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Israel/Palästina: Anat Kam: Spionin oder Whistleblower?


22. April 2010

Die dunkle Seite des Hochsicherheitsstaats Israel

In Israel wird um das Leben der 23 Jahre alten Anat Kam verhandelt. Die Forderung des Staates ist, sie lebenslänglich dafür einzusperren, dass sie dem israelischen Reporter Uri Blau von der liberalen Tageszeitung Haaretz geheime Dokumente weitergegeben hat. Sie ist angeklagt wegen Spionage.

 

Blau selbst verbirgt sich in London – ihn erwartet, wenn nicht ein
Mordkommando des Mossad, so zumindest die grössten Anstrengungen der israelischen Sicherheitsdienste, ihn nach Israel zurückzubringen.

 

Diese Geschichte läuft seit dem vergangenen Dezember, als Anat Kam im Zuge des Verfahrens unter Hausarrest gestellt wurde, aber kein Wort über diese Angelegenheit drang bisher in Israel an die Öffentlichkeit. Erst nachdem Blogger im Ausland die Einschränkungen der Sicherheitsdienste nutzlos gemacht hatten (auf hebräischen Seiten auf Facebook war bereits die ganze Geschichte zu finden) waren diese gezwungen, ihren Kurs zu ändern

 

Welche Verbrechen haben Kam und Blau begangen? Während ihres Militärdienstes kopierte Anat Kam möglicherweise hunderte von Armeedokumenten, die systematische Verbrechen des israelischen Oberkommandos in den okkupierten palaestinensischen Territorien enthüllten, einschliesslich Befehlen, Gerichtsurteile zu ignorieren.

 

Sie arbeitete zu der Zeit im Büro von Brigadegeneral Yair Naveh, der das Kommando über die Operationen in der West Bank führt.

 

Uri Blaus Verbrechen besteht darin, dass er eine Serie von Artikeln auf der Grundlage dieser Informationen veröffentlichte, die hohe israelische Offiziere sehr in Verlegenheit brachten, weil sie deren Verachtung für den Rechtsstaat zeigen. Die Berichte zeigten, dass das Oberkommando genehmigt hatte, bei den militärischen Mordaktionen (“aussergerichtlichen Tötungen”) in den okkupierten Gebieten anwesende Palaestinenser abzuknallen; dass entgegen einer Verpflichtung gegenüber dem Obersten Gerichtshof die Armee Befehle erteilt hatte, gesuchte Palästinenser umzubringen, auch wenn sie sicher festgenommen werden hätten können; und dass das Verteidigungsministerium in einem geheimen Bericht zugegebe hatte, dass die grosse Mehrheit der Siedlungen in der West Bank sogar nach israelischem Recht illegal ist (nach Internationalem Recht sind alle illegal).

 

In einem demokratischen Land hätte Anat Kam eine ehrenvolle
Verteidigung gegen die Anklage und würde eher als Whistleblower (Aufdeckerin illegaler Aktivitäten) behandelt denn als Spionin, und Uri Blau würde Journalismuspreise bekommen, statt sich im Exil verstecken zu müssen. Aber es gibt fast keine öffentliche Sympathie für Anat Kam oder gar Uri Blau. Die beiden werden bereits von Politikern und in Chat- und Diskussionsforen als Verräter bezeichnet, die eingesperrt gehören, verschwinden oder hingerichtet werden sollten für das Verbrechen der Gefährdung des Staates.

 

Ein Vergleich mit Mordechai Vanunu, dem ehemaligen Techniker in der Dimona Atomfabrik, der Israels Atomwaffenarsenal aufgedeckt hatte, liegt nahe. In Israel wird er bis heute allgemein abgelehnt, nachdem er fast zwei Jahrzehnte in verschärfter Haft verbracht hat. Er steht noch immer unter Hausarrest und darf das Land nicht verlassen. Uri Blau und Anat Uri Blau und Anat Kam haben jeden Grund anzunehmen, dass  ihnen ein ähnliches Schicksal bevorsteht. Yuval Diskin, der Chef des Shin Bet, Israels Geheimpolizei, die die Untersuchung durchgeführt hat, sagte gestern, sie wären bisher “mit den Medien zu sensibel umgegangen” bei der Verfolgung der Angelegenheit und dass Shin Bet jetzt “die Handschuhe ablegen wird.” Vielleicht erklärt das, warum Anat Kams Wohnadresse noch immer sichtbar war auf der Anklageschrift, die veröffentlicht wurde, wodurch ihr Leben in Gefahr ist. Das zeigt, dass die Warnungen, die wir von Shin Bet bezüglich seiner Tätigkeit  hatten, nicht aus der Luft gegriffen waren.

