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„Warum hat nur Israel das Recht auf Existenz und nicht auch Palästina?“


8. September 2010

Die nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete der „Linken“ Bärbel Beuermann besuchte Ende Juli im Rahmen von „Sumud“, einer Hilfsorganisation in Unterstützung des Widerstands, Ain el Hilweh, das größte palästinensischen Flüchtlingslager des Libanon.

 

 

Die nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete der „Linken“ Bärbel Beuermann besuchte Ende Juli im Rahmen von „Sumud“, einer Hilfsorganisation in Unterstützung des Widerstands, Ain el Hilweh, das größte palästinensischen Flüchtlingslager des Libanon.

Was war Ihre Motivation an Sumud 2010 teilzunehmen?

 

Ich habe Kollegen und Kolleginnen auf dem „Free Gaza“ Schiff gehabt, das von den Israelis gestürmt wurde. Danach gab es Demonstrationen in verschiedenen Städten in Westdeutschland. Ich habe auf einer derselben in Duisburg gesprochen und dabei auch den Kontakt zu Sumud bekommen. Das was die Kollegen auf den Schiffen nicht zuende bringen konnten, nämlich die Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen, das wollte ich auf anderem Wege erreichen. Ich wollte das Leben in den Camps selber erleben und mir auch klar werden, was das vor allen Dingen für die Kinder bedeutet.

 

Sie haben die Realität der palästinensischen Flüchtlinge im Lager gesehen. Entsprach das was Sie gesehen haben Ihren Erwartungen?

 

In keiner Weise. Das habe ich mir so überhaupt nicht vorgestellt. Diese Enge, dieses „Aufeinander leben“, diese Angst tagtäglich. Dann dieser Druck, der durch das Passieren des Checkpoints zum Camp auf den Menschen lastet. Diese Unmöglichkeit ein kulturelles Leben zu führen. Ich glaube, dass sich das so auch niemand vorstellen kann, der die Situation oder die angebliche Situation in den Flüchtlingscamps nur über die Medien vermittelt bekommt.

 

Sie trafen sich mit Vertretern der palästinensischen Organisationen im Lager. Haben sie einen gemeinsamen Nenner unter diesen wahrgenommen?

 

Alle diese Organisationen haben eins gemeinsam: Sie wollen endlich Frieden, sie wollen ihr eigenes Land zurückhaben und sie möchten auch, dass Gespräche geführt werden. Mit anderen Worten sie wünschen, dass die Menschen endlich in Würde auf und in ihrem eigenen Land leben können.

 

 

Wissen Sie, dass die meisten dieser Organisationen auf der europäischen „Terror-Liste“ stehen?

 

Ja, ich war auch verwundert, als ich von dieser sogenannten „Terror-Liste“ gehört habe. Da sollten sich alle die Frage stellen, wenn Menschen für ihr humanitäres Recht, für ihre Sprache kämpfen, aber auch vor allen Dingen dafür, dass sie auf ihrem „alten“ Land, auf dem Land, das ihren Familien gehört, leben, warum stehen sie dann auf dieser „Terror-Liste“?

 

Sie fliegen in der Folge nach Kairo und dann in den Irak. Was ist das Ziel Ihrer Reise?

 

Hier im Libanon möchte ich mir ein Bild davon machen, wie das Leben in den Camps ist. Vor allen Dingen auch, wie die gesundheitliche Versorgung ist bzw. wie sie zum Teil überhaupt nicht durchgeführt werden kann. Wir haben im Krankenhaus in Ein el Hilweh festgestellt, dass die Ersthelfer das alles selbst organisieren müssen, dass es zum Teil auf Freiwilligenarbeit beruht.

 

In Kairo werde ich mich mit Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen treffen, die maßgeblich die Arbeiterstreiks der vergangenen Zeit mitorganisiert haben. Dort werden wir uns darüber austauschen, wie die aktuelle Situation der Menschen ist, die in einer Gewerkschaft tätig werden wollen und müssen, weil sie für die Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eintreten. Und ich werde mich dort mit Globalisierungskritikern treffen.

 

In der Türkei werde ich mit Arbeitern und Arbeiterinnen des weltweiten Paketservice UPS zusammenkommen, denn UPS behindert auch die Gründung von Betriebsräten. Kolleginnen und Kollegen, die Gewerkschaften beitreten wollen, sind Sanktionen ausgesetzt.

 

Dann führt mich meine Reise weiter mit einem Europa-Abgeordneten und einer Bundestagsabgeordneten nach Diyarbakir. Dort sind seit mehreren Monaten mehr als 1000 Kinder inhaftiert. Ebenso werden wir versuchen mit dem Stellvertreter der Menschenrechtsorganisation IHD Kontakt aufzunehmen. Er ist auch seit Monaten inhaftiert.

 

Was ist der Zusammenhang zwischen all den Ländern des Nahen Ostens?

 

Es ist die Menschenrechtsfrage, die Identität des eigenen Volkes und vor allen Dingen hat es auch mit dem Kapitalismus zu tun. Schauen wir uns Ägypten an. Dort streiten Menschen für ihre Arbeitnehmerrechte, schauen wir uns die Türkei an, dort streiten Menschen für ihre Arbeitnehmerrechte. Schauen wir uns Kurdistan an, dort werden Menschen inhaftiert, weil ihnen Verboten wird ihre eigene Sprache zu sprechen. Aber schauen wir uns aktuell den Libanon und vor allen Dingen die Camps an. In den Camps leben Menschen, die nicht auf ihrem „alten“, das heißt auf ihrem eigenen Land leben dürfen.

