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Offener Brief an Rektor Winckler


1. Juni 2009

bzgl. der Absage des Vortrags von Professor Norman Finkelstein an der Wiener Universität, 29. Mai 2009

Seine Magnifizenz

Rektor Univ. Prof. Dr. Georg Winckler

Universität Wien

Georg.winckler@univie.ac.at

 

Betr.: Absage des Vortrags von Professor Norman Finkelstein an der Wiener Universität

 

Eure Magnifizenz, sehr geehrter Herr Professor Dr. Winckler:

Ich habe den von Dr. Ruth Contreras und Dr. Wolfgang Neugebauer an Sie
adressierten Brief bezüglich des Vortrags, den Professor Norman Finkelstein an der Universität halten sollte, gelesen und nehme an, dass dieser Brief und möglicherweise einige andere von der pro-israelischen Lobby in Wien verfasste Schreiben ähnlichen Inhalts der Grund für die Rückgängigmachung der Reservierung des Hörsaal C1 im Universitätscampus (Altes AKH) für den 27. Mai 2009 war. Diese Entscheidung wurde ungeachtet der Tatsache getroffen, dass bereits ein Vertrag abgeschlossen und die Zahlung erfolgt war.

 

Als Mitglied von zwei jener Gruppen, die diesen Vortrag von einem der anerkannten, renommierten US-amerikanischen Politikwissenschafter auf dem Gebiet des israelisch-palästinensischen Konflikts gesponsert haben, bin ich über die Entscheidung der Universität Wien schockiert, diese akademische Debatte zu unterbinden und die Meinungsfreiheit aufgrund des durch die pro-israelische Lobby in Wien ausgeübten Drucks zu verhindern.

 

Es ist genau diese Taktik, die Norman Finkelstein in seinem Buch „Antisemitismus als politische Waffe: Israel, Amerika und der Missbrauch der Geschichte“ („Beyond Chutzpah: The Misuse of Anti-Semitism and Abuse of History“) beschreibt und erinnert an die skandalöse Absage des in der Freud-Gesellschaft geplanten Vortrags des prominenten palästinensischen Intellektuellen Edward Said, der über Freuds Einfluss außerhalb Europas sprechen sollte.

 

Es wurde nicht nur Druck auf die Universität ausgeübt, um Professor Finkelstein daran zu hindern, über ein Thema zu sprechen, das für den Weltfrieden von größter Bedeutung ist: über den palästinensisch israelischen Konflikt oder, genauer gesagt, die Besetzung der palästinensischen Gebiete durch Israel, ein Konflikt, der seit Jahren die Schlagzeilen beherrscht, besonders während der Gaza-Offensive letzten Dezember und Jänner und im Libanon 2006. Professor Finkelstein wurde überdies in dem erwähnten Brief mit der Formulierung „der jüdische David Irving“ diffamiert und beleidigt. Professor Finkelsteins Buch „Antisemitismus als politische Waffe“ wurde von wirklichen Experten, unter denen einige Juden und jüdisch-israelische Wissenschafter sind, in höchsten Tönen gelobt.

 

Um nur einige zu zitieren (aus dem Englischen wiedergegeben): „Antisemitismus als politische Waffe: Israel, Amerika und der Missbrauch der Geschichte“ ist das umfassendste, systematischste und best-dokumentierte Werk auf diesem Gebiet. Es ist einer der kritischsten, rationalen und nicht-emotionalen Texte über den Alltag unter der Besatzung und den Bau israelischer Siedlungen in den palästinensischen Gebieten und zeigt in brillanter Weise, wie und warum jene, die Israel blind verteidigen und deren Argumente auf falschen Fakten und Zahlen beruhen, ihrer Sache mehr Schaden zufügen als sie ihr nützen.“ Baruch Kimmerling, George S. Wise Professor für Soziologie, Hebrew University, Jerusalem).

 

„Eine mutiges, kühnes und sorgfältig recherchiertes Buch. Ein Muss für jeden, der sich für einen gerechten und andauernden Frieden im Nahen Osten engagiert.“ Amy Goodman, Democracy Now, Gewinnerin des Right Livelihood Award 2008 (Alternativer Nobelpreis).

 

„Antisemitismus als politische Waffe“ ist eine brillante, aufschlussreiche Analyse, die aufzeigt, wie weit einige amerikanische Juden im Bestreben, Israel positiv darzustellen, gehen. Hier zeigen sich alle hervorragenden Eigenschaften, für die Finkelstein mittlerweile bekannt ist: Gelehrsamkeit, Originalität, ein sprühender Geist, sorgfältiger Umgang mit Detailfragen, intellektuelle Integrität, Mut und hervorragende juristische Kenntnisse.“ Avi Shlaim, Professor für Internationale Beziehungen, Oxford.

 

„Eine intelligente, prägnante and überzeugend begründete Analyse, der man schwer oder unmöglich etwas entgegenhalten kann.“ Sara Roy, Senior Research Scholar, Centre for Middle Eastern Studies, Harvard University.

 

„Ein hochwissenschaftliches Werk. Finkelstein hat seine Hausaufgaben erledigt und hat dabei unter großem Einsatz eine atemberaubende Bandbreite von Materialien herangezogen: Primärquellen und Dokumente, wissenschaftliche Arbeiten, alte und neue Berichte, relevante Korrespondenz und zahlreiche andere Quellen.“ Mouin Rabbani, Contributing Editor, Middle East Report.