 

Wie Blau lebt Azmi Bishara, ehemals Anführer einer führenden
arabischen Partei in Israel, heute im Exil, nachdem ihn Shin Bet aufs Korn genommen hatte. Er hatte für demokratische Reformen geworben, die Israel zu einem “Staat aller seiner Bürger” statt zu einem jüdischen Staat machen sollten.

 

Während er 2007 im Ausland war, gab Shin Bet bekannt, er würde nach seiner Rückkehr vor Gericht gestellt, weil er angeblich während Israels Überfall auf den Libanon 2006 Kontakte mit Hezbollah hatte.

 

 

Wenige Experten glauben, dass Bishara irgendwelche nützlichen
Informationen für Hezbollah hätte haben können, aber die
Arbeitsweise von Shin Bet wurden später von Diskin enthüllt. Es sei Aufgabe des Shin Bet, sagte er, den Aktivitäten von Gruppen oder Individuen entgegenzuwirken, die den jüdischen Charakter des Staates bedrohten, “auch wenn solche Aktivitäten vom Gesetz erlaubt sind.”

 

Die Führer von Israels massiver Sicherheitsindustrie wollen ihre
Privilegien in einem Hochsicherheitsstaat dadurch schützen, dass sie die Zeugen ihrer Verbrechen zum Schweigen bringen und die einfachen Bürger in Unwissenheit halten. Indem er seine Entscheidung, im Fall von Anat Kam und Uri Blau “die Handschuhe abzulegen” rechtfertigte, sagte Diskin: “Es ist der Traum jedes Staatsfeindes, diese Art von Dokumenten in die Hand zu bekommen” – man beachte, dass es hier um Dokumente geht, die belegen, dass die israelische Armee wiederholt die Gesetze des Landes gebrochen hatte.

 

Die beiden Richter, die die Maulkorberlaesse überwachten, um jede Diskussion dieses Falles in den Medien zu unterbinden, taten das auf die Behauptung des Shin Bet hin, dass wesentliche nationale Sicherheitsinteressen auf dem Spiel standen. Beide Richter sind getreue Anhänger der israelischen Sicherheitsindustrie.

 

Einat Ron wurde zur Zivilrichterin bestellt, nachdem sie Karriere als Militärjuristin gemacht und dort der Okkupation einen legalen
Anstrich verpasst hatte. 2003, als sie militärische Chefanklägerin
war, schlug sie der Armee verschiedene Methoden vor, die Tötung des 11 Jahre alten palaestinensischen Buben Khalil al-Mughrabi zu vertuschen. Ihre Rolle kam nur ans Licht, weil ein geheimer Bericht über den Tod des Buben irrtuemlich einem Brief der Armee an eine israelische Menschenrechtsgruppe beigefügt wurde.

 

Der andere Richter ist Ze´ev Hammer, der diese Woche endlich den Maulkorberlass aufhob – aber nur nachdem die vormalige Richterin des Obersten Gerichtshofs Dalia Dorner, jetzt Leiterin des israelischen Presserats, diesen nachträglich mit Hohn überhäufte. Sie argumentierte, dass durch die Diskussion ausserhalb Israels die Welt den Eindruck bekam, dass Israel sich über demokratische Normen hinwegsetzte.

 

In seinem Artikel in Haaretz sagte Uri Blau, er sei gewarnt worden, “dass wenn ich nach Israel zurück komme, ich für immer zum Schweigen gebracht werden könnte, und ich würde angeklagt wegen Verbrechen, die mit Spionage in Zusammenhang stehen.” Er folgerte daraus, dass “das nicht nur ein Kampf um meine persönliche Freiheit ist, sondern einer um Israels Image.”

 

(Jonathan Cook/Ue: antikrieg.com/gek.)

 

Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2010_04_11_diedunkleseite.htm

 

Engl. Originaltext:
http://original.antiwar.com/cook/2010/04/09/the-dark-underbelly-of-israels-s
ecurity-state/