von Klaus Schacht, evangelischer Pfarrer im Ruhestand, 22. Mai 2008
Erstes Ereignis:
Ein Personenkomitee, koordiniert durch den Journalisten und Sozialanthropologen Dr.Leo Gabriel, organisierte eine Initiative „Gaza muss leben“ und veröffentlichte einen „Appell für das Ende eines mörderischen Embargos“. Darin werden die österreichische Bundesregierung und die Europäische Union u.a. aufgefordert, die Embargomaßnahmen gegen Gaza einzustellen, sich für die Beendigung der militärischen Belagerung des Gazastreifens einzusetzen und den Dialog mit der aus den Wahlen 2006 hervorgegangenen palästinensischen Regierung aufzunehmen. Unter den drei Dutzend Erstunterzeichnern des Appells befinden sich der Schauspieler Otto Tausig, Ex-Minister Erwin Lanc, die Dichterin Friederike Mayröcker und Paula Abrams-Hourani (Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost). Zu den über 700 weiteren Unterzeichnern gehören etwa die bekannte Journalistin Ursula Baatz und Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des früheren Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, und nicht zuletzt auch einige Pfarrer und weitere Mitarbeiter der Evangelischen Kirche in Österreich.
Als weitere Aktion der Initiative „Gaza muss leben“ wurde für den 17.Mai zu einer Diskussionsveranstaltung und einem Konzert eingeladen, und zwar ursprünglich in den Saal des Evangelischen Studentenheims „Albert Schweitzer Haus“ in Wien. Der Mietvertrag war unterschrieben, die halbe Miete schon bezahlt.
Nun hatten aber den oben genannten „Appell“ auch Leute unterschrieben, die in der „Antiimperialistischen Koordination (AIK)“ mitarbeiten. Der AIK wird – zu Recht oder zu Unrecht ist hier nicht wichtig – eine proislamistische und antisemitische Einstellung vorgeworfen. Das führte nun bei manchen Beobachtern zu seltsamen Verknüpfungen und Unterstellungen: Die „Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich“ (im „Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes“) wusste sofort, dass die Initiative „Gaza muss leben“„maßgeblich von der AIK lanciert“ sei. In „die juedische“ (Online-Journal zum jüdischen Leben) hieß es dann schon, die Initiative befinde sich „im Dunstkreis der AIK“, „Gaza muss leben“ sei „lediglich ein Deckname“ für die AIK, und dann hieß es sogar, die AIK sei es selbst, die die Veranstaltung im Albert Schweitzer Haus geplant habe.
Und dann – ich zitiere aus „die juedische“: „Nachdem sowohl die Leitung des Albert Schweitzerhauses, als auch Bischof Bünker über die Veranstalter und deren einschlägigen Background informiert wurden, sagte Bünker gegenüber dem Herausgeber der Jüdischen, Samuel Laster, er werde sich dafür einsetzen, dass ‚Antisemitismus und Rassismus in evangelischen Einrichtungen keinen Platz haben.’ Der Bischof hielt sein Wort und die AIK wurde vor die Tür gesetzt.“ Als danach ein Mann, der weder mit der AIK noch mit den wirklichen Veranstaltern etwas zu tun hat, in einem Brief an die Leitung des Albert Schweitzerhauses gegen den „Trend zur Zensurierung“ protestierte, wurde auch dieser Brief von der „Aktion gegen den Antisemitismus“ gleich herangezogen, um nachträglich „die Berechtigung des Rauswurfs“ bestätigt zu sehen.
Nun, nicht die AIK wurde „vor die Tür gesetzt“ und „rausgeworfen“ (welch ein Türsteher-Jargon!), sondern – wenn es wirklich so gewesen ist – wurden vorschnell und auf Grund einseitiger Informationen von dritter Seite viele Menschen, die ernsthaft für den Frieden im Nahen Osten eintreten, von der Evangelischen Kirche im Stich gelassen und ihnen unlautere Absichten unterstellt.
Bemerkung am Rande: Leo Gabriel am 24.12.2007 war Studiogast in der Sendereihe „Europa und der Stier“ der Internetplattform der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien. Der Studiogast der darauf folgenden Sendung vom 1.1.2008 war Bischof Michael Bünker … Sollten die beiden nicht direkt miteinander reden können?
