Eine israelische Organisation kämpft gegen die Zerstörung der Häuser von Palästinensern. Gespräch mit Yahav Zohar
Junge Welt”, 25. 2. 10
Woche für Woche läßt die israelische Regierung Häuser von Palästinensern zerstören. Wie wird das begründet?
Mit fehlenden Baulizenzen. Die werden allerdings nur ganz selten erteilt, 94 Prozent der Anträge werden abgelehnt. Die Palästinenser sehen sich aufgrund des natürlichen Bevölkerungswachstums gezwungen, Häuser auch ohne Lizenz zu bauen. Oft werden die dann zerstört, um jüdische Siedlungen oder Straßen zu bauen oder Platz für Armeestützpunkte zu schaffen. Die Zerstörungen gehen meist mit einem großen Militäraufgebot und Einsatz von Gewalt einher.
Wieviele Häuser etwa werden durch die israelische Regierung jährlich zerstört?
Hunderte. In Ostjerusalem im Schnitt 80, in der Westbank 200. Die Kosten für die Zerstörung werden den Besitzern auch noch in Rechnung gestellt! Noch viel mehr Häuser wurden in militärischen Operationen wie beispielsweise bei der Bombardierung von Gaza zerstört.
Solche Zerstörungen bedeuten wohl immer auch, daß das Leben der betroffenen Familien stark erschüttert wird?
Ja, es ist hart für sie, aber am allerhärtesten ist es für die Kinder. Sie haben Alpträume, werden zu Bettnässern, sie verlieren das Vertrauen, daß ihre Eltern sie beschützen können, ihre Schulleistungen lassen nach. Eine Studie des Psychologen Eyad Sarraj besagt, daß 50 Prozent der Selbstmordattentäter als Kinder Hauszerstörungen miterlebt haben.
Was kann Ihr Komitee tun, um Häuserzerstörungen zu verhindern?
Nicht sehr viel. Wenn wir rechtzeitig da sind, stellen wir uns zwischen das Haus und die Planierraupe. Oder wir versuchen, von Gerichten eine einstweilige Anordnung zu erreichen, um die Zerstörung zu verzögern. Oft haben wir damit keinen Erfolg, manchmal aber schon. Wir haben rund 200 Häuser in den vergangenen beiden Jahren wieder aufgebaut, während 1000 zerstört wurden.
Wie groß ist Ihre Organisation?
Sehr klein, wir haben nur vier oder fünf Angestellte, aber wir haben eine Liste von Freiwilligen, die schnell telefonisch benachrichtigt werden, wenn wir von einer Hauszerstörung erfahren. Manchmal kommen nur einige wenige, manchmal Dutzende Menschen, in seltenen Fällen auch hundert.
Produkte israelischer Firmen, die in den besetzten Gebieten hergestellt werden, werden unter Verletzung des Völkerrechts in Deutschland verkauft, am bekanntesten ist ein Haushaltsgerät zur Herstellung von Sprudelwasser der Firma Soda-Club. Raten Sie zum Boykott solcher Produkte, um das Unrecht der Besatzung bewußter zu machen?
Ja. Der erste Schritt sollten Produkte von Soda-Club sein, die von der Firma Britta hier importiert werden. Man sollte aber auch auf Unternehmen zielen, die in Deutschland und in der Westbank tätig sind, wie die Firma Veolia, die Dienstleistungen in deutschen Städten und in israelischen Siedlungen erbringt. Außerdem Gemüse und Obst, das in deutsche Läden kommt. Und dann sollten Unternehmen, die Waffen exportieren wie Blohm & Voss und andere, unter Druck gesetzt werden, Waffenlieferungen für die israelische Besatzung nicht fortzusetzen.
Der US-Wissenschaftler Norman Finkelstein meint, Deutschland mache sich durch seine fast bedingungslose Unterstützung Israels mitschuldig am Unrecht an den Palästinensern. Finkelstein hat gerade eine Vortragsreise nach Deutschland abgesagt, weil mehrere Organisationen, darunter die Heinrich-Böll-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung, ihm zugesagte Räume wieder entzogen. Sind Finkelsteins Thesen zu unbequem?
Norman Finkelstein ist nur das jüngste Beispiel, vor ihm gab es Ilan Pappe und andere. Das erinnert an die McCarthy-Ära in den USA. Hier wird Kritik unter Verwendung des Vorwurfs des Antisemitismus oder in diesem Fall des »selbsthassenden Juden« unterdrückt. Man behauptet das einfach und vermeidet damit jede wirkliche Diskussion. Ich finde es erstaunlich, daß es so etwas in Deutschland stattfindet, das ist eine Gefahr für die Demokratie. Wem an der Demokratie liegt, sollte etwas dagegen tun.