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Stellungnahme von P. Melvyn zur Ausgabe Juli 2008 der “Gemeinde”


11. August 2008

P. Melvyn ist im Personenkomitee "Gaza muss leben!" und in der "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost" aktiv

"Die Gemeinde" ist das Organ der Israelitischen Kultusgemeinde Wien


Sehr geehrte Damen/Herren der Zeitschrift "Gemeinde" !

Als Mithglied des Personenkomitees "Gaza muss leben" für die
"Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost " möchte ich
zu einigen Aussagen auf Seiten 10 und 16/17 der *Gemeinde" von Juli
2008 Stellung nehmen.

1. Zu "Vorgeschichte" : Die Kampagne "Gaza muss leben" wurde nicht
"vornehmlich" von der Antiimperialistischen Koordination (AIK)
lanciert, sondern von einem Personenkomitee. Es ging dabei nicht um
eine "Propagandaveranstaltung", sondern um eine humanitäre Aktion
und eine Petition für die leidende Bevölkerung von Gaza, jenseits
politischer Erwägungen. Ähnliche Veranstaltungen finden auch in
anderen europäischen Städten statt. Auch die EU-Kommissarin Ferrero-
Waldner und Xavier Solanas u.a. verurteilten die kollektive
Bestrafung der palästinensischen Bevölkerung. Ich weiss nicht,
aufgrund welcher informationen Sie von einer "unkritischen " Haltung
unsererseits gegenüber der Hamas sprechen, deren politisches Programm
wir übrigens ablehnen. Die Hamas kam nie zur Sprache. Vom Albert-
Schweitzer-Haus zum "Existenzrechts des Staates israel" befragt,
bejahte dies Dr.Leo Gabriel klar und deutlich.

2. Zu "Judentum als Völkermörder" : bei den Besprechungen mit dem
Albert-Schweitzer-Haus vor und nach der Absage der Veranstaltung,
wurde in meiner Anwesenheit bestätigt, dass sehr wohl – und nicht
"vermutlich" – "Druck von aussen", nämlich seitens der IKG und der
"Aktion gegen Antisemitismus" des DÖW, ausgeübt wurde. Die Direktorin
des DÖW, Frau Dr. Brigitte Bailer, gab in einem Schreiben an, dass
die Sache zwar "nie über ihren Tisch ging, aber dass es nicht
auszuschliessen sei, dass es sich um Mitarbeiter des DÖW handelte".

Ich distanziere mich von Prof.Sauers Aussage, dass "schleichender
Völkermord" mit der "Staatsideologie und -praxis des Judentums" in
Verbindung stehe, aber nicht seitens des Staates israel und seiner
Armee. ( "Judentum" und "Staat Israel" sind für mich nicht
dassselbe). Ich zitiere Shulamit Aloni, Erziehungsministerin im
Kabinett Yitzchak Rabins, die sagte : " Wir haben keine Gaskammern
und keine Krematorien, aber es gibt andere Methoden des
Völkermords." ("Haaretz," 6.Februar 2003). Der israelische
Historiker Benny Morris, einst vielgeschmäht, aber nun zu Ehren
gekommen, seit er zu einem Atomangriff auf den Iran aufrief, erklärte
jüngst, dass "Genozid zur Selbsterhaltung unter Umständen notwendig
sei". Er sagte auch, dass man die Palästinenser "in einem für sie
gebauten Käfig sperren sollte…Es ist grausam, aber wir haben keine
Wahl" (Interview mit Ari Shavit im "Haaretz"). Völkermord bedeutet ja
nicht unbedingt physische Auslöschung, sondern auch, wie im Falle der
indianer Nordamerikas, seelische Auslöschung.

