von Rüdiger Göbel, Junge Welt
Die Linke im Bundestag untersagt per Fraktionsbeschluß Abgeordneten und Mitarbeitern eine Teilnahme an der diesjährigen Gaza-Solidaritätsflotte. Darüber hinaus werde man sich »weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte«beteiligen, heißt es in einer am Mittwoch unter der Schlagzeile »Entschieden gegen Antisemitismus« verbreiteten Stellungnahme. Eine entsprechende Entschließung sei von den Linke-Parlamentariern »einstimmig«verabschiedet worden. Tatsächlich ging dem Dekret eine lange und lautstarke Debatte voraus, in der Fraktionschef Gregor Gysi nach jW-Informationen mit der Niederlegung seines Vorsitzes gedroht hat.
Am Ende stimmte nicht einmal die Hälfte der 76 Linke-Parlamentarier dafür. Kritiker des als »Maulkorb« bewerteten Nahost-Ukas hatten vor dem Votum entrüstet den Sitzungssaal verlassen, darunter die Abgeordneten Christine Buchholz, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Harald Koch und Niema Movassat. Mitihrem Abgang wollten sie wohl eine Gysi-Demission und einenpolitischen Eklat verhindern. Eingeleitet wird die vom Fraktionsvorstand initiierte und über das Münchner Magazin Focus am Montag vorab lancierte Nahost-Entschließung nämlich perfiderweise mit der Feststellung: »Die Abgeordneten der Fraktion Die Linke werden auch in Zukunft gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorgehen. Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz. Die Fraktion Die Linke tritt daherentschieden gegen antisemitisches Gedankengut und rechtsextremistische Handlungen auf.«
Man kann sich die Schlagzeilen der Mainstreammedien gut vorstellen, hätte es hier Nein-Stimmen gegeben.
Parteirechte um den Vizefraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und die stellvertretende Linke-Bundesvorsitzende Katja Kipping hatten im Vorfeld der Debatte offensichtlich massiv Druck auf Gysiausgeübt. Der sprach in der rund vierstündigen Sitzung davon, mit SMS förmlich bombardiert worden zu sein, in der Fraktionsmitglieder offen mit Spaltung oder einem Wechsel zur SPD gedroht hätten. Während der Debatte am Dienstag wurden von Fraktionskollegen namentlich Bartsch Spaltungsversuche vorgeworfen. Heike Hänsel unterstellte, die Nahost-Debatte werde geführt, um den Weg für eine zukünftige rot-grüne Regierungsbeteiligung zu ebnen. Der Parlamentarische Geschäftsführer Ulrich Maurer kritisierte, Holocaust und Antisemitismus-Vorwürfe würden offensichtlich für den innerparteilichen Machtkampf instrumentalisiert. Ein solches Vorgehen sei »widerlich«.
Auf jeden Fall spielen die Begründungen des Maulkorberlasses in anderen europäischen Ländern und bei israelischen Linken keine Rolle. So nannte Pierre Laurent, nationaler Sekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs und Präsident der Europäischen Linkspartei, deren Mitglied auch die Partei Die Linke ist, am Mittwoch vergangener Woche auf einer stark besuchten Unterstützerversammlung in Paris die in der kommenden Woche bevorstehende Entsendung eines französischen Schiffs an die Küste von Gaza als politische Demonstration. Es gelte nicht, den karitativen Zweck zu betonen, sondern die Absicht, den israelischen Belagerungsring zu durchbrechen. Führende Vertreter linker französischer Organisationen sowie der Gründer des israelischen Komiteesgegen Hauszerstörungen, Jeff Halper, richteten Grußworte an das Meeting.
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