Buchpräsentation und Diskussion mit der Autorin Petra Wild
Über die Palästina-Frage scheint schon alles gesagt. Das Buch von Petra Wild beweist das Gegenteil. Es orientiert sich an den neuesten Erkenntnissen der Kolonialismus- und Genozidforschung, die den Zionismus als eine Form des europäischen Siedlerkolonialismus ausweisen.
Nach einer Einführung in den Ursprung des palästinensisch-israelischen Konflikts und den ethnischen Charakter des Staates Israel wird in diesem Werk detailliert auf die israelische Politik gegenüber den Palästinensern innerhalb der Grenzen Israels und in den 1967 besetzten Gebieten eingegangen. Diese wird von israelischen, palästinensischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen wie auch von UN-Organisationen als Apartheid und ethnische Säuberung bezeichnet.
Im ersten Teil des Buches legt die Autorin dar, wie die Palästinenser innerhalb der Grenzen Israels, der sogenannten Grünen Linie, einer systematischen rassistischen Diskriminierung und Segregation, des fortgesetzten Landraubs und der Vertreibung ausgesetzt sind. Diese Politik unterscheidet sich nur quantitativ, nicht qualitativ von der Vorgehensweise in den 1967 besetzten Gebieten. Am Beispiel des Negev/Naqab werden die ökonomische und geographische Strangulierung der einheimischen Bevölkerung, die Zerstörung ihrer Kultur sowie die zugrunde liegenden ideologischen und politischen Prämissen dargestellt. Abgerundet wird der erste Teil durch ein Kapitel über den Rassismus in der jüdisch-israelischen Bevölkerung, der, wie Albert Memmi und Frantz Fanon gezeigt haben, ein typisches Moment der kolonialen Situation darstellt.
Der zweite Teil des Buches schildert die israelische Kolonialpolitik in den 1967 besetzten Gebieten, welchen Prinzipien sie seit ihren Anfängen folgt und wie sie durch die Oslo-Abkommen modifiziert wurde. Der Oslo-Prozess war kein Friedensprozess, sondern lediglich die Umsetzung lang gehegter israelischer Pläne, die palästinensische Bevölkerung mit Hilfe einheimischer Mittelsmänner niederzuhalten. Die Einsetzung der palästinensischen Autonomiebehörde ermöglichte es, die einheimische Bevölkerung zu teilen, wie es angesichts des Verlusts der jüdischen Bevölkerungsmehrheit auf dem Boden des historischen Palästina zur Aufrechterhaltung des ethnokratischen Charakters des Staates Israel notwendig geworden war.
Es wird auf Ähnlichkeiten und Unterschiede der israelischen Politik im Vergleich zur südafrikanischen Apartheidpolitik hingewiesen, die ebenfalls von angeblich demographischen Notwendigkeiten ausging.
Da der zionistische Siedlerkolonialismus anders als der südafrikanische nicht auf die Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung als billige Arbeitskräfte sondern auf deren möglichst vollständige Ersetzung durch die Siedlerbevölkerung zielt, ist die schleichende ethnische Säuberung neben der Apartheid das Hauptmerkmal der zionistischen Kolonialpolitik. Wie diese Politik in der Praxis aussieht, wird in einzelnen Kapiteln über die Ghettoisierungspolitik in der Westbank, die ethnische Säuberung des Jordantals, die Gewalt der kolonialen Siedler sowie die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung und die Zerstörung der historischen Stadt Jerusalem dargelegt. Den Abschluss des zweiten Teils bildet ein Kapitel über die Blockade des Gaza-Streifens und die damit in Verbindung stehende Genozid-Debatte. Hier wird deutlich, welche Motive der Blockade zugrunde liegen und welche katastrophalen Folgen sie für die Zivilbevölkerung hat. Außerdem wird erklärt, warum Genozid-Forscher den Siedlerkolonialismus als inhärent genozidal ansehen und warum sie auch den Zionismus in diese Analyse miteinbeziehen.
Dass es dennoch einen Silberstreif am Horizont gibt, zeigt das Abschlusskapitel zur Debatte über die Ein-Staat-Lösung, wie sie unter Palästinensern, antizionistischen Israelis und Aktivisten der internationalen Solidaritätsbewegung geführt wird. Angestrebt wird die Errichtung eines demokratischen säkularen Staates auf dem Boden des historischen Palästinas, in dem muslimische, christliche und drusische Palästinenser sowie jüdische Israelis auf der Basis von gleichen Rechten zusammenleben. Der seinem Anspruch nach exklusiv jüdische Staat Israel soll durch einen multiethnischen, multireligiösen und multikulturellen ersetzt werden. Die 1948 und 1967 vertriebenen Palästinenser, die die Mehrheit der palästinensischen Gesamtbevölkerung bilden, sollen zurückkehren dürfen und eine neue Gesellschaft aufbauen, die frei von kolonialer Dominanz besteht. Die Ein-Staat-Lösung würde nicht nur den Palästinensern ihre von der UNO anerkannten Rechte auf Selbstbestimmung, Rückkehr und Entschädigung garantieren, sondern auch die jüdisch-israelische Bevölkerung von ihrem Status als Kolonialherren befreien.
APARTHEID UND ETHNISCHE SÄUBERUNG IN PALÄSTINA
Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat
ISBN 978-3-85371-355-6, br., ca. 224 Seiten, ca. 15,90 Euro
Die Autorin
Petra Wild, geboren 1963 in Aarbergen/Hessen, beschäftigt sich seit 1982 mit Palästina und der arabischen Welt. Zwischen 1989 und 1994 studierte sie Arabisch am Notre Dame-Institut im arabischen Jerusalem, als Gasthörerin an der Universität Leipzig und am Institut des Études arabes in Damaskus. Von 2000 bis 2007 studierte sie Islamwissenschaft am Institut für Afrika- und Asienwissenschaften der Humboldt-Universität in Berlin. Seit dem Abschluss ihres Studiums arbeitet sie als freiberufliche Islamwissenschaftlerin und Publizistin vor allem zur Palästina-Frage und zur Arabischen Revolution. Sie hat zahlreiche Artikel in politischen Zeitschriften und Online-Zeitungen veröffentlicht, unter anderem zum Gaza-Krieg 2008/2009, zur Ein-Staat-Lösung und zum Sturm auf die israelische Botschaft in Kairo 2011.
Details der Aktivität
Mittwoch, 17. April 2013 – 18:30
OKAZ, Österreichisch-Arabisches Kulturzentrum, Gußhausstraße 14/3, 1040 Wien