Man muss keine Sympathien für die islamistische Hamas, "
Mörderbande" wie sie sie nennen, haben, um anzuerkennen, dass sie
ohne Einspruch Israels und der U.S.A. – was aufgrund des Hamas-
Charters möglich gewesen wäre – aber sie wollten sich "demokratisch"
zeigen – bei den Wahlen 2006 kandidierte und sie gewann. Damit war
seitens Israel und der U.S.A. die Demokratie zu Ende, die Hamas
ausgegrenzt und verteufelt. Als Folge radikalisierte sie sich weiter.
Man darf nicht so tun, als ob es in Israels Vorvergangenheit keinen
Terrorismus im Widerstand gegen die britische Kolonialmacht gegeben
hätte ! Zwei Terrorgruppen, der Irgun und die Lechi ("Stern"-gang =
Bande !) haben Morde (Lord Moyne, Graf Bernadotte), Hinrichtungen
britischer Soldaten, Attentate (King David Hotel mit 91 Opfern) und
Massaker (Deir Yassin u.a.) auf dem Gewissen. Trotzdem konnten ihre
beiden Anführer, Menachem Begin und Yitzchak Shamir später
Ministerpräsidenten israels werden. Man weiss also nie, was aus
Terroristen einer "Mörderbande" einmal werden kann !

3. Zu : H.Broders "Antisemitismus ohne Antisemiten", Absatz "Der
moderne Antisemit". Wie ihn Broder beschreibt ist dieser gerade in
Israel häufig anzutreffen, denn in keinem anderen Lande gibt es
soviel Kritik gegen Israels Besatzungs-und Siedlungspolitik. Man
braucht nur täglich den "Haaretz" zu lesen, insbesondere die Artikel
von Gideon Levy, Amira Hass , Akiva Eldar u.a. Z.B. zur Frage, die
Broder stellt, "warum die Überlebenden aus der Geschichte nichts
gelernt haben und heute ein anderes Volk so misshandeln" – scheinbar
typisch für Antisemiten – schrieb B.Michael, Mitherausgeber der
Tageszeitung "Yediot Achronot" , "in ganzen sechzig Jahren haben wir
nichts begriffen. Nichts internalisiert. Wir haben alles vergessen."
Der Artikel "Vom Markierten zum Markierenden" ist erschienen (15.März
2002), nachdem bekannt geworden war, dass israelische Soldaten auf
den Armen palästinensischer Gefangener Nimmern anbrachten. Der
Wissenschaftler und Israel-Preis-Träger Prof. Yeshayahu Leibbowitz,
nannte den Libanon-Krieg (1982) "eine Konsequenz des Jusdo-
Nazismus" (zitiert in Ilan Peleg, "Begin’s Foreign Policy", New York
1987, S.173). Der ehemalige Knesset-Sprecher und Vorsitzender der
Exekutive der Jewish Agency, Avraham Burg,beschuldigt in seinem Buch
"Hitler besiegen", unter anderem, die zionistischen Führer "sich die
Shoah angeeignet zu haben und für politische Zwecke zu
missbrauchen" ("L’autre judaïsme d’Avraham Burg", "Le Monde
diplômatique (Paris), Mai 2008). Der Dramatiker Joshua Sobol,
erklärte in einem Interview ( "Die Furche" (Wien) 8.Mai 2008) "wie
stark die Eroberung der Palästinensergebiete und die Dominanz über
die Palästinenser Korrumpiert". Diese und auch zahlreiche andere
israelische "Antisemiten" (nach Broders Definition) sind Broder
betimmet bekannt, nur verschweigt er dies. Auch in Ihrer Zeitschrift
findet die Kritik dieser doch sehr bekannten Personen keine
Erwähnung. Man müsste doch meinen, dass Kritik in einer gesunden
Demokratie willkommen wäre, – aber nicht wenn es um Israel geht !
Diese Einstellung ist der der Islamisten sehr ähnlich, die ja auch
keinerlein Infragestellung ihres Glaubenssystems vertragen !
Ich erwarte nicht, dass Sie diesen Brief veröffentlichen, obwohl ich
nichts dagegen hätte, falls er ungekürzt erscheint. Es würde einmal
eine "andere jüdische Stimme" zu Wort kommen !

Mit freundlichen Grüssen,

MMag. Peter Melvyn