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Bald steuert eine größere und stärkere Armada nach Gaza


1. Oktober 2010

von Henning Mankell

Ich hoffe, dass heute, am 27. September 2010, das Wetter südlich von Zypern, nicht zu stürmisch wird. Dort, irgendwo in internationalen Gewässern, ist ein Katamaran Richtung Israels Küste unterwegs. Besser gesagt, der Katamaran segelt Richtung Gazastreifen – der Teil palästinensischen Gebiets – der der israelischen Blockade ausgesetzt ist.

 

An Bord des Katamarans befinden sich Juden, die sich gegen die Blockade wenden und eine friedliche Lösung des Problems anstreben. (Ich weiß jetzt, dass es viele Israelis gibt, die  behaupten werden, dass es “selbsthassende” Juden sind, die nicht ihr eigenes Bestes wissen. Ich dagegen glaube fest daran, dass sie sensibel genug sind um zu erkennen, dass das, was  sie tun, notwendig ist um ein zukünftiges Blutbad zu verhindern.)

 

Vor vier Monaten war ich in diesen Gewässern. Ich befand mich auf dem griechisch/schwedischen Frachter “Sofia”. Er war in seetüchtigem Zustand, aber nicht viel mehr. Wir waren Teil der ersten Armada, die mit friedlichen Mitteln versuchte, die illegale und unmenschliche Blockade der gefangenen Palästinenser in Gaza zu brechen. An Bord hatten wir so ziemlich alles. Entsalzungsanlagen, Medikamente usw. – außer Waffen.

 

Ich muss nicht wiederholen, was in der Nacht Ende Mai passierte. Inzwischen ist es weltweit bekannt. In internationalen Gewässern, weit entfernt von der israelischen Küste, schlug die
israelische Armee, hart und rücksichtslos, mit Kampfhubschraubern, Kriegsmarine und Kommandosoldaten zu. Die Wahrheit was passiert ist, ist unwiderlegbar: Hätten die Israelis nur die Armada stoppen wollen, so wäre das sehr leicht gewesen. Durch Werfen von Ketten um Ruder und Propeller – und die Schiffe hätten anhalten müssen. Punkt. Ende der Durchsage. Aber Israel entschied sich für die gewalttätige Attacke. Dass es nachher behauptete, die israelischen Soldaten wären gezwungen gewesen sich zu verteidigen, ist eine
lächerliche Lüge. Wer griff wen an? Wer war es, der friedlich in internationalen Gewässern segelte? Die Antwort ergibt sich von selbst. Nicht einmal die Israelis selbst haben Kraft und Ausdauer genug, um die Lüge von der Selbstverteidigung aufrechtzuerhalten.

 

Besonders jetzt nicht, nachdem der gerade veröffentlichten UN-Bericht, von einer “Gewalt der Sonderklasse, was die Brutalität und Proportionen angeht”, spricht. Ähnliche Bezeichnungen in einem UN-Bericht, hat es kaum je gegeben.

 

Neun Menschen sind in jener Nacht getötet worden. Israel wählte eine völlig fehlgeschlagene Strategie. Idiotisch und zynisch, um Klartext zu reden. Die weltweiten Reaktionen waren
gewaltig. Heute befindet sich Israel auf dem Rückzug.

 

Noch ist nichts entschieden, die Blockade dauert an. Auch die israelischen Argumente sind dieselben wie früher: Raketen werden von Gaza auf Israel abgefeuert. Israel hat das Recht
sich zu verteidigen.

 

In diesem Argument liegt der entscheidende Punkt: Man kann bei seiner Argumentation vom Raketenbeschuss ausgehen, ohne die Frage zu stellen: was passierte vorher? Gibt es keine
Vorgeschichte? Was passierte im Zusammenhang mit der Ausrufung des israelischen Staates 1948? Was passierte mit allen aufgezwungenen Vertreibungen? Wer berichtet darüber, dass vor den Raketen die von Gaza nach Israel abgefeuert wurden, die Palästinenser ständigen Angriffen von Israel ausgesetzt waren. Sind es nur die Israelis die ein Recht haben sich zu  verteidigen? Mit modernsten Waffen aus den USA gegen außerordentlich unmoderne  Waffen der Palästinenser? Wie viele Palästinenser wurden während des letzten  Gaza-Krieges getötet? 1.400 Personen. Wie viele Israelis wurden von palästinensischen Raketen getötet? 4 Personen?

 

Ich habe diesen Sommer versucht die Geschichte gründlicher zu studieren, als ich es bislang getan hatte, um sie besser zu verstehen. Man kann sagen, eine Art der selbstkritischen Prüfung. Ich habe es bisher nicht richtig geschafft, meine Argumente gegen die, wie ich meine, unverantwortliche israelische Verteidigung der Blockade Gazas mit vollständigen Fakten untermauern zu können.

 

Heute kann ich es und argumentiere folgendermaßen.

 

Heute läuft die Zeit des Baustopps für jüdische Siedlungen im Westjordanland aus. Verzweifelte Versuche der palästinensischen und US-amerikanischen Seite, den Baustopp zu verlängern, werden gemacht. Aber es wird nicht gelingen. Das wissen die USA. Die Frage

 

ist, ob es sie wirklich kümmert. Wenn man von diesem Ausgangspunkt die Friedensverhandlungen beginnt, sind sie bereits vom Start an zum Scheitern verurteilt. Warum? Weil man Hamas von den Verhandlungen ausgeschlossen hat. Man scheint vergessen zu haben , dass Hamas nicht eine Einheit ist, sondern aus unterschiedlichen “Fraktionen” besteht, wie man es in der diplomatischen Sprache ausdrückt. Da gibt es gewiss eine Phalanx, die Israel vernichten will, mit der muss man ja nicht verhandeln. Es gibt aber auch andere innerhalb der Hamas die einen Dialog wollen und zu Gesprächen bereit sind. Wenn man diese Gruppen ausschließt, hat man den Verhandlungen die Grundlage entzogen. Das ist für mich pure Heuchelei.

 

So, was wird eintreffen? Ich für meinen Teil sehe kein anderes Resultat, als dass sich die Kluft [zwischen Israelis und Palästinensern d.Ü.] noch weiter vertiefen wird. Damit wird die Gewal weiter eskalieren. Israel ist nachweisbar der Besatzer und wird deshalb auch der Angreifer sein. Aber der Widerstand wird nicht schwächer werden. Bereits jetzt weiß ich, dass eine neue Armada, die bedeutend größer ist, vorbereitet wird. Es gibt keine Möglichkeit für Kompromisse wenn es darum geht die Blockade Gazas endgültig zu beenden. (Das bedeutet nicht, dass man sich einer Waffenkontrolle widersetzt. Das sind zwei ganz
unterschiedliche Fragen.)

 

Die Frage ist, wie weitsichtig die israelische Bevölkerung und deren Regierung ist. Wenn ich bedenke, dass sich immer mehr Israelis bei mir melden, die sich gegen den “andauerenden
Wahnsinn” Israels wenden, glaube ich, dass die öffentliche Meinung in Israel gegen die Unterdrückung der Palästinenser zunehmen wird. Sicher, im Augenblick sind die Rechten stark in Israel, das wird sich aber, meiner Meinung nach, ändern. Noch ist die endgültige Katastrophe ein Stück weit weg. Noch ist Zeit zum Handeln. Aber  nicht unendlich viel.

 

Henning Mankell

 

 

Im schwedischen Original:
<http://svtdebatt.se/2010/09/snart-styr-en-storre-och-starkare-armada-mot-gazas-hamn/>,