen aus dem Gazastreifen mit »aller Kraft« zurückzuschlagen. Regierung und Streitkräfte würden sich weiter »für Ruhe für alle Bürger einsetzen«, das werde dauern. Kommunikationsminister Gilad Erdan erklärte, man berate über eine »Ausweitung der Bodenoffensive und den Sturz der Hamas«. Die israelische Justizministerin Tzipi Livni erklärte: »Wir müssen jetzt weiter Stärke zeigen. Die Palästinenser feuern auf uns, und wir zahlen das im Gegenzug zurück. Aber nicht im gleichen Ausmaß, sondern mit größerer Härte.« Livni legte israelischen Medien zufolge einen »Friedensplan« vor, der in dieser Reihenfolge folgende Punkte enthält: Waffenstillstand, humanitäre Hilfe für Gaza, Schritte zur Erfüllung der israelischen Sicherheitsbedürfnisse sowie zur Lösung der wirtschaftlichen Nöte in Gaza. Die palästinensische Autonomiebehörde solle – unter Führung von Mahmud Abbas – die Macht in Gaza übernehmen, dann könnten dort Grenzübergänge geöffnet und ein Sicherheitssystem installiert werden. Wenn alles umgesetzt sei, könne Israel auch wieder Friedensgespräche mit der Autonomiebehörde aufnehmen.
In einer gemeinsamen Erklärung teilten am Samstag die Außenminister Frankreichs, Laurent Fabius, Großbritanniens, Philipp Hammond und Deutschlands, Frank-Walter Steinmeier, mit, man habe Vorschläge für die »Herstellung eines dauerhaften Waffenstillstandes« unterbreitet und sei bereit, dabei »Unterstützung zu leisten«. Man stehe hinter der Initiative Ägyptens, Israel und die Hamas sollten »unverzüglich zur Waffenruhe zurückkehren«. Sowohl »die Sicherheitsinteressen Israels als auch die palästinensischen Anforderungen für eine Aufhebung der Blockade« müßten »gleichermaßen« berücksichtigt werden. Übergeordnetes Ziel müsse eine »Rückkehr zu Gesprächen über eine Zweistaatenlösung bleiben«. Nur so könne der Konflikt gelöst und das »humanitäre Leid ein für alle Mal« beendet werden. Die drei EU-Staaten planen offenbar eine EU-Polizeimission an den Grenzübergängen zu Gaza. Eine solche Mission war bereits 2005 eingesetzt worden, wurde aber nach dem Wahlsieg der Hamas bei den Parlamentswahlen 2006 auf Drängen Israels wieder ausgesetzt.
Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sagte in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung, Deutschland werde letztmalig Wiederaufbauhilfe in Gaza leisten und wolle das zügig tun. Laufende Infrastrukturvorhaben werden von der Bundesregierung mit 120 Millionen Euro unterstützt. Die Abwasserpumpstation und ein mit deutscher Hilfe errichtetes Klärwerk seien beschädigt worden, so Müller, ohne den Verursacher der Zerstörungen beim Namen zu nennen. Die jungen Palästinenser bräuchten eine Perspektive: »Wir dürfen nicht aufgeben, sonst gewinnen die Radikalen.«
In Venezuela wurden am Wochenende Kinder erwartet, die bei den israelischen Angriffen verletzt wurden oder ihre Familien verloren haben. Außenminister Elias Jaua sagte, Waisenkinder aus Gaza sollten im Hugo-Chávez-Zentrum aufgenommen werden. Die Hilfe zur Ausreise der Kinder und deren Begleitung habe er mit Hilfe des UN-Kinderhilfswerks (UNICEF) über Ägypten organisiert. Flugzeuge der venezolanischen Luftwaffe werden Anfang der Woche sechs Tonnen Hilfsgüter für Gaza liefern.
Zu Demonstrationen mit Zehntausenden kam es am Wochenende in Paris und London. Auch in Deutschland wurde in vielen Städten für Frieden in Palästina demonstriert. In Tel Aviv versammelten sich trotz Verbotes einige hundert Kriegsgegner.