Site-Logo
Site Navigation

Zu den Vorwürfen des DÖW gegen die AIK im Zuge der Veranstaltung “Gaza muss leben”


16. Juni 2008

 

Brief an die APA von

Peter Melvyn
"Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost" (European Jews
for a Just Peace, Österreich)
www.Nahostfriede.at
Mitglied des Personenkommitees der Kampagne "Gaza muss leben"

 

Brief an die APA von

Peter Melvyn
"Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost" (European Jews
for a Just Peace, Österreich)
www.Nahostfriede.at
Mitglied des Personenkommitees der Kampagne "Gaza muss leben"

Sehr geehrter Herr Kindel !

Wie wir in unserem Telefongespräch von Freitag 9.06 vereinbarten, nehme ich schriftlich Stellung zu
a) dem Brief von Dr.Brigitte Bailer an die APA vom 27.05 (APA 02 43 5 AI 04 18 II) und
b) Ihrem Gespräch mit Dr.Bailer vom 01.06 (APA 005 85 AI0667 II).

Zu a): In ihrem Brief an die APA zur Intervention des DÖW bezüglich der Veranstaltung im Albert-Schweitzer-Haus "Gaza muss leben", erklärt Dr.Bailer "nachdrücklich, dass für das DöW niemand ohne mein Wissen intervenieren könne." Gleichzeitig behauptete sie in einer anderen Erklärung, zitiert in einem Brief der AIK an die APA (APA 0243 2008-05-27/11:54), sie "könne nicht ausschliessen, dass DÖW-Mitarbeiter an der Intervention beteiligt gewesen seien, über ihren Tisch sei die Angelegenheit aber nicht gegangen".Wenn dem so wäre, dürften eigentlich diese Mitarbeiter nicht im Namen des DÖW sprechen und damit die wissenschaftliche Direktorin übergehen. Dennoch taten sie es. Ich war persönlich bei einer Besprechung im Albert-Schweitzer-Haus anwesend bei der dessen Angestellte, auf meine Frage, das DÖW, zusammen mit der Israelitischen Kultusgemeinde, als intervenierende Organisationen bestätigte.

Zu b) : In diesem Gespräch gab es eine Reihe von Bemerkungen über Israel und Antisemitismus im Allgemeinen und zu Positionen der AIK im Besonderen.
Es war nirgends von "Weltverschwörung und Dominanz des Finanzjudentums", von dem Dr.Bailer spricht, die Rede. Das enge wirtschaftliche und militärische Bündnis zwischen der israelischen Regierung und den U.S.A. von Bush-Cheney kann wohl kaum in Abrede gestellt werden, wie es auch der gegenwärtige Wahlkampf in den U.S.A bestätigt. Die Macht der "Israel-Lobby" in den U.S.A und deren Einfluss auf die Aussenpolitik ist von den bekannten amerikanischen Universitätsprofessoren Walt und Mearsheimer in ihrem Werk ausreichend dokumentiert, das sie auch in Wien im November 2007 vorgestellt hatten. Die Tatsache, dass bei dem vor wenigen Tagen stattgefundenen jährlichen Dinner dieser Lobby, der AIPAC, sich auch die drei Präsidentschaftskandidaten genötigt fühlten, Reden zu halten und sich dabei an Israelophilie überboten, zeugt von der Macht dieser Lobby.

