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Jüdisches Boot nach Gaza: Yonatan und Itamar Shapira berichten


13. Oktober 2010

Die „gewaltfreie“ Übernahme des jüdischen Bootes, das nach Gaza fahren wollte

Yonatan und Itamar waren zwei der Israelis, die an Bord des jüdischen Bootes „Irene“ waren, das nach Gaza segeln wollte. Vor allem diese beiden litten unter der Gewalt der israelischen Soldaten, die dem Boot den Weg abschnitten. Hier berichten sie, nachdem sie eine Stunde lang wieder bei ihrer Familie in Israel  waren:

 

„Die israelischen Medien werden von der Armeepropaganda beherrscht. Die Armee behauptet, dass die „Übernahme“ des Bootes von beiden Seiten gewaltfrei und ruhig verlief – aber was tatsächlich geschah, war, dass die Passagiere keine Gewalt anwandten,  die israelische Marine aber  sehr gewalttätig war.

 

Bei Sonnenaufgang hielten wir bei 35 Seemeilen vor der Küste und hingen alle Flaggen und Banner der Organisation auf – das Boot sah wunderschön aus.  Wir drehten dann nach Südosten in Richtung des Gazahafens. Der Filmemacher Vish und der Journalist Eli nahmen das Schlauchboot und  machten Fotos und Video vom Boot.  Jeder war irgendwie aufgeregt, als wir so auf Deck standen und uns von der ruhigen Überfahrt verabschiedeten, die wir bis dahin hatten. Wir  wussten, dass unsere Fahrt bald aufgehalten würde; also nutzten wir die Zeit noch für eine Einsatzbesprechung. Wir hielten uns an den Händen, wir sprachen über die Prinzipien des Bootes und entschieden über die Strategie, wie wir uns gegenüber der (isr.) Marine verhalten sollten.
Als wir uns etwa 20 Seemeilen vor Gaza befanden, tauchte ein großes Kriegsschiff nördlich von uns auf. Noch war es ziemlich weit weg. Wir hielten unsern Kurs deshalb bei. Als das Kriegsschiff näher kam, riefen sie uns zu und sprachen mit Glyn, dem Kapitän. Die Marine sagte, dass wir dabei wären, in eine verbotene Zone  einer Bohrinsel einzudringen. Drum änderte  „Irene“ leicht den Kurs.  Dann sahen wir ein anderes kleines Schiff vor dem Kriegsschiff. Als dieses näher kam und sich parallel zur Irene posierte, blieb das kleine Schiff still liegen. Eine Anzahl  kleiner Schiffe wurde gesehen. Sie kamen von Osten. Die Marine wollte noch einmal wissen, was wir vorhatten – wir antworteten, wir wollen nach Gaza.

 

Die Marine antwortete mit  genau derselben Erklärung, die sie machten, bevor sie die Mavi Marmara angriffen: „Ihr kommt in ein Gebiet, das unter militärischer Blockade steht und nach internationalem Gesetz ein geschlossenes/verbotenes Gebiet ist.“

 

Itamar hatte den Auftrag, mit der Marine zu verhandeln und antwortete, indem er unsere eigene Erklärung auf Englisch und Hebräisch vorlas:

 

„Wir sind ein Boot der europäischen Organisation „Juden für Gerechtigkeit für die Palästinenser“ und sind gewaltlos, unbewaffnet und entschlossen, zum Hafen nach Gaza zu segeln. Ihr  setzt eine illegale Blockade durch, und wir erkennen euer Recht, dies zu tun, nicht an. Auf diesem Schiff der „Juden für Gerechtigkeit für die Palästinenser“ sind Friedensaktivisten aller Altersgruppen, unter uns ist ein Holocaustüberlebender, trauernde Eltern und Israelis, die sich weigern, mit der illegalen Besatzung Palästinas zusammen zu arbeiten.“
Wir warteten darauf, dass sie das bestätigen, was sie hörten.

 

Die Marine wiederholte ihre Botschaft auf hebräisch – dann kamen die Boote von allen Seiten. Acht  Marineschiffe umgaben uns – drei oder vier der Schiffe mit Kanonen.

 

Wir riefen die Soldaten dazu auf, sich den Befehlen zu verweigern:

 

„Wir rufen euch IDF-Soldaten und Offiziere auf, den illegalen Befehlen eurer Vorgesetzen nicht zu gehorchen. Zu eurer Information: die Besatzung des Gazastreifen und der palästinensischen Gebiete ist nach internationalem Gesetz illegal: deshalb riskiert ihr, vor den Internationalen Gerichtshof gebracht zu werden. Die Blockade als auch die Besatzung ist unmenschlich und widerspricht universalen und jüdischen moralischen Werten. Habt ihr denn kein Gewissen? Denkt an unsere eigene schmerzliche Geschichte. Weigert euch, die Blockade aufrecht zu erhalten. Weigert euch Palästina zu besetzen.“

 

Itamar las dies auf Hebräisch und Englisch  mehrere Male auch fürs Radio vor, als die Boote sich uns näherten. Jeder von uns war bereit, wir hielten uns an den Händen und machten uns für die Übernahme fertig. Vish war vorne und machte Fotos und filmte die ganze Sache.