 

„Ein sehr solides, wichtiges und höchst informatives Buch. Norman Finkelstein bietet zahlreiche Details und eine Analyse mit beachtenswerter historischer Tiefe und professioneller Recherche, die sich auf eine große Bandbreite von Themen im Zusammenhang mit Israel, den Palästinensern und den USA erstreckt.“ Noam Chomsky, Institute Professor, Massachusetts Institute of Technology.

 

Dr. Contreras und Dr. Neugebauer waren über Professor Finkelsteins Kritik an Benny Morris und Alan Dershowitz aufgebracht. Man sollte an dieser Stelle daran erinnern, dass Benny Morris, der einer der bewunderten „neuen israelischen Historiker“ war, in den letzten zwei Jahren zwei kontroverse und schockierende Interviews gegeben hat. In einem stellte er fest, dass die Juden in Israel, sogar innerhalb der Grenzen von 1967, aufgrund der demographischen Entwicklung eines Tages in der Minderheit sein würden. Die radikale Lösung, die er unterstützen würde, um dieser „demographischen Bedrohung“ – ein Ausdruck, der natürlich rassistisch ist – zu begegnen, wäre der „Transfer“ der arabischen Bevölkerung. Diese Lösung wurde bisher nur von den rechtsextremen Stimmen in Israel, wie Meir Kahane, dessen Partei in Israel vor Jahren verboten wurde, befürwortet. Mit dem neuen israelischen Außenminister Avigdor Lieberman, der offen den „Transfer“ (bzw. die Deportation) der palästinensischen Israelis gefordert hat, ist Kahane, beziehungsweise seine Ideologie, wieder salonfähig geworden.

 

Das zweite Interview erschien in der New York Times im Juli 2008: Der erste Satz lautet: „Israel wird ziemlich sicher die nuklearen Einrichtungen im Iran in den nächsten vier bis sieben Monaten angreifen – und die politische Führung in Washington und sogar in Teheran sollten hoffen, dass der Angriff erfolgreich genug sein wird, um zumindest eine signifikante Verzögerung im iranischen Programm zu bewirken, wenn schon keine völlige Zerstörung des nuklearen Programms dieses Landes…. Aber sollte Israels konventioneller Angriff nicht in der Lage sein, dem iranischen Programm einen schweren Schlag zu versetzen oder es aufzuhalten, wird der israelisch-iranische Konflikt höchstwahrscheinlich in Form eines nuklearen Krieges ausgetragen werden… .“ Morris fügte hinzu, dass Israel sogar sein eigenes Atomwaffenarsenal gegen den Iran einsetzen könnte.
Benny Morris war ein Gast bei einem von der Gruppe „Stop the Bomb“
organisierten Symposium, das letztes Jahr an der Universität Wien stattfand und an dem auch die selben „Scholars for Middle East Peace“, die im erwähnten Brief von Dr. Contreras vertreten werden, teilnahmen.

 

Was Alan Dershowitz anbelangt, so hat er vor einigen Jahren viele Menschen durch seine Unterstützung von Foltermethoden bei der Befragung von Verdächtigen schockiert, was man wohl nicht von einem Professor der Universität Harvard erwarten würde. Dershowitz ist der Verfasser des Buches „The Case for Israel“, dessen Zuverlässigkeit von Norman Finkelstein in Frage gestellt wurde. Er war einer der Verteidiger im bekannten und kontroversen Fall O. J. Simpson und davor im Mordfall Claus von Bülow.
Finkelsteins Kritik an diesen beiden Personen spricht aufgrund dieser Tatsachen wohl eher für ihn.

 

Abschließend möchte ich feststellen, dass die Weigerung der Universität Wien, Professor Finkelstein zu gestatten, einen Vortrag zu halten, eine Schande für die Freiheit der Wissenschaft, Meinungsfreiheit und die Reputation der Universität darstellt. Darf ehrliche Kritik an Israels massiven Menschenrechtsverletzungen verboten werden? Darf Israel für Verbrechen, die es in den besetzten Gebieten begeht und die als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet wurden, Immunität in Anspruch nehmen, nur weil Österreich aufgrund seiner Verantwortung für die Gräuel des Nazi-Regimes Schuldgefühle hat?

 

Außerdem ist es nicht einzusehen, dass wir Juden, die wir Israels Taten und seiner Politik kritisch gegenüberstehen mit dem Ziel, andere glauben zu machen, alle Juden seien mit Israels Politik einverstanden, mundtot gemacht werden sollen. Viele von uns sind der Meinung, dass dieses Verhalten erst recht zu einer Zunahme des Antisemitismus führen wird. Die Schwäche der Universität Wien in dieser Angelegenheit betrachte ich als beschämend.

 

Mit freundlichem Gruß,

Paula Abrams-Hourani

Gründungsmitglied, Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost

(Österreich)

www.nahostfriede.at

nahostfriede@gmx.net

Gründer, Frauen in Schwarz (Wien)

www.fraueninschwarz.at

WomenInBlack-Vienna@gmx.net