Zur Kritik an Israel : Als langjähriges Mitglied des DÖW finde ich den völligen Mangel an Objektivität und Ausgewogenheit zum israelisch-palästinensischen Konflikt seitens des DÖW, einer Institutionen, die sich der Erforschung des österreichischen Widerstandes widmet, höchst erstaunlich. Das DÖW scheint bei diesem Konflikt völlig auf der Seite der israelischen Besatzungspolitik zu stehen. Der Vergleich mit "Italien-Kritik" ist insofern unzutreffend, als Italien kein anderes Land und Volk besetzt hält. Im Falle Israels geht es ja nicht um "Olmert oder Barak", sondern um eine seit 41 Jahren andauernde Besatzung. Diese Tatsache findet bei Dr.Bailer keine Erwähnung, auch nicht die Völkerrechtswidrigkeit dieser Besatzung wie des Siedlungs-und Mauerbaues in den besetzten Gebieten. Die zahlreichen, im Laufe von Jahrzehnten beschlossenen Resolutionen der Vereinten Nationen wie auch die Vierte, von Israel unterzeichnete Genfer Konvention von 1949 oder die Anweisungen des Haager Internationalen Gerichtshofs wurden -und werden weiterhin – von Israel ignoriert. Alle Länder, auch die U.S.A – einschliesslich der Regierung William Clintons – erkennen die Gültigkeit des internationalen Menschenrechts für die besetzten Gebiete an, – ausser Israel für das diese Gebiete nicht als "besetzt", sondern als "umstritten" gelten. Macht sich das DÖW die letztere Position zu eigen und nicht die der Vereinetn Nationen ?
Die Kritik an Israel richtet sich hauptsächlich gegen seine Besatzungspolitik und ihre Konsequenzen, z.B die ständigen Menschenrechtsverletzungen, die im Internet bei einer israelischen Organisation unter " www.btselem.org" nachzulesen sind. Die Kritik richtet sich nicht gegen Israel, weil es ein Staat, der von Juden begründet und mehrheitlich von Juden besiedelt ist, sondern wegen seines Unterdrückungssystems, das von Dr.Bailer als "vermeintlich" bezeichnet wird. Die Kritik an der Besatzungspolitik ist insofern nicht "undifferenziert", da sie von Jahr zu Jahr grausamer wird.

Zum Widerstand : Für Dr.Bailer ist der palästinensische Widerstand nicht legitim, da er "wahllos den Tod unschuldiger Zivilisten in Kauf nimmt". Jegliche Tötung von Zivilisten ist in einer solchen Auseinandersetzung zu verurteilen. Dies gilt aber auch für den Staatsterrorismus Israels und seiner Armee. Allein die andauernde Besatzung, die Enteignung von Land und die Unterbindung eines freien Personen-und Güterverkehrs und die damit verbundenen Schikane sind eine Form des Staatsterrorismus. Dazu kommen noch die gezielten Tötungen palästinensischer Widerstandskämpfer durch Israels Luftwaffe und die daraus folgenden "Kollateralschäden" an Menschenleben. Man kann auch nicht so tun, als ob es sich hier um eine Konfrontation zweier gleichstarker Kräfte handelte und nicht zwischen einer hochmodernen Besatzerarmee und einem besetzten, primitiv bewaffneten, Volk. Das enorme Ungleichgewicht der Kräfte drückt sich u.a. in der Zahl der Toten auf beiden Seiten aus : zwischen 2000 und 2008 wurden 4718 Palästinenser von der israelischen Armee gtötet, davon 2215 Zivilisten und 944 Kinder . Die Zahl der von Palästinensern getöteten Israelis belief sich auf 236, darunter 39 Kinder, und 244 Militärangehörige. Hätten die Palästinenser die gleichen Waffen – F-16 und Panzer -wie die Israelis, gäbe es keine Selbstmordattentate. Man muss sich schliesslich auch nach den Gründen für diese Attentate fragen, nämlich die andauernde, niederdrückende Besatzung.