 

Was für eine Bedeutung hat die Palästina-Frage für Sie in Deutschland?

 

Ich glaube, dass diese Frage durchaus in Zusammenhang mit der Politik der deutschen Bundesregierung steht, denn soweit mir bekannt ist, hat sich die deutsche Bundesregierung noch nie direkt dafür ausgesprochen, dass das palästinensische Volk das eigene Land zurückerhalten soll. Meines Wissens nach hat sich diese Bundesregierung und auch die letzte Bundesregierung noch nie offiziell dazu geäußert, wenn Israel Übergriffe auf palästinensische Lager getätigt hat.

 

Welche Konsequenzen haben Sie als Politikerin aus dieser Reise gezogen?

 

Ich bin traurig, ich bin entsetzt, wie die Welt wegschauen kann. Aber ich bin auch dankbar, dass es Organisationen wie Nashet [die lokale Partnerorganisation von Sumud mit linkem Hintergrund] gibt, die aktiv in den Lagern tätig sind, die sich aktiv dafür einsetzen, dass junge Menschen eine Anlaufstelle bekommen. Dass junge Menschen Bildung erleben dürfen, dass junge Menschen Kultur erleben dürfen. Was mich aber auch neben dieser Dankbarkeit mit Stolz erfüllt, dass ich Menschen kennen lernen durfte, die Nashet und Sumud aktiv teilweise mit Geldspenden, aber auch mit ihrer Arbeit in den Camps unterstützen. Und da sollte sich jede Regierung in Europa die Frage stellen, warum müssen es private Hilfsorganisationen sein, warum ist es nicht auch möglich, dass europäische Mittel fließen. Und die nächste Frage die wir uns stellen müssen ist, warum muss es überhaupt Lager geben?

 

Was ist Ihre Position zum Einsatz der deutschen Marine vor der libanesischen Küste?

 

Ich möchte eine Gegenfrage stellen: Was verteidigt die deutsche Marine vor der libanesischen Küste? Ich wüsste nicht, dass wir hier eine deutsche Enklave an der Küste hätten.

 

Die Bundeskanzlerin Merkel sagt in einem Statement zum Einsatz der Marine: „Wir verteidigen am Mittelmeer das Existenzrecht Israels.“

 

Wenn Frau Merkel als Bundeskanzlerin meint, das Recht Israels verteidigen zu müssen, dann muss sie sich die Frage gefallen lassen, warum nur das israelische und nicht das Recht der Palästinenser?

 

Als Lösung für die Palästinafrage wird seit 20 Jahren über zwei Staaten verhandelt. Diese Formel scheint gescheitert. Im Moment wird über einen demokratischen, säkularen Staat im gesamten Land gesprochen.

 

Die Zwei-Staaten-Lösung ist eine ganz alte Frage in der Friedensbewegung, der ich in meiner Heimatstadt Herne angehöre. Ich glaube, dass zwei Staaten die beste Lösung wären, um dem Nahen Osten Frieden zu bringen. Aber dann in den alten Grenzen. Man sollte versuchen, die Verhandlungspartner wieder an den Tisch zu kriegen. Ich glaube, wenn man tatsächlich Frieden will, darf man solche Verhandlungen nicht leichtfertig über Bord werfen.

 

Wen sehen Sie als Verhandlungspartner dazu? Die gewählte palästinensische Regierung?

 

Wir müssen alle Partner und Partnerinnen und ich spreche jetzt ganz speziell Frauen an, mit an den Tisch holen, denn es gibt die UN-Resolution 1325, dass Frauen in Kriegs- und Krisengebieten in allen Konfliktsituationen mit eingebunden werden sollen. Denn oft werden auch Dinge verhandelt, die an den Rechten und Bedürfnissen der Frauen vorbei gehen.

 

Was war Ihr Eindruck von Sumud, dem Workshop und den Treffen im Lager?

 

Fantastisch, wirklich fantastisch. Ich bin zum ersten Mal im Libanon gewesen und habe sehr unter der Hitze gelitten. Aber das Zusammenfinden, dann das Zusammenarbeiten der Sumud-Delegation und der Nashet-Mitglieder im Camp hat mich fasziniert, beeindruckt und auch dankbar gemacht, dass ich das miterleben durfte.

 

Können Sie sich weitere Kooperationen bzw. Einzelprojekte gemeinsam mit Sumud und Nashet vorstellen?

 

Ja, auf jeden Fall. Vor allem spielt für mich als Lehrerin die Bildung eine Rolle, aber auch die Kultur darf nicht verloren gehen. Und noch einmal, was mich bestürzt hat, ist die Gesundheitssituation im Camp. Es geht doch nicht an, dass wirklich todkranke Menschen hin und her gefahren werden müssen, dass es keine Funkgeräte gibt, dass die Kolleginnen und Kollegen des Einsatz-Teams ihre privaten Handys benutzen müssen, um nachzufragen, wo es noch Platz in einem Krankenhaus außerhalb des Camps gibt. Das sind menschenunwürdige Verhältnisse und die müssen einfach geändert werden. Das wäre für mich ein Ansatzpunkt: Bildung, Kultur, aber z.B. auch so elementare Dinge wie Funkgeräte für die Einsatzkräfte.

 

Anna-Maria Steiner und Mohamed Aburous