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Israel sagt „Nein“


4. März 2008

von Ran Ha Cohen
19.02.2008 — antiwar.com

Am 23. Februar kamen Haaretz-Leser in große Verlegenheit. Just als die anerkannte Zeitung ihre wichtigste Schlagzeile gedruckt hatte, die sich auf Israels allwissende „Sicherheitsquellen“ gründet – „Neue israelische Politik in Gaza: Grenzübergänge werden geschlossen bleiben“ – wurden die Grenzübergänge zwischen Gaza und Ägypten geöffnet; ein paar Stunden später bestanden sie nicht mehr. Noch einmal wurde die israelische Regionalmacht völlig überrascht; Hamas gewann, indem sie die Belagerung durchbrach.

Ein deutliches Anzeichen dafür, dass sich ein Empire auf dem Abstieg befindet, ist die Tendenz zur Realität „Nein“ zu sagen. Die Sowjetunion fügte der englischen Sprache ihr „Njet“ hinzu. Vor langer Zeit waren es die Araber, die „nein“ sagten – nein zu den Verhandlungen, nein zur Normalisierung, nein zur Anerkennung, nein zum Frieden. Dies hat sich verändert – mindestens mit der arabischen Friedensinitiative von 2002. Nun ist es Israel, das zum Neinsager wurde. Man schaue bei „lo“ (dem hebräischen „nein“) im Oxford English Dictionary nach.

Die israelische Grenzstadt Sderot wird angegriffen. Aus Gaza werden täglich Raketen auf die Zivilbevölkerung abgefeuert. Kein Land kann so etwas lange tolerieren, doch die Angriffe geschehen nun seit sieben Jahren. Militäroperationen dagegen sind alle fehlgeschlagen, haben sie nicht einmal verringert. Jeder vernünftig Denkende würde sagen: Schützt oder evakuiert zuerst die Bewohner Sderots; und redet dann mit denen, die die Raketen abschießen und fragt, was sie wollen. Israel jedoch sagt zu beiden Vorschlägen „nein“.

Warum nicht mit der Hamas reden?
Mit der Hamas reden, wäre ein guter Anfang. Öffentliche Umfragen zeigen an, dass Israelis diesen Schritt sehr unterstützen würden. Aber Israel sagt „nein“. Die von den Medien propagierte Ideologie ist so dominant, dass dieses Problem in Israel nicht einmal diskutiert wird; Rejektionismus / Zurückweisung wird als selbstverständlich hingenommen. Warum nicht mit der Hamas reden?

Die offizielle Antwort: „die Hamas leugnet Israels Existenzrecht.“ Ein lächerliches Argument, das bis dahin reicht „wir reden nicht mit unsern Feinden, weil sie unsere Feinde sind“ oder „wir machen lieber Frieden mit Freunden als mit Feinden“. Darüber hinaus hat Hamas einen langfristigen Waffenstillstand von Jahren oder Jahrzehnten angeboten. Israel sagt auch dazu „nein“. Warum? Die idiotische israelische Antwort lautet: die Hamas könnte die Zeit zur Wiederbewaffnung nützen. Als ob Israel die Zeit dazu anders benützen würde. Eine Pseudodemokratie, die vom Militär angeführt wird, ist total blind für die rationale Logik, eine temporäre friedliche Atmosphäre zu schaffen, um die Interessen der daran beteiligten Parteien an einem friedlichen Leben zu stärken, um eine neue Generation in Wohlstand und frei von altem Hass aufwachsen zu lassen und so weiter. Lieber jetzt ein Krieg als Jahrzehnte des Friedens und ein Krieg – vielleicht – später. Sicher ist das besser für die Waffenindustrie — und für die Friedhöfe.

Israel ist natürlich ein verwöhnter Kolonialherr. In Abu Mazen fand Israel einen schwachen aber zuverlässigen Kollaborateur. Wenn man mit Hamas reden würde – so behaupten wenigstens die Experten – würde man Abu Mazen schwächen und er würde noch mehr Forderungen stellen, um mit der Hamas zu wetteifern. Selbst eine erfolgreiche Politik des „teile und herrsche!“ hat ihre Nachteile. Irgendwie gibt es immer eine Ausrede: wenn die Palästinenser vereinigt sind, dann können wir mit ihnen keinen Frieden machen, weil sie entweder zu schwach ( und deshalb nicht verlässlich sind) oder zu stark ( und deshalb zu viel fordern) Wenn sie geteilt sind, können wir sicher nicht mit ihnen reden, weil die Fraktionen mit einander konkurrieren.