Zum Antisemitismus : Eine gängige Arbeitsdefinition des "Antisemitismus als eine Form von Feindseligkeit gegenüber Juden als Juden" müsste eigentlich genügen, – genügt aber nicht der im DÖW beheimateten "Aktion gegen Antisemitismus". Dr.Bailer stellt zwar fest, dass man "selbstverständlich die Politik Israels kritisieren könne", doch gleichzeitig wittert die "Aktion"hinter jeglicher Kritik an der israelischen Politik Antisemitismus in irgendeiner Form – "primär" oder "sekundär". Bei der "Aktion" ist dies geradezu zur Besessenheit geworden. (Vielleicht vergisst sie in ihrem Eifer, dass Philosemitismus eines der Gewänder des Antisemitismus ist !) Diese Besessenheit erinnert fatal an die Hexenjagd der MacCarthy-Zeit in den U.S.A der 50er Jahre. Hat die "Aktion" von der Republik das Mandat erhalten, allgemeingültige Klassifizierungen des Antisemiitismus auszuarbeiten und demgemäss zu entscheiden was und wer in diesem Land als antisemitisch gilt und die Betroffenen öffentlich zu diffamieren ? Vereinigungen und Einzelpersonen wie in-und ausländische Historiker, Schriftsteller, Nahostexperten u.a., die der Politik Israels kritisch gegenüberstehen, werden regelmässig von einem Mitarbeiter der "Aktion" des DÖW auf einer internetsite "www.juedische.at" verunglimpft, diffamiert oder lächerlich gemacht. Auch die "Jüdische Stimme" und unsere, ebenfalls israelkritische, Schwesterorganisation "Frauen in Schwarz" , beide in zehn westeuropäischen Ländern aktiv, sind häufig Objekt verbaler Ausfälle. Ist das DÖW, bezw. dessen "Aktion", zum Sprachrohr dieser website geworden ? Mehrere der Argumente Dr.Bailers finden sich nämlich in den Aussendungen der "www.juedische.at ".wieder. Das DÖW, eine bedeutende offiziöse österreichische Institution hat sich damit von seinem ursprünglichen Aufgabenbereich weit entfernt.
Aus dieser Ecke kommen auch die Angriffe auf die Antiimperialistische Koordination (AIK). Es steht ausser Zweifel, dass Kritik an Israel und die Stellungnahme zum Nahostkonflikt auch auf Antisemitismus basieren können. Die politische Herkunft und der ideologische Hintergrund der Kritik sind dabei ausschlaggebend. Dies kann aber nicht aus dem Hintergrund der AIK abgeleitet werden, der eindeutig antifaschistisch ist, Antisemitismus und Holocaust-Leugnung immer verurteilt hat. Des letzteren beschuldigt zu werden, beruht auf einer Verzerrung von aus dem Zusammenhang gerissenen Geschehnissen. Eine "ultralinke" Position, was immer dies bedeuten mag, ist in einem demokratischen Staat Teil des politischen Spektrums, ohne deswegen automatisch antisemitisch zu sein.
Das Eintreten der AIK für eine Einstaatenlösung im israelisch-palästinensischen Konflikt, von Dr.Bailer als die "raffinierteste Methode, das Existenzrecht Israels zu leugnen" bezeichnet, ist ein Gedanke, der bereits in den 30er und 40er Jahren von den deutsch-jüdischen Philosophen Martin Buber und Hannah Arendt – später auch von Albert Einstein – vertreten wurde. Heute kann man von der Annahme ausgehen, dass sich diese Lösung nach dem wahrscheinlichen Scheitern der gegenwärtigen Verhandlungen um eine Zweistaatenlösung quasi als Alternative bieten könnte. in diesem Licht ist auch die am 20. und 21. Juni in Haifa stattfindende Konferenz zu sehen, die das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und die Vision eines sekulären demokratischen Einheitsstaates zum Thema hat, mit Teilnahme von israelisch-palästinensischen und israelisch-jüdischen Referenten. Auch wir, die "Jüdische Stimme" halten diese Lösung für prinzipiell erstrebenswert, doch muss eine solche Option, für die mehrere Spielarten möglich wären, schliesslich den Israelis und den Palästinensern überlassen werden. Auch wenn diese Lösung als "antizionistisch" im herkömmlichen Sinne aufgefasst wird, hat dies nichts mit Antisemitismus zu tun. Gleichfalls werden auch Meinungen vertreten, die finden, dass Israel der Staat aller seiner Einwohner sein und nicht exklusiv auf einer Religion beruhen sollte. Dieser Ansicht zu sein, ist jedermann’s Recht, ohne deshalb diffamiert zu werden. Doch scheint für Dr. Bailer der blosse Gedanke oder die Vision eines Einheitsstaates in Israel/Palästina "antisemitisch". Also nicht einmal Gedankenfreiheit ohne des Antisemitismus geziehen zu werden ! Im Übrigen meine ich, dass es sich bei all diesen Beschuldigungen und Interventionen um abgestimmte Versuche handelt mit allen erdenklichen Mitteln Kritik an Israel und an seiner Politik abzuwehren.

Mit freundlichen Grüssen,

MMag. Peter Melvyn