Und nun das zweite merkwürdige Ereignis, ebenfalls vor Kurzem geschehen:
Alle evangelischen Pfarrämter erhielten mehrere Exemplare der Zeitung „Israel Heute“ zugesandt. Im Impressum ist zu lesen: „Diese Zeitung verkündet die Botschaft, dass Israel ein Zeichen Gottes für die Erfüllung biblischer Prophetie und ein Hinweis auf die baldige Wiederkunft Christi ist.“ Herausgeber ist der deutsche Verein „Israel Heute – Christen an der Seite Israels“. Dieser Verein ist eng verbunden mit der evangelikal-charismatischen Freikirche „Jugend-, Missions- und Sozialwerk e.V.“ in Altensteig im Schwarzwald und gehört außerdem „zu der internationalen, überkonfessionellen und politisch unabhängigen Bewegung: Christians for Israel International“. Deren Präsident ist Willem Glashouwer aus den Niederlanden. „Israel Heute“ hat nun neuerdings eine Beilage für Österreich („israelaktuell“), da ein österreichischer Ableger des deutschen Vereins konstituiert wurde. Zu den Autoren der Beilage gehören auch zwei Pfarrer der Evangelischen Kirche, Günter Battenberg (Melk-Scheibbs) und Hartmut Schlener (Wien-Hütteldorf). Schlener berichtet von den kirchlichen Verlautbarungen zum Thema „Christen und Juden“ aus den letzten Jahrzehnten und bemängelt: „Eine Standortbestimmung in Österreich (sollte) mehr als ein zarter Friedenswunsch sein, sondern eine explizite Anerkennung des Staates Israel einschließen! … Eine Standortbestimmung wird über den religionsbezogenen Dialog hinaus geführt werden müssen.“ Gemeint ist, dass die Evangelische Kirche sich dezidiert zur „realpolitischen Gegenwartsproblematik“ äußern sollte. In welchem Sinne – das kann man in einem Artikel von Willem Glashouwer über „Gottes ewigen Bund“ lesen: Zur ewigen Gültigkeit des von Gott mit Abraham geschlossenen Bundes gehört auch, dass das dem Abraham versprochene Land nicht unbewohnt war. „Und doch gibt Gott das Land dem Volk Israel. Sorgt Gott selbst dafür, dass die anderen Völker das Land freiwillig verlassen, ehe das Volk Israel es in Besitz nehmen wird? Nein, Israel selbst soll das verheißene Land erobern. … Warum wurde das Land Kanaan den Völkern, die da wohnten, weggenommen? Ihre Schuld hatte das volle Maß erreicht (1.Mose 15,16 und 5.Mose 9,3-6) Gottes Urteil richtet die Völker.“ Noch konkreter wird es im Inneren von „Israel heute“. Da wird aufgefordert, für die politische Lage Israels zu beten: „Die Regierungspolitik der gegenwärtigen israelischen Regierung ist z.T. von gefährlichen unbiblischen Appeacement-Erwägungen geprägt, wie z.B. die erneute Teilung Jerusalems, die Rückgabe des Golan an Syrien, die Errichtung eines Palästinenserstaates von Gaza bis ins Westjordangebiet.“ Sowohl für die israelische als auch für die deutsche Regierung solle man um Weisheit und Gottes Gnade bitte, „dass sie nicht gegen Gottes Absichten und Pläne arbeiten.“
Das alles ist nicht neu. „Christen an der Seite Israels“ unterstützt von jeher „das Recht und den Anspruch des jüdischen Volkes auf das biblische Land, das die Gebiete von Judäa, Samaria, die Golanhöhen und die gesamte Stadt Jerusalem einschließt.“ Selbstverständlich werden die radikalen Siedler in den von Israel besetzten Gebieten vorbehaltlos unterstützt. Schon vor einem Jahr gab es in der Evangelischen Trinitatiskirche in Wien-Hütteldorf eine „Israelkonferenz“. Da war Willem Glashouwer Redner in einer Seminarreihe und Prediger im Sonntagsgottesdienst. Ferner wirkte mit die „Internationale Christliche Botschaft Jerusalem (ICEJ)“ – Brückenkopf des evangelikal-charismatischen Lagers und des christlichen Zionismus in Israel. „Zwei zentrale Kritikpunkte machen diese Bewegung fragwürdig: Politisch ist es die Erklärung Groß-Israels zur unverhandelbaren Gottesgabe und – darin eingeschlossen – die völlige Delegitimierung eines Prozesses ‚Land für Frieden’. Theologisch ist es die Massive Endzeit-Erwartung samt Judenmission mit Israel als Baustein christlicher Apokalyptik.“ (Lutz Lemhöfer: Christliche Fundamentalisten als Israels Freunde? In: Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der EKD 3/2003).
Was ist nun davon zu halten? Die Friedensaktivisten von „Gaza muss leben“ werden rausgeworfen und vor die Tür gesetzt – christliche Zionisten und Groß-Israel-Fanatiker dürfen eine evangelische Kirche benützen und in allen evangelischen Gemeinden für ihre Ansichten werben. Wirklich sehr merkwürdig.
22.05.2008
Prof. Klaus Schacht ist evangelischer Pfarrer im Ruhestand.
Der Artikel erschien auf:
http://www.evang.at/pinnwand/viewtopic.php?t=1780