 

Es waren mehr als 100 Soldaten auf all den Militärbooten rund um unser Boot. Zwei kleine Boote mit Kanonen  legten sich auf die beiden Seiten, schrieen und bedrohten uns mit Megaphonen und kamen immer näher auf uns zu. Glynn, der Kapitän, blieb ganz ruhig und verhielt sich genau nach den Prinzipien des Bootes und hielt den Kurs und forderte so die Marine heraus.
Das Militär sprach  direkt zu Itamar, dass er verantwortlich sei, wenn uns etwas passieren würde und für das Risiko, wenn wir nicht den Kurs verändern würden. Wir verstanden sehr schnell, dass wir kurz davor standen, dass sie zu uns an Bord kämen. Die kleinen Boote legten sich direkt neben uns und dann sprangen die Soldaten  auf der nördlichen Seite an Bord.
Itamar: Als ich mit denen auf dem Marineboot sprach, das neben uns lag und etwa 20 bewaffnete und muskulöse Marinesoldaten an Bord hatte, war ich  zum 1000. Mal  in meinem Leben erstaunt, wie die Armee die Realität für sich und uns darstellt. Sie bestanden darauf, dass ich persönlich die Verantwortung für die Gewalt tragen würde, die geschehen würde, wenn wir ihnen nicht gehorchen würden und sie „gezwungen“ wären, auf unser kleines Boot an Bord zu gehen. Ich versuchte, ihnen zu erklären, wie lächerlich es aussieht, wenn so viele bewaffnete, starke und trainierte Soldaten ein Boot mit neun unbewaffneten Leuten stürmen, die  sich noch an den 2. Weltkrieg  und an die Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren erinnern, als Gewaltlosigkeit erklärt wurde. Wie können  sie uns für Gewalt verantwortlich machen? Ich erinnerte sie an den Holocaustüberlebenden und die trauernden Eltern an Bord und dass wir keinerlei Konfrontation mit ihnen wünschen . Ich denke, das machte sie ärgerlich, reduzierte aber ihre mögliche Gewalt gegenüber den anderen Passagieren außer Yonatan und mir. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die israelische Armee in der letzten Zeit zwei Fischer tötete – und die Medien davon  kaum Notiz nahmen – um dem zu nahe zu kommen, was die IDF beschlossen hat, wo die Blockadegrenze ist. Deshalb muss ihre Gewalt uns gegenüber ins rechte Verhältnis dazu gerückt werden.

 

Während der ganzen Militäraktion sprach ich mit Al-Jazeera. Aber ich bin nicht sicher, was sie davon mitbekommen haben oder was sie weiter ausgestrahlt haben … dann wurde mir mein Telefon  aus der Hand gerissen.
Sie griffen Itamar an und nahmen ihn in ihr Boot. Die andern Soldaten stießen Glynn vom Steuer. Die anderen hielten sich an den Händen und Reuven spielte, wenn ich mich recht erinnere  auf der Mundharmonika.

 

Itamar:  mindestens 2 Soldaten waren dafür bestimmt, alle  Aufnahmegeräte einzusammeln. Der israelische CH10-Reporter stand neben mir, und einer der Soldaten nahm ihm einfach seinen Fotoapparat aus der Hand. Ich nahm ihn wieder, ohne den Soldaten zu berühren, und hielt ihn hinter dem Rücken und weigerte mich, ihn dem Soldaten wieder zu geben. Der Soldat rief einen anderen, und zusammen versuchten sie, mir die Arme zu verdrehen und schrieen, um wieder an den Apparat zu gelangen. Als es ihnen nicht gelang, baten sie ihren Kommandeur, mich gefangen  nehmen zu dürfen. Vier von ihnen zerrten mich ins Militärboot und zwangen mich auf den Boden des Bootes, um mir die Hände zu fesseln. Ich gab nicht auf, bis  einer von ihnen seine Finger tief in meine Arterie  am Hals steckte. Dann hörte ich Yonatans schrecklichen Schrei  und sah, wie er die Kontrolle über seinen Körper verlor, weil er einen Elektroschock erhalten hatte. Ich schrie zu Rami, er möge den Fotoapparat in den Maschinenraum des Bootes werfen. Yonatan wurde dann auch in das Militärboot gebracht, in dem ich schon war. Uns beiden wurden die Hände gefesselt. Dann wurden wir zu einem großen Schiff gebracht.