Offensichtlich ist der wahre Grund, nicht ernsthaft zu verhandeln, der, dass Israel nicht bereit ist, die Besatzung aufzugeben . (Israel sagt jetzt schon, Ende dieses Jahr sei viel zu früh, um mit Abu Mazen einen Deal auszuhandeln). Es geht nicht nur um Land und Wasser, sondern wie Meron Rapoport kürzlich in Haaretz erinnerte: mehr als 6% aller israelischen Exporte (außer den Diamanten ) gehen auf den Markt der besetzten palästinensischen Gebiete, das sind etwa $ 2 Milliarden im Jahr, mehr als nach Frankreich und Italien zusammen: Obst und Gemüse, Medikamente und Geräte für Krankenhäuser, Wasser und Strom, Stahl und Zement. Ein Monopol-Absatzmarkt, wo die Produkte, die für die israelischen Kunden nicht mehr gut genug sind, noch für gutes Geld (nämlich dem der Geberstaaten) abgesetzt werden können. Das ist ein kostbarer Aktivposten in einer vom Konkurrenzdenken geprägten kapitalistischen Welt.

Zivilisten als Propaganda-Karten
Ehud Barak wird in Israels Geschichte als derjenige eingehen, der den Missbrauch unschuldiger Zivilisten als politische Spielkarte eingeführt hat. Barak war wahrscheinlich nicht der erste israelische Krieger, der Zivilisten aus taktischen Gründen missbrauchte, aber er war derjenige, der dies zu einer zentralen israelischen Strategie machte. Die Operation „Trauben des Zorns“ im Libanon 1996 mit Barak als einflussreichem Kabinettsminister, zielte offen auf Zivilisten, machte sie zu Flüchtlingen, um Druck auf die Regierung in Beirut auszuüben. Die kürzliche Belagerung des Gazastreifens folgt einer ähnlichen Logik: Übe Druck auf die Zivilisten aus und erreiche so politische Ziele. (ein klares Kriegsverbrechen).

Die israelischen Bewohner von Sderot werden ähnlich missbraucht. Israel hat bis jetzt nicht das Budget gefunden, um jenen von Raketen betroffenen Bürgern einen passenden Schutz zu geben. Erst letzte Woche wurden 23 öffentliche Schutzräume im südlichen Teil der Stadt eröffnet – doch nicht von der israelischen Regierung finanziert, sondern von einer amerikanisch evangelikalen Stiftung (IFCJ). Es gibt auch einen privaten Spender, der von Zeit zu Zeit einige Bewohner von Sderot für eine Woche in ein sicheres Hotel fahren lässt. Bewohner, die bei ihrer Regierung um Hilfe nachsuchen, um ihre bombardierte Stadt zu verlassen, werden abgewiesen: Sie sind „Hausgeiseln“, wie Haaretz sie bezeichnet. Die Stadt zu evakuieren, würde bedeuten, dem Terror nachzugeben, sagt das offizielle Israel. Ein 8jähriger Junge, der in Sderot ein Bein verloren hat, ist ein Propaganda-Aktivposten, dem Israel nicht widerstehen kann. Wie leicht ist es doch, in einem Sessel in Tel Aviv, Jerusalem oder Washington zu sitzen, um ein Argument vorzubringen – auf dem Rücken unschuldiger Zivilisten – in Gaza genau so wie in Sderot.

Und all dies ist natürlich vergeblich: die Bürger von Sderot werden verständlicherweise ungeduldig; ihr Protest wird von politischen Parteien instrumentalisiert. Die Bewohner von Gaza durchbrachen die Belagerung, die Israel trotzdem nicht aufheben ließ – und die Raketen werden weiter abgefeuert. Welche Lösung gibt es? Das zurückweisende Regime kann nur immer dasselbe anbieten. Der Innenminister Meir Shitreet schlug kürzlich vor, „einen ganzen Stadtteil im Gazastreifen zu zerstören“. Andere Politiker und Kolumnisten zögerten nicht mit anderen „kreativen“ Ideen.* Israel tut das, von dem es denkt, dies könne es am besten: Tod und Zerstörung zu säen. Aber wie wir jetzt wissen, ist Israel darin nicht mehr so gut, wie es schon einmal war.

Anmerkungen

* Einer wollte die Menschen des Gazastreifens in den Negev „umsiedeln“; ein anderer schlug vor, dass ab jetzt Ägypten für die Versorgung zuständig sein sollte. Israel sollte nichts mehr mit dem Gazastreifen zu tun haben – absolute Trennung. Es würde ja auch nicht zum „verheißenen Land“ gehören. (Zusatz der Übersetzerin)

Übersetzt von: Ellen Rohlfs