Kann Israel sie verhindern?, von Leo Gabriel
Der Versuch breiter Bevölkerungsschichten, dem Recht auf Leben und Freiheit im arabischen Raum in den internationalen Medien zu verschaffen, ist vor allem dort gelungen, wo er sich mit den Interessen des Westens einigermaßen in Einklang bringen ließ. In Tunesien und Ägypten, aber auch in Libyen und Syrien wurden die Demokratisierungsprozesse von einer medialen Öffentlichkeit begleitet, die jene politischen Kräfte in Europa und den USA schwächten, die Jahrzehnte lang mit den dort im Amt befindlichen Diktaturen zusammengearbeitet hatten.
Weitaus geringer war das Interesse an Ländern wie Jemen und Bachrein, die auch dem prowestlichen Hauptakteur in der Region, nämlich Saudi-Arabien gefährlich werden könnten. Und gegen Null ging die Aufmerksamkeit gegenüber dem Herzstück des Nahostkonflikts, nämlich Israel und Palästina.
Gegen dieses notorische Defizit versucht nun schon seit Jahren ein Projekt anzukämpfen, das am 30. Mai des letzten Jahres in die Schlagzeilen gekommen war, als 9 türkische Menschenrechtsaktivisten auf der Marvi Marmara ohne jede militärische Notwendigkeit von der israelischen Armee massakriert wurden. Hunderte engagierte Menschen aus aller Welt, vor allem parteiunabhängige VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen, Parlamentsabgeordnete und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bestiegen damals ein halbes Dutzend Schiffe aus Spanien, Irland, Griechenland, Norwegen u.a., mit dem Ziel, der seit 2006 eingesperrten Bevölkerung im Gazastreifen Lebensmittel und Baumaterialien zukommen zu lassen und so die unsichtbaren Mauern um dieses größte Freiluftgefängnis der Welt für einen historischen Moment zu durchbrechen.
Die Abschreckungsstrategie Israels
Auch dieses Jahr wird sich wieder eine solche Gaza-Flotte in Bewegung setzen; sie wird, dem Vernehmen der Organisatoren nach, noch größer als die im Vorjahr sein. Dabei wurde die geplante Aktion bereits im Vorfeld von der Regierung Netanyahu politisch derart hochgespielt, dass die Telephone in den Außenministerien jener Länder heißzulaufen begannen, wo es Menschen gab, die sich der Gaza-Flotte anschließen wollen.
So versprach etwa das US-State Department den Israelis, sich bei der türkischen Regierung des inzwischen mit großer Mehrheit wiedergewählten Präsidenten Erdogan für eine Beilegung des Konflikts zwischen Israel und der Türkei einzusetzen, unter der Bedingung, dass dieser ein neuerliches Auslaufen der Marvi Marmara verhindere. Tatsächlich sind die israelisch- türkischen Beziehungen wegen seit dem Massaker auf der Marvi Marmara und der Unterdrückung einer unabhängigen Untersuchung durch die israelische Regierung schwer angeschlagen, ein Umstand, welcher der Türkei große Sympathien vor allem in der arabischen Welt, aber auch bei den Friedensbewegungen im Westen eingebracht hat.
Inzwischen hat die türkische Hilfsorganisation auch tatsächlich ihre Teilnahme an der Gaza-Flotte abgesagt und auch die Regierung Kanadas hat sich geweigert, seiner Verspflichtung als Schutzmacht gegenüber dem kanadischen Schiff wahrzunehmen. Ebenso gab in Wien ein Sprecher des Außenministeriums eine Warnung für die Delegation aus Österreich heraus, die diesmal bei der Gaza-Flotilla mitmachen will. Er verwies dabei auf eine Verordnung, der zu Folge bei Missachtung der Warnung von den Opfern der israelischen Repression ein Betrag von bis zu 50 000.- Euro als Entschädigung für die Unkosten des Außenministeriums eingefordert werden könnten.
Sollten allerdings alle diese Stricke der außenpolitischen Seilschaften Israels reissen und diese Drohungen nichts fruchten, dann hat die israelische Armee laut Medienberichten angekündigt, im Mittelmeer militärische Manöver zu veranstalten – just zu der Zeit da die Gaza-Flotte unterwegs sein wird.
Die Gaza-Flotte im Kreuzfeuer der israelischen Propaganda
All das ist Grund genug, um sich mit den Zielsetzungen der Gaza-Flotte und den Argumenten seiner Gegner noch einmal gründlich auseinanderzusetzen. Dabei gibt es folgende Argumente, die in den Diskussionen immer wiederkehren:
· Die Gaza-Flotte hätte gegenwärtig ihre Existenzberechtigung dadurch verloren, dass die Grenze von Gaza zu Ägypten bereits geöffnet wäre. Das stimmt so nicht: es hat zwar im Anschluss an die ägyptische Rebellion diesbezügliche Ankündigungen von Seiten des inzwischen als Präsident der Panafrikanischen Union fungierenden Außenministers gegeben. Tatsächlich ist die Grenze bei Rafah für den Warenverkehr (also für Hilfslieferungen) aber weiterhin geschlossen und auch der Personenverkehr gestaltet sich äußerst schleppend.
· Die Hilfsgüter der Flotte kämen der von Israel als „islamistisch“ und sogar als „terroristisch“ eingestuften Hamas zu Gute. Auch das ist falsch: denn die Hilfslieferung ergehen nicht an irgendeine politische Gruppierung (sei es Hamas oder die mit ihnen bereits in einer lockeren Allianz stehende Fatah), sondern werden direkt an die in Stadtteilkommittees organisierte notleidenden Bevölkerung verteilt.
· Der Gazastreifen wäre wegen der wiederholten Raketenangriffe der Hamas eben ein militärisches Sperrgebiet und müsse deshalb von den israelischen Streitkräften zu Land und zur See „beschützt“ werden. Das stimmt schon einmal rein formalrechtlich nicht, denn Gaza ist – rein rechtlich gesehen – ein Hoheitsgebiet der autonomen palästinensischen Behörde. Außerdem hat die Hamas immer wieder versucht, den Abschuss der von einzelnen radikalen Gruppen abgeschossenen Raketen zu unterbinden.
Ob also Israel dem durch die Demokratisierungsbewegungen im arabischen Raum veränderte Kräfteverhältnis dadurch Rechnung tragen wird, dass es das auch im Westen geforderte Tor zu einem Dialog mit den Palästinensern symbolisch öffnet und die Gaza-Flotte mit ihrem humanitären Anliegen gewähren lässt, ist mehr als zweifelhaft. Im Augenblick sieht es eher danach aus, dass die Regierung Netanyahu an der Strategie der Selbstisolierung Israels festhält und jeden Demokratisierungsversuch auch im eigenen Land verhindert. Ein schwacher Trost mag sein, dass selbst Dinosaurier irgendwann einmal ausgestorben sind.
Dieses undemokratische Verhalten der israelischen Regierung offenzulegen und dabei der notleidenden Bevölkerung von Gaza das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine ist, ist neben den Hilfslieferungen das erklärte Ziel der Gaza-Flotte, die am 26. Juni in See stechen wird – diesmal auch mit einer ansehnlichen Delegation aus Österreich an Bord.