aus “Junge Welt”, 12. 6. 10, Interview: Umberto De Giovannangeli, Ein Gespräch mit Ismail Hanija
Die Anerkennung des Staates Israel durch die Hamas kann nur das Ergebnis von Verhandlungen sein.
Ismail Hanija ist Ministerpräsident der Gaza-Regierung und führendes Mitglied der Hamas
Israel hat bekräftigt, daß es einen Bruch der Gaza-Blockade mit allen Mitteln verhindern werde – was die Streitkräfte am 31. Mai mit dem Überfall auf Hilfsschiffe unter Beweis gestellt haben. Wie lautet die Antwort der Hamas?
Es ist die Antwort eines jeden Palästinensers, der nicht die Absicht hat, vor Leuten zu kapitulieren, die Staatsterrorismus zu ihrer Politik machen. Internationale Untersuchungen haben die von den israelischen Streitkräften im Krieg gegen Gaza im Dezember 2008 und Januar 2009 begangenen Verbrechen zwar dokumentiert – verantworten für diese Verbrechen muß sich aber niemand. Israel genießt weiterhin absolute Straffreiheit! Mißbilligungen oder Mäßigungsappelle nutzen überhaupt nichts. Genausowenig wie Palästina durch Worte befreit wird …
Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas hat den Überfall auf die »Freedom-Flottille« ebenfalls als Staatsterrorismus bezeichnet …
Er muß allerdings auch die Konsequenzen daraus ziehen und Taten folgen lassen.
Welche wären das?
Alle Verhandlungen – direkte wie indirekte – mit Israel abzubrechen. Es hat keinen Sinn, mit Leuten zu reden, die nur die Sprache der Gewalt kennen.
Ihre Hamas war rhetorisch aber auch nie zimperlich …
Das Recht auf Widerstand wird von der Genfer Konvention gewährt. Die USA und Europa tun aber oft so, als ob sie sich nicht daran erinnerten, daß die Blockade des Gazastreifens von Israel verhängt wurde, nachdem die Hamas die ersten freien Wahlen in den besetzten Gebieten gewonnen hatte. Unsere Regierung ist durch das Wählervotum legitimiert!
Israel hat das allerdings wenig interessiert. Die Bevölkerung von Gaza sollte für diese Wahlentscheidung bestraft werden, indem sie ausgehungert und Gaza in ein Gefängnis unter freiem Himmel verwandelt wird. Wenn der Begriff »Gerechtigkeit« noch einen Inhalt besitzt, müßte die internationale Gemeinschaft Israel zur Beendigung des Embargos zwingen.
Abbas will aber die indirekten Verhandlungen fortsetzen.
Das wäre schlimm, vor allem jetzt. Der Widerstand braucht Einheit und keine Entscheidungen, die spalten.
Es gibt Stimmen, die behaupten, daß Israel der Hamas mit dem Überfall auf die Friedensschiffe ein Geschenk gemacht habe. Was erwidern Sie darauf?
Das ist würdeloser Zynismus, eine Beleidigung der Opfer der israelischen Piraterie. Nur diejenigen, die Gaza vergessen haben, konnten sich über das Verhalten der Israelis wundern. Deren Arroganz kennt keine Grenzen.
Auch jene, die es für falsch hielten, die Hamas vom Friedensprozeß auszuschließen, fordern ein Entgegenkommen von Ihrer Seite– nämlich die Anerkennung des Staates Israel. Wie steht es damit?
Das ist so, als fordere man vom Opfer, seinen Peiniger anzuerkennen und zu legitimieren. Anerkennung kann aber nur das Ergebnis von Verhandlungen sein und nicht ihre Vorbedingung. Die Hamas ist bereit, eine langfristige Waffenruhe mit Israel auszuhandeln – unter der Bedingung, daß die Abriegelung des Gazastreifens und die Kolonisierung der besetzten palästinensischen Gebiete inklusive Jerusalems beendet werden. Das ist auch unsere Forderung.
Israel hat Teilnehmer und Organisatoren der »Freedom-Flottille« als »Hamas-Freunde« gebrandmarkt. Was sagen Sie dazu?
Die israelische Propaganda will sie damit kriminalisieren. Die zighundert Menschen, die mit dieser Hilfslieferung den israelischen Staatsterrorismus herausgefordert haben, taten das aber aus einem tiefen Gerechtigkeits- und Solidaritätsgefühl gegenüber einer unterdrückten Bevölkerung. Sie haben die israelische Armee herausgefordert, deshalb sehen wir sie als Helden.
Sie haben die internationale Gemeinschaft aufgefordert zu handeln, damit das Gaza-Embargo beendet wird. Wäre die Hamas bereit, eine Blauhelmtruppe an den Grenzen zwischen Israel und dem Gazastreifen zu akzeptieren?
Eine solche Möglichkeit würden wir nicht zurückweisen. Sie muß diskutiert werden, und es muß geklärt werden, welches Ziel sie verfolgt und wer das Kommando hat …
Könnte die im Südlibanon stationierte UNIFIL ein Bezugsmodell sein?
Ja, durchaus.