 

Während wir uns an den Händen hielten, nahmen uns die Soldaten alles weg. Zu diesem Zeitpunkt saß ich auf dem Boden des Bootes und umarmte Glynn und Reuven, um sie zu schützen. Dann setzte ich mich neben Rami. Passagiere stellten den Motor ab, um es für die Marine unmöglich zu machen, das Boot in einen anderen Ort zu steuern. Soldaten näherten sich mir und Rami. Es schien so, als wollten sie uns auf ein Marineboot bringen. Ich und Rami umarmten einander – es war die festeste Umarmung, die ich je einmal machte.

 

Der Offizier kam zu uns, zog seinen Elektroschocker heraus und befahl uns, uns loszulassen. Der Soldat drohte mir, wenn ich ihn nicht loslasse, dann würde er mir Schmerzen zufügen. Dann gab er mir  zweimal einen Elektroschock auf die rechte Schulter – es war sehr schmerzvoll. Aber nicht so schlimm wie der nächste Schuss, als er meine Schwimmweste beiseite tat und mir das Gerät auf meine Brust setzte und losschoss. Ich verlor die Kontrolle über meinen Körper und  bekam einen Schüttelkrampf und schrie laut auf. . Dann nahmen sie mich auf eines ihrer Boote.

 

Und das war die sog. „gewaltfreie“  Übernahme des  jüdischen Bootes nach Gaza. Natürlich  hätten sie  scharf geschossen, wenn wir Palästinenser oder Muslime gewesen wären – aber nun waren wir Juden und Israelis und hatten die Aufmerksamkeit der Welt. Sie wollten uns nicht das antun, was sie auf der Mavi Marmara taten. Natürlich nahmen sie alles Bildmaterial von Eli und Vish, und die einzigen Beweise, die existierten, liegen nun beim Militär. Es würde mich wundern, wenn es dort jemand gäbe, der die Armee unter Druck setzt, um das von uns gemachte Bildmaterial den Medien zugeben.  Es gibt keinen Grund für sie, es zu behalten. Es sind erstaunliche Filmmeter von 48 Stunden Schiffsreise mit den  Botschaften und Wünschen, die wir von überall bekamen und  an den Masten befestigten. Wahrscheinlich sind die stärksten Bilder diejenigen, als die Marine an Bord unseres Bootes kam.
Alle unser Banner und Flaggen wurden von der Armee heruntergenomme, und das Boot wurde mit dem Rest der Passagiere nach Ashdod gezogen.
Itamar und ich fuhren mit dem großen Kriegsschiff nach Ashdod, was mehrere Stunden dauerte. Wir sahen, wie das Boot im Hafen festgemacht wurde. Wir sahen die Demonstranten, Freunde, Familienmitglieder und Unterstützer, die seit dem Morgen  am Strand auf uns warteten. Auch ein Boot mit Filmemachern, die uns zu erreichen versuchten; sie wurden aber weggescheucht.
Jeder von uns hatte eine intime Körperdurchsuchung. Sie berührten mich an den intimsten Stellen …Schließlich wurden wir zu einer Polizeistation in Ashdod gebracht und sahen dort noch mehr Demonstranten, die draußen auf uns warteten.
Auf der Polizeistation verbrachten wir mehrere Stunden, wo man Rami, Itamar, Reuven, Eli und mich verhörte. Wir wurden alle angeklagt, wir hätten versucht, illegal in verbotene Zonen zu gelangen, während Rami, Itamar und ich auch angeklagt wurden, wir hätten Soldaten bedroht, beleidigt und angegriffen. Gegen acht Uhr abends wurden wir nach Hause entlassen. Es war schockierend so brutal angegriffen zu werden, während wir sangen und uns umarmten. Die Soldaten schrieen uns an, schüttelten und stießen uns . Wir waren schockiert, als wir hörten, die Armee hätte das Boot friedlich übernommen.

 

Eine  große Gruppe israelischer Medien auch Leute von Reuters und einige andere warteten auf uns außerhalb der Polizeistation. Wir beantworteten ihre Fragen. Dann nahm Reuven seine Mundharmonika heraus und spielte ein wunderschönes jüdisches Lied über Leute, die dem Frieden nachjagen.  Jeder schloss sich unserm Kreis an und wir sangen zusammen. Einige Leute, die vorbeigingen, schrieen „Tod den Arabern“.
Wenn wir nicht Juden und Israelis gewesen wären, hätten wir viel weniger  die Chance gehabt, hier lebendig herauszukommen.
Ich grüße alle und danke allen, die uns in vieler Weise unterstützt haben.

 

PS. Yonatan wurde nach dem Elektroschuss keine medizinische Behandlung angeboten. Sie wurden gegen eine Kaution von 5000 NIS entlassen, um  noch einmal zu einem Verhör oder einer Gerichtsverhandlung zu kommen. Es ist unklar, ob Anklage gegen sie erhoben werden wird.

 

Yosh Kosminsky